Montag, 13. Januar 2014

Kulturerbe


Neben dem Weltkulturerbe gibt es jetzt auch noch ein immaterielles Kulturerbe. Diesem Unesco Vertrag ist Deutschland in letzten Jahr beigetreten. Und schon will jeder dabei sein. Die Stadt Hameln hat ihren Rattenfänger angemeldet, und der Norddeutsche Rundfunk macht sich für den Grünkohl stark. Natürlich nicht für so etwas aus dem Glas oder aus der Dose, das muss schon der richtige Grünkohl sein. Aber wenn jetzt regionale Gerichte zum Kulturerbe erklärt werden, wo bleibt da die Kultur? Also griechische Tempel, Michelangelo, Johann Sebastian Bach und all das, was uns bei dem Begriff Kultur einfällt? Unglücklicherweise fällt mir dabei immer auch Hermann Görings vielzitierter Satz Wenn ich das Wort Kultur höre, greife ich zu meiner Pistole ein. Der Satz ist übrigens nicht von dem fetten Göring, er steht in dem Theaterstück Schlageter eines gewissen Hanns Johst. Da sagt eine Figur namens Friedrich Thiemann im ersten Akt: Wenn ich Kultur höre ... entsichere ich meinen Browning.

Wer Albert Leo Schlageter war, wusste ich schon als Kind. Immer wenn wir von Bremen kommend auf dem Weg nach ➱Bad Essen die Dammer Berge am Horizont sahen, waren wir in einem Land meines Großvaters, in dem sich Sagen, Märchen und familiäre Anekdoten übergangslos mischten. Vorher hatten wir noch eine Pause eingelegt, bei der Opa im Wald verschwand. Erst Jahre später habe ich erfahren, dass dies keine normale Pinkelpause war: der Gang Opas in den Wald war ein Gang zu einem Albert Leo Schlageter-Denkmal, dem der kaiserliche Hauptmann des Ersten Weltkriegs und ehemalige Stahlhelmführer rituell seine militärische Reverenz erweisen musste. Das fällt jetzt sicherlich unter den neumodischen Begriff Erinnerungskultur.

Aber lassen Sie mich zum Grünkohl, der westfälischen Palme, zurückkommen. Wenn der nun den Status als immaterielles Kulturerbe bekommt, werden aus allen Regionen des Landes Spezialitäten und Leckereien angemeldet werden. Von der Bayrischen Weißwurst über den Nürnberger Lebkuchen, von der Aachener Printe bis zum Borgholzhausener Pfefferkuchen. Werden jetzt die Borgholzhausener Pfefferküchlein - eine Delikatesse aus meinen Kindertagen - zum Forschungsgegenstand? Sind sie längst geworden. Ich habe vor Jahren in dem Rowohlt Band Volkskultur in der Moderne: Probleme und Perspektiven empirischer Kulturforschung von Utz Jeggle und Hermann Bausinger einen schönen Aufsatz von Dietmar Sauermann gelesen: Lebkuchen aus der Fabrik. Zur Geschichte der Firma Heinrich Schulze in Borgholzhausen.

Und mit dem Namen des Nestors der deutschen Volkskunde Hermann Bausinger bin ich bei der Wissenschaftsdisziplin, die jetzt wahrscheinlich nur noch Feste feiert und auf den Tischen tanzt, nämlich der Volkskunde. Als ich vor Jahren ➱hier Hermann Bausinger zum 85. Geburtstag gratulierte, konnte ich nicht wissen, dass dieser Post ein kleiner Bestseller bei den Lesern werden würde. Wir müssen uns an einen fließenden Kulturbegriff gewöhnen, panta rei, alles fließt, nix ist mehr sicher. Matthew Arnold hatte es im 19. Jahrhundert noch leicht, er konnte die Kultur als the best which has been thought and said definieren. Auf Pfefferkuchen und Grünkohl wäre er nicht gekommen.

Der Grünkohl (in manchen Gegenden auch Braunkohl genannt) ist ja auch nicht jedermanns Sache. Erwähnt wird er schon 1586 in einem Brief, den der Gelehrte Justus Lipsius aus Oldenburg (das für ihn in Westfalen liegt) in seine Heimatstadt Brabant schreibt: Doch da kommt der ersehnte zweyte Gang, die Hauptschüssel Eine ungeheure Kumme voll braunen Kohls! Einen Finger breit darüber her fließt die Brühe von Schweinefett. Diesen Ambrosia essen meine Westphälinger nicht, sie verschlingen ihn. Mich ekelt er an. In diesem Blog gibt es natürlich schon Grünkohl. Sozusagen Grünkohl satt. Lesen Sie einfach (passend zur Jahreszeit, in der das Gericht auf den Tisch kommt) diesen ➱Post und Sie wissen alles zu dem Thema.

1 Kommentar:

  1. Das ist ja der Gipfel. Immaterielles Kulturerbe. Grünkohl. Es kann ja kein Aprilscherz sein, denn es Januar, wenn auch mit Aprilwetter. Auf diese Art und Weise kann man alles in "Weltlisten" aufnehmen. Wenn alles drin steht, kann man es dann trotzdem leicht vergessen. Vielleicht lässt es sich aus fadenscheinigen Gründen auch wieder streichen, wie die Dresdner Elblandschaft, wobei die ja nun nichts Immaterielles ist.
    Also, ich möchte gern mein breites Sächssich als immaterielles Welterbe aufnehmen und schützen lassen. Dafür muss ich sicher alles aufnehmen, was ich zukünftig spreche. Sauerbraten mit Klößen und sächsische Kartoffelsuppe auch. Wenn es irgendwann keinen Trabant mehr gibt, dann bietet sich der auch noch dafür an. Seltsam...

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