Montag, 16. September 2019

Feminismus?


To have written the first good poems in America, while rearing eight children, lying frequently sick, keeping house at the edge of the wilderness, was to have managed a poet's range and extension within confines as severe as any American poet has confronted, hat Adrienne Rich über Anne Bradstreet gesagt, deren Gedichtband The Tenth Muse, lately Sprung up in America 1650 veröffentlicht wurde. Der Dichter John Berryman konnte sich nicht so kurz fassen wie Adrienne Rich, länger als fünf Jahre hat er an seinem Gedicht Homage to Mistress Bradstreet geschrieben. Anne Bradstreet, die am 16. September 1672 starb, gehörte zur Aristokratie der amerikanischen Puritaner; ihr Vater war Gouverneur von Massachussetts gewesen, und ihr Ehemann wird nach ihrem Tod auch Gouverneur von Massachussetts werden. Jener Kolonie, die nach dem Willen von John Wintrop a citty upon a hill sein sollte (lesen Sie hier mehr zu dem Thema).

Anne Bradstreet kann lesen und schreiben. Sie ist nicht die einzige Frau in der Kolonie, die das kann. Die Puritaner fördern es, dass jeder lesen kann. Im Verhältnis gesehen, gibt es in Massachussetts damals wahrscheinlich weniger Analphabeten als im heutigen Amerika. Aber die Alphabetisierung wird nicht gefördert, damit man William Shakespeare oder Sir Philip Sidney liest, die Lektüre der Bibel ist das Ziel. Und die kann eigentlich nur von den Männern verstanden werden. Über Annes Schwester Sarah (growne a great preacher) schreibt die Familie: she has unwifed herself. Die Folgen sind die Ehescheidung (die erste in Amerika) und die Enterbung. Religiöse Toleranz ist ganz und gar nicht die Sache der Puritaner, Anne Hutchinson wird verurteilt und muss die Kolonie verlassen, die Quäkerin Mary Dyer wird hingerichtet. Und von den Hexenprozessen in Salem wollen wir gar nicht erst reden.

Anne Bradstreet, die erste Schriftstellerin einer englischen Kolonie in Amerika, hält sich vorsichtig aus all dem heraus. Ihre Gedichte, die zuerst wohl nur für die Familie bestimmt waren, handeln von ihren Kindern (I had eight birds hatcht in one nest, Four Cocks were there, and Hens the rest), dem geliebten Ehemann oder dem abgebrannten Haus. Aber in ihrem Prologue, da wird sie richtig gefährlich. Ironisch und sarkastisch, ein persönliches Bekenntnis zur Rolle der Frau in der puritanischen Gesellschaft:

To sing of Wars, of Captains, and of Kings, 
Of Cities founded, Common-wealths begun, 
For my mean Pen are too superior things; 
Or how they all, or each their dates have run, 
Let Poets and Historians set these forth. 
My obscure lines shall not so dim their worth.

Die Aeneis beginnt mit Arma virumque cano, die Odyssee handelt von Wars, of Captains, and of Kings, Of Cities founded, Common-wealths begun. Das liegt außerhalb der Reichweite eines mean Pen einer Frau, der nur obscure lines schreiben kann. Die Rolle, die die Gesellschaft ihr zuweist, ist die des Haushalts (my hand a needle better fits):

I am obnoxious to each carping tongue 
Who says my hand a needle better fits. 
A Poet’s Pen all scorn I should thus wrong, 
For such despite they cast on female wits. 
If what I do prove well, it won’t advance, 
They’ll say it’s stol’n, or else it was by chance.

In der Übersetzung des Flensburgers Adolf Strodtmann aus dem Jahre 1862 klingt das so:

Ich muß mich beugen jedem Spötterwort,
Das meiner Hand die Nadel überweist;
»Des Dichters Kiel entweih' ich«, und so fort ...
Denn so verachtet ist der Frauen Geist.
Ist, was ich singe gut: es fördert Nichts –
Ihr sagt: »Sie stahl es, oder Zufall spricht's.«


Leider hat Strodtmann, der mit Carl Schurz befreundet war (und der in New York eine deutsche Buchhandlung gründen und Heines Werke herausgeben wird), nur die Hälfte von Anne Bradstreets Prologue übersetzt. Aber als alter 1848er hat er geschickt jene Strophen gewählt, die das revolutionäre Potential des Gedichts enthalten.

Ich muß mich beugen jedem Spötterwort,
Das meiner Hand die Nadel überweist;
»Des Dichters Kiel entweih' ich«, und so fort ...
Denn so verachtet ist der Frauen Geist.
Ist, was ich singe gut: es fördert Nichts –
Ihr sagt: »Sie stahl es, oder Zufall spricht's.«

Die Griechen waren milder doch gesinnt,
Da sie die Neun entlehnt aus unsern Reihn;
Die Poesie war einer Muse Kind,
Den Schwestern mußte jede Kunst sich weihn.
Doch solch Gespinnst zerhaut ihr mitleidslos –
Die Griechen waren arge Thoren bloß!

Laßt Griechen Griechen sein, und Frauen Fraun!
Des Geistes Kronen hat der Mann allein;
Vergebens ist's mit ihm zu kriegen, traun!
Er schafft das Höchste, und wir räumen's ein.
Den Vorrang drum in Allem ihm, dem Herrn –
Doch anerkennt auch unsre Leistung gern!

Ihr Federn, deren Flug gen Himmel steigt.
Für jedes Lied gekrönt mit Siegerglanz: –
Wenn euer Aug' auf dieses Blatt sich neigt,
Gebt mir – den Lorbeer nicht – den Epheukranz!
Dies schlichte Erz, dem Keiner Ehren zollt,
Macht heller nur erblinken euer Gold!


Sie können hier den Prologue ganz lesen, und eine Interpretationshilfe habe ich hier auch. Anne Bradstreet wird heute gerne als Feministin oder Proto-Feministin gesehen. Außerhalb ihres Gedichtes Prologue wird man dafür zuerst wenig Beweise finden, aber man muss genau lesen. So zum Beispiel steht in dem Gedicht über die verstorbene Königin Elizabeth:

Now say, have women worth, or have they none?
Or had they some, but with our Queen is’t gone?
Nay Masculines, you have thus tax’d us long,
But she, though dead, will vindicate our wrong.
Let such as say our sex is void of reason
Know ‘tis a slander now, but once was treason.


Ein Jahrhundert nach Anne Bradstreet schreibt Abigail Adams, auch eine Frau aus Massachussetts, an ihren Mann: remember the ladies, and be more generous and favorable to them than your ancestors. Do not put such unlimited power into the hands of the Husbands. Remember all Men would be tyrants if they could. If particular care and attention is not paid to the Ladies we are determined to foment a Rebellion, and will not hold ourselves bound by any Laws in which we have no voice, or Representation. 

Anne Bradstreet schreibt Gedichte, Abigail Adams schreibt Briefe. Immer mehr Frauen in Amerika werden schreiben. Einem Schriftsteller des 19. Jahrhunderts wird das zu viel: America is now wholly given over to a damned mob of scribbling women, and I should have no chance of success while the public taste is occupied with their trash-and should be ashamed of myself if I did succeed. What is the mystery of these innumerable editions of the 'Lamplighter,' and other books neither better nor worse?-worse they could not be, and better they need not be, when they sell by the 100,000. Hier spricht niemand anderer als Nathaniel Hawthorne, der übrigens Anne Hutchinson in das erste Kapitel von The Scarlet Letter hineingeschrieben hat. Es ist ein Roman über eine starke Frau, aber ebenso wie Melvilles Moby-Dick verkauft er sich nicht, nur knapp achttausend Exemplare werden zu Hawthornes Lebzeiten verkauft.

John Adams wird den Brief seiner Frau nicht ernstnehmen, er macht sich darüber lustig und redet vom Despotism of the Peticoat. Wenn er Präsident der Vereinigten Staaten wird, unternimmt er nichts, um die Rechte der Frauen zu stärken. Es wird lange dauern, bis amerikanische Frauen beim Wahlrecht den Männern gleichgestellt werden. Erst vor hundert Jahren hat der amerikanische Kongress das 19th Amendment beschlossen. Donald Trump, der Frauen schon als fat pigs, dogs, slobs, und disgusting animals beschimpft hat, hat das in diesem Jahr in einer Rede gewürdigt: Exactly one century after Congress passed the constitutional amendment giving women the right to vote, we also have more women serving in Congress than at any time before. Die New York Times hat ihn daraufhin als feminist bezeichnet. Aber Trump hat Recht, es gibt jetzt 102 Frauen im Kongress. Es überrascht nicht, dass die meisten von ihnen nicht der Partei des Mannes angehören, der als erster Präsident der Vereinigten Staaten immer wieder Frauen öffentlich beleidigt hat.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen