Dienstag, 28. Januar 2020

Sonnenbräune?


Keine Sorge, ich tische nicht noch einmal die Geschichte von der schönen Buchhändlerin auf, wie sie mit ihrem Bikinihöschen in Südfrankreich am Strand liegt. Aber wir müssen nach Frankreich, auch in den Südwesten, und schöne Frauen kommen hier heute auch vor. Ich habe in dem Post Philologen Hölderlin zitiert: Was bleibet aber, stiften die Dichter. Ein Zitat, das mir leicht von der Zunge geht, weil die Zuschreibung des Zitats eine von zehn Fragen in dem wahnwitzig schweren Preisrätsel der Firma IWC Schaffhausen war, bei dem ich vor mehr als zwanzig Jahren diesen fetten Chronographen gewonnen habe. Das sind die seltenen Augenblicke, wo sich die Kenntnis der Dichtung lohnt. Ich habe das elegante Edelstahlmonster jetzt am Arm, während ich das hier schreibe; ein Beweis dafür, dass man dieses Was bleibet aber, stiften die Dichter ganz anders verstehen kann.

Dieses Bild von Eugène Boudin, dem Maler, dem Corot den Titel König des Himmels verliehen hatte, zeigt die Garonne bei Bordeaux. Da wollen wir hin, denn von Bordeaux handelt Hölderlins Gedicht Andenken (Text), dessen letzte Zeile Was bleibet aber, stiften die Dichter lautet. Wir assoziieren Bordeaux gemeinhin mit Rotwein, es ist das größte zusammenhängende Anbaugebiet der Welt für Wein

Es ist auch die Heimat von Michel de Montaigne, dessen Großvater schon im Weingeschäft war. Es gibt da heute noch eine Firma, die Château Michel de Montaigne heißt. Ich weiß nicht, ob die mit dem Philosophen verwandt sind oder ob der Name nur ein Werbegag ist. Aber sie bieten ein Produkt an, das Les essais heißt. Wer Montaignes Essais nicht lesen will, kann sie trinken, das ist irgendwie ganz witzig. Ein 12er Karton ist allerdings teurer als Hans Stiletts schöne Übersetzung der Essais. Wir waren in diesem Blog schon einmal in der Gegend von Bordeaux, nicht mit der schönen Buchhändlerin, die in Hendaye am Strand liegt, aber mit dem Film Ertrinken verboten. Der wurde in Saint-Palais-sur-Mer in der Nähe von Bordeaux gedreht.

Bordeaux (das Hölderlin noch wie Montaigne Bourdeaux schreibt) ist der Ort, zu dem Friedrich Hölderlin im Winter 1801 aufbricht. Er hat da eine Stelle als Hauslehrer für die Kinder des dort lebenden Hamburger Weinhändlers Daniel Christoph Meyer angeboten bekommen. Das eindrucksvolle klassizistische Palais des Konsuls Meyer, das beweist, dass der Handel mit Rotspon einen Kaufmann reich machen kann, steht heute immer noch. Eine kleine Tafel ist daran angebracht: Ici vecut le poete allemand Hölderlin en 1802. 

Er wird hier nicht lange bleiben. Im Januar war er angekommen ('Sie werden glücklich sein', sagte beim Empfange mein Konsul. Ich glaube, er hat recht), und im April schreibt er an seine Mutter: Mir geht es so wohl, als ich nur wünschen darf! Ich hoffe auch das, was meine Lage mir gibt, allmählich zu verdienen und einmal, wenn ich in die Heimat wiederkomme, der wahrhaft vortrefflichen Menschen, denen ich hier verbunden bin, nicht ganz unwürdig zu sein. Aber vier Wochen später ist er schon wieder weg, man weiß nicht warum. Er bekommt ein gutes Zeugnis von seinem Arbeitgeber und einen Pass für ganz Frankreich.

Er war zu Fuß von Nürtingen nach Bordeaux gekommen, acht Wochen war er unterwegs gewesen auf seiner Winterreise. In Straßburg hatte man ihn festgehalten, man mag die Fremden in Frankreich nicht so besonders. Er bekommt die Anweisung, sich in Lyon zu melden. Dort gibt er als Beruf homme de lettre an. Immerhin kennt er diese Wörter, seine Französischkenntnisse sind nicht die besten. Wenn er in Bordeaux ankommt, schreibt er an seine Mutter: Diese letzten Tage bin ich schon in einem schönen Frühling gewandert, aber kurz zuvor, auf den gefürchteten überschneiten Höhen der Auvergne, in Sturm und Wildnis, in eiskalter Nacht, und die geladene Pistole neben mir im rauen Bette – da hab ich auch ein Gebet gebetet, das bis jetzt das beste war in meinem Leben, und das ich nie vergessen werde. Ich bin erhalten. Danken Sie mit mir! Ihr Lieben! Ich grüße Euch wie ein Neugeborener, da ich aus den Lebensgefahren heraus war. Ich bin durch und durch gehärtet und geweiht, wie Ihr es wollt. Ich denke, ich will so bleiben in der Hauptsache. Nichts fürchten und sich viel gefallen lassen.

Das Gedicht Andenken, das an seine Zeit in Bordeaux erinnert, ist vermutlich das letzte vollendete und von Hölderlin selbst zum Druck gegebene Gedicht. Es wurde wahrscheinlich 1803 geschrieben und wurde 1808 zum erstenmal gedruckt. Es ist ein Gedicht, das vielerlei Deutungen erfahren hat, der Philosoph Dieter Henrich hat mit Der Gang des Andenkens. Beobachtungen und Gedanken zu Hölderlins Gedicht ein ganzes Buch über das Gedicht geschrieben. Und ein anderer Philosoph namens Heidegger hat dem Gedicht eine Vorlesung gewidmet. Normalerweise sind es ja Philologen, die einen Text interpretieren, hier sind es Philosophen. Norbert von Hellingrath, der Herausgeber der ersten kritisch-historischen Ausgabe von Hölderlins Werken, schreibt dazu: Wenn man keine Geheimnisse darin sucht und nicht die Ausführlichkeit biographischer Mitteilungen von ihm erwartet, ist das Gedicht so leicht verständlich, dass nicht einmal Uhlands und Schwabs Ängstlichkeit es von der Sammlung der Gedichte ausschloss.

Aber für jemanden wie Heidegger ist es ein schwieriger Text, weil er überall nicht vorhandene Geheimnisse sucht. Von besonderer Schwierigkeit sind die dort erwähnten Frauen, die braunen Frauen:

An Feiertagen gehn
Die braunen Frauen daselbst
Auf seidnen Boden,
Zur Märzenzeit,
Wenn gleich ist Nacht und Tag,
Und über langsamen Stegen,
Von goldenen Träumen schwer, 
Einwiegende Lüfte ziehen.

Wir könnten natürlich jetzt an die schöne Buchhändlerin mit ihrem Bikinihöschen am Strand von Hendaye oder an Brigitte Bardot in St Tropez denken, aber das können wir gleich wieder vergessen, auch wenn Hölderlins Zeilen schon mit einer gewissen Erotik aufgeladen sind. Den Sommer am Strand der Garonne wird Hölderlin nicht erleben, da ist er schon wieder weg. Und damals liegen auch noch keine Französinnen wegen der Sonnenbräune am Strand, die feine Gesellschaft verhüllt sich, Mädchen vom Land können braun, das heißt sonnengebräunt sein. Das Grimmsche Wörterbuch ist da ganz eindeutig:

braun bezeichnet die bräunliche, von der sonne gebrannte farbe des gesichts, der wangen und arme; ein ländliches mädchen heiszt ein braunes, schwarzbraunes, nuszbraunes: 

brauns mägdelin, zieh dein hembdlin ab
und leg dich her zu mir. Garg. 28b;
was läszt du mir zur letze,
mein brauns schwarz meidelein?
Hoffm. gesellsch. s. 9;
silber und gold geb ich darum,
dasz ich ein fein braunes mägdlein bekomm,
die fein züchtig wär und fromm. s. 71;
das braune mädel das erfuhr.
Göthe 1, 181;


Alle Beispiele bei den Grimms haben leicht sexuelle Konnotationen. Theodor W. Adorno spricht in einer scharfen Replik auf den Schwafelkönig Heidegger: während Hölderlins Verse eher von der erotischen imago der Südländerin entzückt sind, gestattet Heidegger unvermerkt den Übergang zu den deutschen Frauen und ihrem Lob, von denen im ausgelegten Gedicht schlechterdings nicht die Rede ist. Sie werden an den Haaren herbeigeschleift. Das, wogegen er sich wendet, ist ein atemberaubender Rückwärtssalto bei Heidegger, dem diese braunen Frauen offenbar unheimlich sind:

Die Frauen — Dieser Name hat hier noch den frühen Klang, der die Herrin und Hüterin meint. Jetzt aber wird er in dem einzigen Bezug auf die Wesensgeburt des Dichters genannt. In einem Gedicht, das kurz vor der Hymnenzeit und im Übergang zu ihr entstanden ist, hat Hölderlin alles gesagt, was zu wissen ist ('Gesang des Deutschen', Elfte Strophe, IV, 130): 'Den deutschen Frauen danket! sie haben uns Der Götterbilder freundlichen Geist bewahrt,' Die dem Dichter selbst noch verhüllte dichterische Wahrheit dieser Verse bringt dann die Hymne 'Germanien' zum Leuchten. Die deutschen Frauen retten das Erscheinen der Götter, damit es das Ereignis der Geschichte bleibt, dessen Weile sich den Fängen der Zeitrechnung entzieht, die, wenn es hochkommt, 'historische Situationen' feststellen kann. Die deutschen Frauen retten die Ankunft der Götter in die Milde eines freundlichen Lichtes. Sie nehmen diesem Ereignis die Furchtbarkeit, deren Schrecken zum Maßlosen verführt, sei es in der Versinnlichung des Götterwesens und seiner Stätten, sei es im Begreifen ihres Wesens. Die Bewahrung dieser Ankunft ist das stete Mitbereiten des Festes. 

Aber dann kriegt sich der Mann, der im Braunhemd zu seinen Vorlesungen kommt und seine Studenten mit Heil Hitler begrüßt, doch wieder ein und schreibt: Im Gruß des 'Andenkens' sind jedoch nicht die deutschen Frauen genannt, sondern die braunen Frauen daselbst. Dies erinnert an das südliche Land, wo das Element des himmlischen Feuers ein Übermaß an Helle verstrahlt und durch seine Glut die ihm Ausgesetzten fast zu verbrennen droht. Darauf hätten wir ja gleich kommen können. Bei Heidegger wird Hölderlin zum Deutschesten der Deutschen und zum Stifter des deutschen Seyns.

Das alles liest Heidegger auf seinem Holzweg aus dem Satz Was bleibet aber, stiften die Dichter heraus: Mit diesem Wort kommt Licht in unsere Frage nach dem Wesen der Dichtung. Dichtung ist Stiftung durch das Wort im Wort. Was wird gestiftet? Das Bleibende. Aber kann das Bleibende denn gestiftet werden? Ist es nicht das immer schon Vorhandene? Nein! Gerade das Bleibende muss gegen den Fortriss zum Stehen gebracht werden; das Einfache muss der Verwirrung abgerungen werden, das Maß dem Maßlosen vorgesetzt werden. Wir müssen immer bedenken, dass Heidegger, NSDAP Mitglied der ersten Stunde, während er über Hölderlin in seiner seltsamen Sprache fabuliert, in seinen erst spät bekanntgewordenen Schwarzen Heften seinen Antisemitismus niederschreibt. Also Sätze wie: Wenn erst das wesenhaft ´Jüdische´ im metaphysischen Sinne gegen das Jüdische kämpft, ist der Höhepunkt der Selbstvernichtung in der Geschichte erreicht.

In seinem Essay Heidegger und Hebel oder die Sprache von Meßkirch hat Robert Minder das Sprachgesülze von Heidegger auseinandergenommen. Nicht den geringsten Respekt vor unserem Meisterdenker aus Meßkirch hat René Sebastian Dorn in seiner Dissertation, die an der Université Michel de Montaigne in Bordeaux und der Uni Frankfurt angenommen wurde. Da sagt er über das Was bleibet aber, stiften die Dichter, das bei Heidegger zu einem der fünf Leitworte des Wesens der Dichtung geworden war: Heidegger prostituiert hier Hölderlins letzten Satz seines vermutlich letzten vollendeten Gedichts, dem 'Andenken' von 1803: Er meint, hier werde scheinbar der Aufenthalt in Frankreich berichtet, in Wahrheit aber sei der ganze Brief eine denkerische Besinnung auf das Wesen und die Aufgabe der künftigen Dichtung der Deutschen. Hätte er Bordeaux im Sinne eines 'natürlichen Vorhabens' (aus seinem Standpunkt hieße das wohl eine Besatzung) betreten, dann wüsste er, das dies Unsinn ist.

Hölderlin erwähnt kein Wort über die Deutschen in dem Gedicht, zudem könnte man sich darüber streiten, ob die letzte Zeile überhaupt als eine vollständige Aussage genommen werden kann. Die Weite in dem Gedicht bezieht sich eindeutig auf die Landschaft und die Gefühle, die eine Hafenstadt, eingebettet in Weinreben und Eichen eben in Hölderlin hervorruft. Dass dort braune Frauen vorkommen ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass sich zu der Zeit der zweitgrößte Sklavenmarkt (traite négrière) Frankreichs sich an den halbmondförmigen Quais von Bordeaux befand. Inder kommen in dem Gedicht vor, weil die East India Company dort ansässig war, etc. ... 

Hölderlin hatte vom Palais Meyer einen schönen Blick auf den Hafen, er kann den Sklavenmarkt gesehen haben. Aber wir wollen diese fremden braunen Frauen, négresses, mulâtres oder beurettes, nicht in den Text hineinlesen, obgleich es wirklich ein verführerischer Gedanke ist.

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