Samstag, 23. September 2023

Im blauen Licht der Stadt


Den Mann kennen Sie, er ist Schauspieler, er spielt die Hauptrolle in dem Kultfilm Diva, zu dem es hier schon einen ausführlichen Post gibt. Brigitte Lahaie halbnackt inklusive. Diva war der Film, der ihn berühmt gemacht hat. Er hat mehr als fünfzig Filme gedreht, aber Diva fällt einem immer zuerst ein, wenn man den Namen Richard Bohringer hört. Und dann vielleicht noch Die letzte Metro, wo er einen Gestapo Beamten spielt, Gefahr im Verzug, wo er ein Auftragskiller ist und Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber, wo er den Koch spielt. Richard Bohrunger ist nicht nur ein Film- und Theaterschauspieler, er schreibt auch Bücher. Wie dieses hier, das C'est beau une ville la nuit heißt und den Untertitel Blues hat. Wenn Sie den Titel anklicken, können Sie die ersten Seiten lesen. Es ist ein wildes Buch. Ein Text, der ein Roman sein kann, der aber auch, im Drogen- und Alkoholrausch geschrieben, eine Autobiographie sein kann. Eine Erzählung unterbrochen von Gedichten. Und durch das Ganze läuft im Hintergrund ein Jazzsound, der Untertitel Blues ist nicht zufällig gewählt. Célines Roman Voyage au bout de la nuit klingt stilistisch überall durch. Das fiel mir als erstes auf, aber das war den französischen Kritikern auch schon aufgefallen. Ein Kritiker nannte das Buch une balade, l'oeil et l'esprit grands ouverts au vif de la ville et au droit à la vie, une route de douleurs, de joies et finalement d'espérances.

Ich mag diese Bücher, die so völlig schräg daherkommen. Wie C'est à Hambourg oder die Romane von Gerd-Peter Eigner. Oder A feast of Snakes von Harry Crews. Irgendwann stelle ich mal eine Liste dieser völlig schrägen Romane zusammen, die so weit außerhalb der ordentlichen Romanwelt von Fontane und Thomas Mann sind. C'est beau une ville la nuit war das erste Buch des Schauspielers (er wird noch mehrere schreiben). Sie können ihn hier im Interview über sein Buch reden hören. Die französischen Literaturkritiker mochten dieses Buch, erstaunlicherweise hat es auch eine deutsche Ausgabe gegeben. Der Heyne Verlag, der neben seiner Massenware immer mal für Überraschungen gut war, brachte 1990 den Roman unter dem Titel Im blauen Licht der Stadt in der Übersetzung von Rudolf Kimmig als Paperback heraus. Frankreichs neue Kultfigur: Richard Bohringer - Kinostar und Poet stand fett hinten auf dem Buch drauf. Aber ist der Roman damals in Deutschland begeistert gelesen worden? Ich habe keine Rezensionen gefunden, er hätte welche verdient. Heute kann man das Buch, das damals 6,80 DM kostete, für 33 Cent bei booklooker kaufen. Es ist mehr wert.

Wenn Richard Bohringer in Die letzte Metro einen Gestapo Beamten spielt, dann mag ihm diese Rolle vielleicht seltsam vorgekommen sein. Hat er dabei an seinen Vater gedacht, den er nur dreimal in seinem Leben gesehen hat? Sein Vater hieß auch Richard Bohringer, er war ein blonder deutscher Offizier, der diese hübsche Französin aus Moulins geheiratet hatte. Als der kleine Richard geboren wurde, ließen ihn seine Eltern bei der Großmutter und zogen nach Deutschland. Sein Vater kam an die Ostfront und wanderte dann für fünf Jahre in die russische Gefangenschaft. Bohringer sagt, dass er bei seiner Oma eine glückliche Jugend gehabt habe. Sie brauchte ihn, sie hatte sonst nur die Einsamkeit: Elle ne voulait pas me partager, m’emmener les voir. Elle avait besoin de moi pour pas être seule. En fin de compte, ils se sont bien arrangés sur mon dos. In seinem Wohnzimmer hängt ein Photo seiner Eltern. Die er kaum gekannt hat, und die sich auch kaum gekannt haben. Bohringer hat sehr spät im Leben darüber geredet, dass er zu den enfants maudits, den Besatzungskindern gehörte. In C'est beau une ville la nuit läßt er seinen Erzähler am Ende sagen: Vie je te veux. Je t'ai toujours voulue. J'avais pas le mode d'emploi (Leben, ich will dich. Ich wollte dich immer. Ich hatte die Anweisungen nicht). Aber wer hat die schon, die Gebrauchsanweisungen für das Leben?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen