Samstag, 9. September 2023

Loyalisten

Der Maler John Singleton Copley ist am 9. September 1815 in London gestorben. Der bedeutendste amerikanische Maler des 18. Jahrhunderts war von Anfang an in diesem Blog. Copley ging 1774 nach England, weil er für sich dort bessere Berufsaussichten als in Boston sah. Die Bostoner seien entirely destitute of all just ideas of the arts, hat er gesagt. Er ist nie nach Amerika zurückgekehrt. Was er in seiner Jugend malte, war im höchsten Maße originell. Sie können hier das Buch John Singleton Copley in America lesen, es hat viele Bilder. Was er in England malte, wie dieses große Bild hier, war sicherlich perfekt, aber konventionell. Die einzige Ausnahme von der Konvention sind seine historischen Bilder wie The Death of Major Peirson, das zwei Jahre nach dem historischen Ereignis gemalt wurde. Das hatte es vorher nicht gegeben; der Amerikaner Benjamin West hatte mit dieser Malerei begonnen, als er den Tod des Generals Wolfe malte. Der Kunsthistoriker Fritz Baumgart hat in seinem Buch Vom Klassizismus zur Romantik die Malweise von Copley und West beschrieben als Bilder, die wie Aufnahmen für Filme von Cecil B. De Mille wirken: Hollywood avanti lettera, Popularisierung um jeden Preis. Lesen Sie mehr dazu in dem Post But we will paint for money!

Auch das Bild von Colonel William Fitch und seinen Schwestern Sarah und Ann Fitch im ersten Absatz hat etwas mit der neuesten englischen Geschichte zu tun. Als Copley das Bild malt, ist der Colonel schon tot. Gefallen in einem Hinterhalt der jamaikanischen Maroons, wie wir das hier auf einer Aquatinta nach einem Gemälde von F. J. Bourgoin sehen können. Wir sind im Second Maroon War, die Engländer haben jetzt fünftausend Mann auf Jamaika. Unser Colonel, frisch auf der Insel, hört nicht auf die Warnungen der Einheimischen und greift Trelawny Town an. Was mit seinem Tod und dem Tod seiner Soldaten endet. Sein Nachfolger im Amt, der Generalmajor George Walpole wird den Aufstand der Maroons beenden.

Wenn wir uns Copleys Bild genau anschauen, dann sehen wir, dass Ann, die ältere der beiden Schwestern, schon Trauer trägt, das ist jetzt aber keine symbolische Vorwegnahme des Todes ihres Bruders. Sie trägt Schwarz, weil ihre Eltern gerade gestorben sind, als Copley das Bild malt. Dass sie einen grünen Schirm in der Hand hält, passt vielleicht nicht zur Trauerkleidung, aber grüne Schirme sind gerade sehr chic. Die jüngere Schwester Sarah trägt weiß, weil sie in wenigen Monaten heiraten wird. Es war in der Mitte des 18. Jahrhunderts schon Mode geworden, dass junge Frauen nach der Verlobung weiße Kleider trugen. 

Die linke Hand enthüllt ihr Gesicht mit einer Geste, die Anthony van Dyke mehrfach verwendet hatte, es war eine Geste in antiquity to indicate a woman's chaste marital state. Benjamin West ist wie Copley Amerikaner und wird Hofmaler des Königs und Präsident der Royal Academy, beides wäre Copley auch gerne geworden. Beide Maler, die nach der Revolution nicht in ihre Heimat zurückgekehrt sind, haben viele loyalistische Emigranten als Kunden. Auch die Fitches kommen wie Copley aus Boston. Ihr Vater Samuel Fitch war der Advocate General der Massachusetts Bay Kolonie, er ist mit seiner Familie als Loyalist beim Beginn der Revolution nach London gegangen. In der Heimat gehörten die Fitches zur kolonialen Oberklasse, jetzt sind sie ein klein bisschen verarmt.

Aber die jungen Frauen wollen etwas von der Großstadt London haben. Copleys Enkelin wird viele Jahre später über die Fitch Schwestern schreiben: These ladies belonged to the class known as refugees,— persons who had seen more prosperous times under the colonial government; handsome, showy women, fond of company and gayety, but with scanty means of gratifying their taste. They delighted in going to London when their brother, at the head of his regiment, was stationed there. As they walked through the brilliant streets of the metropolis, attended by his servant, they attracted all eyes by their style and beauty. To Mrs. Copley's hospitable invitations they would gayly answer, 'We should indeed be delighted to accept, but alas! our scanty wardrobe hardly allows us to join your company.' They were sure, however, to appear fresh and elegant.

Sarah wird diesen jungen Mann heiraten, der hier auf Copleys Bild von William Vassal und seinem Sohn Leonard noch ein Kind ist. Leonard Vassall ist auf Jamaika geboren, wo sein Vater eine große Plantage besaß und gut an Zuckerrohr und Rum verdiente. Die junge Sarah Fitch heiratet einen Harvard Absolventen, der seine Familie finanziell unterhalten kann. Dank der Zuckerrohrplantage in Hanover auf Jamaika, die der Colonel William Fitch gegen die aufrührerischen Maroons verteidigen wollte. Die Maroons, die ein halbes Jahr für ihre Freiheit gegen die zehnfach überlegene englische Armee kämpfen, wird man nach Sierra Leone deportieren.

Die aus den amerikanischen Kolonien vertriebenen Loyalisten halten in London zusammen, auch wenn da etwas zweifelhafte Gestalten dabei sind. Und damit meine ich Peggy Shippen, die beste Freundin von Sarah Fitch Vasall. Wir können sie auch die Mata Hari der amerikanischen Revolution nennen. Sie wird schon in dem Post Verrat erwähnt, ebenso wie ihr Ehemann, der General Benedict Arnold. Der hat bei Saratoga, als er noch auf amerikanischer Seite kämpfte, einen Fuß verloren. Heute steht da ein steinerer Fuß, der an ihn erinnert. Peggy hat ihren General geheiratet, von den Summen, die die beiden vom englischen König bekommen haben, konnten sie gut leben. Wenn Peggy Shippen 1804 stirbt, wird sich ihre Freundin Sarah um den Nachlass kümmern.

John Singleton Copley hat das Bild der drei Fitches mit dem Pferd des Colonels begonnen. Pferde sind nicht so sein Ding, er nimmt sich dies Bild von Joshua Reynolds aus dem Jahre 1784, das den Prince of Wales zeigt, als Vorlage. Um sich der Sache mit dem Pferd sicher zu sein, hat Copley eine kleine Skizze (76 mal 63 Zentimeter) des Pferdes gemalt. Als Vorbild für den Colonel William Fitch, den Copley nie gesehen hat, nimmt er sich ein Bild von Thomas Lawrence, das auch aus dem Jahre 1784 stammt. Wenn er mit der rechten Häfte des Bilds fertig ist, kann er sich an die Darstellung der beiden Schwestern machen, die dafür nach London anreisen. Seine Ehefrau Susannah wird ihrer Tochter schreiben: Your father has been combating the unfavorable season for finishing the Misses Fitch's heads, which he accomplished two days since, to their and his own satisfaction; they have stayed in town till now for that purpose. They have taken a house thirty miles from London for one year, to which they set out this day. They are very agreeable; the more I know them, the more I esteem them. Mit der unfavorable season meint seine Frau den Ärger, den Copley mit dem riesigen Familienbild für Sir Edward Knatchbull hatte, von dem wir heute nur noch eine Skizze besitzen. 

Das Bild der Fitches, das die beiden Schwestern in Auftrag gegeben haben, ist auch ziemlich riesig, zwei Meter siebenundfünzig mal drei Meter vierzig groß. Es ist das größte conversation piece, das wir von Copley besitzen, da von dem Bild der Knatchbull Familie nicht viel übrig geblieben ist. Vom Bild zwar nicht, von der Familie schon, der dritte Earl Mountbatten of Burma trägt immer noch den Familiennamen Knatchbull. Die Schwestern werden das Bild nicht behalten. Nachdem es 1804 in der Royal Academy ausgestellt wurde, wird es zusammengerollt und nach Boston geschickt. Es ist ein Geschenk für ihren Onkel, den Chirurgen Dr James Lloyd, der hier von Gilbert Stuart portraitiert wurde (dieser Maler hat hier schon die Posts Gilbert Stuart und Dollarnoten). Copleys Ehefrau hat da auch noch gute Ratschläge parat, wie das Bild in der neuen Welt zu behandeln ist: Miss Fitch sent her picture to Mr. Lloyd. It went from this in very good order; should it, by being shut up, or by the dampness of the sea, contract a fog. It will only be necessary to have it well rubbed with a warm, soft handkerchief, which will restore the varnish. I mention this, as perhaps they may be at a loss, and apply to you for information.

Die beiden Schwestern werden sehr alt werden, Ann wird achtzig, ihre Schwester beinahe neunzig. Das Bild, das sie in Auftrag gaben, wird von den Nachkommen des Dr James Loyd der National Gallery in Washington geschenkt werden. Da hängt die in drei Teilen zusammengenähte riesige Leinwand immer noch. Man kann sie sich heute auch als Reproduktion ins Wohnzimmer hängen oder als T-Shirt kaufen. Eine schöne Interpretation des Gemäldes findet sich auf dieser Seite. Und der Katalog der Nationalgalerie, der bei mir im Regal steht, hat natürlich alle Daten und Fakten des Bildes. Ich habe den hier auch für Sie.


Noch mehr Copley gibt es in diesem Blog in den Posts: John Singleton Copley in EnglandJohn Singleton Copley: sharks & squirrels, hot potatoesHoya, 18th century: America,  But we will paint for moneySir William Beechey


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