Wenige Tage nach dem Fall der Mauer wurden auf den Straßen von Berlin Russenuhren zu Billigpreisen angeboten. Es sollen in Berlin auf Flohmärkten auch Kalaschnikows angeboten worden sein, das lassen wir jetzt mal weg. Es muss Unmengen von russischen Uhren in der DDR gegeben haben, denn eine Woche später standen die Händler schon auf den Straßen von westdeutschen Großstädten. Die Uhren, die da verkauft wurden, wurden als Militäruhren angepriesen. Sie waren groß und hatten bunte Zifferblätter, auf denen ein roter Stern, Panzer, U-Boote, Fallschirme und solche Dinge abgebildet waren. Sie kamen von Uhrenfirmen, die Poljot, Sturmanskie, Molnija, Wostok, Slawa und Raketa hießen.
Und schon bald gab es für Sammler die ersten Bücher von Michael Ceyp und Juri Levenberg, die alles über die russischen Uhrenfirmen und ihre Produkte enthielten. Die Uhren wurden gesammelt, weil sie spottbillig waren. Manche Sammler sammelten die Uhren nur wegen der Zifferblätter, so wie man bunte Briefmarken von San Marino sammelt. Russische Uhren waren plötzlich schick geworden. Als Wladimir Putin noch KGB Agent in der DDR war, wird er auch eine solche Uhr getragen haben; wahrscheinlich mit dem Wort Komandirskie drauf. Was natürlich Kommandeur heißt.
So etwas trägt er heute nicht mehr. Als er ganz nach oben aufgestiegen war, trug er sauteure schweizer Uhren von Patek Philippe, Blancpain und der IWC. Wie er sich diese Uhren von seinem offiziellen Jahresgehalt leisten konnte, bleibt unerfindlich. Die Frage einer englischen Zeitung How did Vladimir Putin afford his £450,000 watch collection worth six times his annual salary? ist nie beantwortet worden. Seit dem Beginn des Ukraine Kriegs, trägt Putin diese Uhren nicht mehr. Er trägt jetzt eine russische Uhr. Natürlich keine billige Wostok Komandirskie, sondern ein 24.000 Euro teures Einzelstück aus der Kaiserlichen Uhrenfabrik Peterhof.
Die hatte der Zar Peter der Große 1721 in einem Stadtteil von Petersburg gegründet, aber Uhren aus Petrodworez (Петродворцовый) gibt es eigentlich erst seit 1961, als die Firma Raketa da einzog. Die schmückt sich heute mit dem Namen Imperial Peterhof Factory und suggeriert eine dreihundertjährige Tradition im Uhrenbau, die es allerdings nie gegeben hat. Die Firma Raketa hat ihren Namen, weil eine Rakete den Kosmonauten Gagarin ins All getragen hatte. Der trug damals eine Pobeda Sturmanskie am Arm. Den Namen Pobeda (Sieg) hatte Stalin 1945 für die Uhrenfabrik ausgesucht, heute gehört der Markenname der Firma Raketa.
Das Uhrwerk in Gagarins Uhr kam aus Frankreich. 1937 hatte Frédéric Lipmann einen Vertrag mit der Sowjets gemacht und ihnen die technischen Unterlagen und Fertigungsanlagen für das Uhrwerk Lip K-26 verkauft, das dann in der UdSSR als Slava 2602 oder ZIM 2602 gebaut wurde. Die Uhren, die Fred Lip an die französische Armee lieferte, enthielten auch das Werk K-26, allerdings in besserer Qualität als die sowjetischen Versionen. Das Werk hatte eine Breguetspirale, die auch von den sowjetischen Fabriken beibehalten wurde. In Deutschland gab es übrigens vor den Uhren von Dr Kurtz keine Armbanduhr mit einer Breguetspirale. Als die Deutschen 1939 Besançon besetzten, endete der Uhrenexport in die Sowjetunion, aber die besaß inzwischen alles, um das Werk weiterbauen zu können.
Vor der russischen Revolution gab es keine Uhrenproduktion in Russland. Das war die große Zeit der schweizer Firmen, die sich auf den russischen Markt spezialisiert hatten wie Tissot, Borel, Matthey-Tissot, Henry Moser (der die IWC in Schaffhausen mitbegründete) und Paul Buhré. Der sich später Pawel Buhré nannte und in Petersburg Hoflieferant des Zaren war. Offenbar verschenkten die russischen Zaren tausende von silbernen Taschenuhren, die heute als Zarenuhren verkauft werden. Der Firmenname von Henry Moser ist 1996 von einer Moskauer Firma gekauft worden, sodass noch ein wenig von Schaffhausen in der russischen Uhrenindustrie ist. Nach der Oktoberrevolution war für die schweizer Firmen erstmal Schluss, die Kommunisten verschenkten keine silbernen Schweizer Taschenuhren mehr.
In Moskau versuchte man verzweifelt, eine eigene Uhrenproduktion aufzubauen. Am 20. Dezember 1927 war per Dekret die Gründung einer Uhrenfabrik bekanntgegeben worden, aber mehr als diese Absichtserklärung hatte man zuerst nicht. Erst 1930 stand die Fabrik, die wir hier auf dem Bild sehen. Die Verhandlungen mit kleinen Schweizer Uhrenfirmen zerschlugen sich. Dann kaufte man in Amerika zwei Uhrenfirmen, die Dueber Hampton Watch & Co. und die Ansonia Clock Company, sodass man 1930 die ersten fünfzig Taschenuhren herstellen konnte. Für den Aufbau der Industrie warb man auch kommunistische Uhrmacher aus Glashütte für die 1. Moskauer Uhrenfabrik an. Viele folgten diesem Ruf, denn um Glashütte stand es in der Weltwirtschaftskrise schlecht. Vorher hatte man in der Sowjetunion nicht gewusst, was Glashütte war, aber jetzt, wo Glashütter Fachleute die Russen ausbildeten, bekam der Name eine Bedeutung. Als die Russen 1945 Glashütte eroberten, wussten sie, was sie sich holen sollten. Alles, was mit der Herstellung des begehrten Tutima Fliegerchronographen Kaliber 59 zu tun hatte, kam nach Moskau. Die beiden Firmen Uhren Rohwerkefabrik AG Glashütte (UROFA) und die Uhren Fabrik AG Glashütte wurden komplett demontiert und wanderten in die Sowjetunion.
Das hier ist meine Lieblingsuhr, eine russische Wostok Komandirskie. Meine hat allerdings nicht dieses Millanaiseband, ich trage sie mit einem schönen braunen Lederband. An meiner zweiten Komandirskie, die in dem Post Sommerzeit zu sehen ist, ist jetzt ein dickes rotes Krokoband dran. Das sieht richtig crazy aus. Die Abbildung von dieser Komandirskie habe ich bei ebay gefunden, unter den tausenden von russischen Uhren im Internet war das die einzige mit diesem schlichten Zifferblatt. Ich nehme deshalb an, dass sie relativ selten ist. Das Zifferblatt trägt unten die Buchstaben CCCP, woraus wir schließen können, dass die Uhr mindestens dreißig Jahre alt ist. Die grünlichen Indices für die Stunden leuchten in der Nacht immer noch, das ist erstaunlich. Oder ist das gefährlich?
Auf der Rückseite des massiven Edelstahlbodens steht Amphibia und 200 Meter, das hier war mal eine Taucheruhr. Wenn man sie aufschraubt, kann man eine fette Gummidichtung sehen, vielleicht war die Uhr wirklich so wasserdicht, wie es auf dem Boden steht. Wozu natüröoch auch die verschraubte Krone beiträgt. Man sieht zuerst nichts von dem Werk, da ist ein Staubdeckel drüber. Das ist aber noch mehr als ein Staubdeckel, es ist eine Weicheisen Ummantelung, die das Werk vor Magnetismus schützt. Das Werk, ein Kaliber 2409A ist nichts Besonderes, nothing to write home about, würde der Engländer sagen. Immerhin hat das ✺Werk schon ein bewegliches Spiralklötzchen, sodass man den Gang und den Abfall korrigieren kann.
An die Genauigkeit eines Chronometers ist bei russischen Werken nicht zu denken. Selbst nicht bei diesen schönen Werken, die die Kopie eines Zenith 135 sind. Die sind auch in Wostok Uhren zu finden, hatten angeblich ein Chronometerzeugnis. Einmal die Woche muss ich meine Komandirskie stellen, aber das macht mir nichts. Ich mag das, wenn Uhren nicht so genau sind wie eine Quarzuhr. Quarzuhren sind mir immer unheimlich. Und eins muss man den Russenuhren lassen: sie sind robust, meine läuft seit dreißig Jahren. Man bekommt sie allerdings nicht mehr auf der Straße, auch nicht mehr für zehn oder zwanzig Mark.
Vor vielen Jahren habe ich in der Uni ein Seminar über die James Bond Romane von Ian Fleming gemacht. Der Held der Romane ist ja ein ganz anderer als der, dem wir auf der Leinwand begegnen. Er ist ein Gentleman, der (wie sein Schöpfer Ian Fleming) in Eton zur Schule ging und zu den Clubland Heroes zählt, wie Richard Usborne das genannt hat. Und der immer gut gekleidet war. In den ersten James Bond Filmen sorgte Anthony Sinclair dafür, dass Sean Connery aussah wie ein Gentleman. Zur ersten Seminarsitzung des James Bond Seminars kam ich in einem Anzug, der auch James Bond gut gestanden hätte, ein dunkler Zweireiher mit weißem Kreidestreifen von Ermenegildo Zegna. Das war vielleicht nicht ganz stilecht, dafür trug ich ein englisches Oberhemd und englische Schuhe. Anstelle der Rolex die man in den Filmen häufig sieht, trug ich meine alte russische Wostok Kommandirskie am Handgelenk. Mein Proseminar hat sehr über diesen Gag gelacht.
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