Samstag, 28. Dezember 2024

Jever: Bier und Kiebitzeier

Nachdem Fürst Friedrich August von Anhalt-Zerbst ohne männlichen Nachkommen verstorben ist, wird das Fürstentum Anhalt-Zerbst auf die verbleibenden Linien Anhalt-Dessau, Anhalt-Köthen und Anhalt-Bernburg aufgeteilt. Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau gewinnt per Los die Stadt Zerbst. Das war heute vor 227 Jahren. Steht so in der Wikipedia, die gerade mal wieder um Spendengelder wirbt. Auch wenn sich die Fürsten bei der Verteilung der Ländereien einig sind, etwas geht verloren. Und das ist das Lehen Jever, dieser ganz keine gelbe Fleck am Jadebusen. Das fällt, weil es ein Kunkellehen (welch schönes Wort) ist, an die Zarin Katharina

Jever kennen Sie wegen des Biers. Ich weiß nicht, ob es das schon gab, als Jever russisch war. Aber Bismarck hat mal in Jever Bier vom  vom Friesischen Brauhaus zu Jever getrunken. Und zu ihm hatte man in Jever ein besonderes Verhältnis: jedes Jahr bekam er von den Getreuen von Jever 101 Kiebitzeier. Fremdenführer werden nie aufhören, diese Geschichte zu erzählen. Es gibt in Jever auch ein schönes Schloss, das eine Besichtigung lohnt. Wenn Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau, der Zerbst per Los gewonnen hat,  auf Jever verzichten muss, tut ihm das nicht so weh.

Ihn zieht es eher nach England als nach Ostfriesland. Weil da englische Exzentriker wie William Beckford und Horace Walpole in Fragen von Kunst und Kultur den Ton angeben. Beckford ist Walpole in vielem ähnlich. Er macht auch die Grand Tour und schreibt darüber, baut auch ein neugotischen Gebäude, schreibt mit Vathek auch eine gothic novel. Als er vier oder fünf Jahre alt ist, wird er angeblich von Mozart unterrichtet (und angeblich hat Mozart die Melodie, die der kleine William Beckford spielte, später zu der Arie Non più andrai, farfallone amoroso verarbeitet), das kann Walpole nicht von sich sagen. Aber der eröffnet da schon sein Strawberry Hill, und der Fürst von Anhalt-Dessau ist anwesend. Dieser Leopold von Anhalt-Dessau ist ein Enkel vom alten Dessauer, und er ist ganz stark von der Anglomanie befallen. Diese Krankheit grassiert jetzt zum ersten Mal in Europa, weil die Engländer kulturell plötzlich Exportgüter haben: die englische Mode, der neu erfundene Regenschirm, der englische Roman, der englische Landschaftsgarten, der Palladian Style und jetzt noch die Neugotik.

Leopold ist mit seinem Freund Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff ständig auf Bildungsreisen, und Erdmannsdorf wird ihm später alles bauen, was man in England so sieht. Hauptsächlich klassizistisch, aber mit dem Gotischen Haus auch etwas Neugotisches wie Walpoles Strawberry Hill. Leopolds Imitator in puncto Landschaftsgarten und Schlossbauten ist der berühmte Fürst Pückler. Der ist zwar auch Fürst, aber er hat im Gegensatz zu Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau kein Fürstentum. 

Von seiner Anglomanie abgesehen, hängt Leopold auch an den Gedanken der Aufklärung. Er ist einer der wenigen deutschen Fürsten in dieser Zeit, die eine Politik der Toleranz betreiben, und er wird aus Anhalt-Dessau einen kleinen Musterstaat machen. Dafür sind seine Untertanen ihrem Vater Franz ewig dankbar. Und seine Parks, das Gartenreich Dessau-Wörlitz, sind heute Weltkulturerbe. Da kann man auch auf Jever, das Bier und die Kiebitzeier verzichten. Die Muskauer Parks von Pückler sind auch Weltkulturerbe, aber der hat sich durch seine Anglomanie finanziell völlig ruiniert. Hat uns allerdings diese wunderbaren Briefe eines Verstorbenen hinterlassen, die jeder Englandliebhaber lesen muss. Wenn man nicht alle Bände lesen will, dann sollte man zu der von Heinz Ohff (der mit Der grüne Fürst auch eine nette Pückler Biographie geschrieben hat) edierten Ausgabe greifen. Die tausend Seiten reichen vielleicht auch.

Ein Teil dieses Posts stand hier schon in meinem ersten Bloggerjahr. Damals dachte ich daran, einmal länger über den anglomanen Leopold zu schreiben. Habe ich nicht getan, aber alles, was in den fettgedruckten Links über die Grand Tour, die englische Mode, die Neugotik und den Landschaftsgarten steht, das habe ich dann doch geschrieben.


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