Unser Advent kommt vom lateinischen Wort adventus, das Ankunft bedeutet. Gemeint ist damit die Ankunft des Herrn (adventus Domini). Aber dieser Advent sind nicht nur die vier Sonntage vor Weihnachten. Für die Christenheit bedeutet das Wort Advent auch immer die Hoffnung auf die Parusie, die Wiederkehr Christi. Wenn ich heute am vierten Advent das Gedicht The Second Coming des irischen Nobelpreisträgers William Butler Yeats aus dem Jahr 1919 hierher stelle, dann passt das nicht so ganz zu Adventskranz und Weihnachtsoratorium. Das ist mir klar. Yeats schrieb, das sagen uns die Literaturhistoriker, das Gedicht unter dem Eindruck des gerade beendeten Ersten Weltkriegs und dem Beginn des Irish War of Independence. Der vielleicht schon mit dem Osteraufstand begonnen hatte, über den Yeats das Gedicht Easter, 1916 schrieb, das mit der Zeile endet: A terrible beauty is born. Aber Yeats wollte kein politischer Dichter sein. Als ihn Henry James 1915 um ein →Kriegsgedicht bat, antwortete er mit diesem Gedicht:
On being asked for a War Poem
I think it better that in times like these
A poet's mouth be silent, for in truth
We have no gift to set a statesman right;
He has had enough of meddling who can please
A young girl in the indolence of her youth,
Or an old man upon a winter’s night.
Kriegsgedichte sind nicht Yeats' Sache. Wenn er 1935 das →The Oxford Book of Modern Verse herausgibt, wird er die Kriegsdichter auslassen: I have a distaste for certain poems written in the midst of the great war; they are in all anthologies ... The writers of these poems were invariably officers of exceptional courage and capacity ... all, I think, had the Military Cross... but felt bound, in the words of the best known, to plead the suffering of their men. In poems that had for a time considerable fame, written in the first person, they made that suffering their own. I have rejected these poems ... passive suffering is not a theme for poetry. In all the great tragedies, tragedy is a joy to the man who dies; in Greece the tragic chorus danced.
Das Gedicht The Second Coming beginnt mit einem Falken, der sich in der Luft kreisend immer weiter vom Falkner entfernt hat. Es ist ein anderer Falke als der, den Gerard Manley Hopkins in seinem Gedicht The Windhover: To Christ our Lord beschreibt. Es würde sich lohnen, diese beiden Gedichte zu vergleichen. Der Falke bei Yeats gehorcht dem Falkner nicht mehr, die Welt ist aus den Fugen. The falcon cannot hear the falconer; Things fall apart; the centre cannot hold; Mere anarchy is loosed upon the world sind die Verse, die am häufigsten aus diesem ✺Gedicht zitiert werden. Der Leser, der hier every line famous! auf den Text geschrieben hat, hat schon Recht, nicht viele Gedichte können das von sich sagen.
The Second Coming
Turning and turning in the widening gyre
The falcon cannot hear the falconer;
Things fall apart; the centre cannot hold;
Mere anarchy is loosed upon the world,
The blood-dimmed tide is loosed, and everywhere
The ceremony of innocence is drowned;
The best lack all conviction, while the worst
Are full of passionate intensity.
Surely some revelation is at hand;
Surely the Second Coming is at hand.
The Second Coming! Hardly are those words out
When a vast image out of Spiritus Mundi
Troubles my sight: somewhere in sands of the desert
A shape with lion body and the head of a man,
A gaze blank and pitiless as the sun,
Is moving its slow thighs, while all about it
Reel shadows of the indignant desert birds.
The darkness drops again; but now I know
That twenty centuries of stony sleep
Were vexed to nightmare by a rocking cradle,
And what rough beast, its hour come round at last,
Slouches towards Bethlehem to be born?
Es ist ein apokalyptisches Gedicht, wenn man so will, ein Gedicht der Endzeit. Es ist ein Menetekel für das Nachkriegseuropa. Der schreckliche Mantikor, der auf Bethlehem zuschleicht, ist der Antichrist. Den hat sich Yeats aus der Apokalypse des Johannes genommen, einem Werk, das wie ein Drehbuch für Regisseure von Horrorfilmen erscheint. Es gibt Interpretationen über Interpretationen zu diesem Gedicht. Bei →Jay Parini (dessen Schaffen schon in dem Post Lew Tolstoi gewürdigt wird) kann man die Geschichte lesen, dass in seinem Seminar, in dem er das Gedicht von Yeats behandelte, ein Student sagt: He’s writing about Donald Trump, right? Das ist witzig, aber gar nicht so dumm. Das Things fall apart; the centre cannot hold; Mere anarchy is loosed upon the world passt auch zu Donald Trump. Und zu vielem anderen, das gerade in der Welt geschieht. Der Gaza Krieg überschattet die Weihnachtsfeierlichkeiten in Bethlehem. Das rough beast, von dem Yeats schreibt, ist da schon angekommen.
Ich habe zu dem Gedicht eine sehr schöne Übersetzung von Walter A. Aue, der mit seinen Übersetzungen schon mehrfach in diesem Blog zitiert wurde (so in Neujahr, Emily Dickinson und Tyger, Tyger). Neben den vielen schönen Übersetzungen, die sich im →Internet finden, hatte er ein ganz anderes Leben. Der Mann, der seinen Doktortitel in Wien erhielt, wurde Chemieprofessor in den USA. Und übersetzt so nebenbei deutsche Gedichte ins Englische. Oder englische Gedichte ins Deutsche:
Das zweite Kommen
Drehend und drehend in immer weiteren Kreisen
Versteht der Falke seinen Falkner nicht;
Die Welt zerfällt, die Mitte hält nicht mehr;
Und losgelassen nackte Anarchie,
Und losgelassen blutgetrübte Flut,
Das Spiel der Unschuld überall ertränket;
Die Besten sind des Zweifels voll, die Ärgsten
Sind von der Kraft der Leidenschaft erfüllt.
Gewiß steht jetzt bevor die Offenbarung;
Gewiß steht jetzt bevor die Wiederkunft.
Die Wiederkunft! Bevor noch ausgesprochen
Trübt groß die Vision aus Spiritus Mundi
Mir meine Sicht: Aus den Sänden der Wüste
Schimmert das Bild eines Löwen mit Kopf eines Mannes,
Wie Sonne starrend sein Blick, verschlossen und grausam,
Die zögernden Schenkel bewegend, daß rings um ihn her
Aufschwirren die Schatten empörter Vögel der Wüste.
Wieder bricht Dunkel herein - doch weiß ich es nun
Daß zwanzig Jahrhunderte eines steinernen Schlafes
Zum Albtraum erweckt vom Stoß einer schwankenden Wiege:
Und welch räudiges Tier, des Zeit nun gekommen,
Kreucht, um geboren zu werden, Bethlehem zu?
Wir wollen es nicht bei der apokalyptischen Adventsvision belassen. Ich habe noch ein Adventsgedicht für Sie. Eins, das zu Adventskränzen und ✺Weihnachtsoratorium passt. Ich bin durch Walter A. Aue auf das schöne kleine Adventsgedicht von Rilke gekommen, das Aue wiederum ins Englische übersetzt hat.
Advent
Es treibt der Wind im Winterwalde
die Flockenherde wie ein Hirt
und manche Tanne ahnt, wie balde
sie fromm und lichterheilig wird,
und lauscht hinaus. Den weißen Wegen
streckt sie die Zweige hin, bereit
und wehrt dem Wind und wächst entgegen
der einen Nacht der Herrlichkeit.
Advent
The winds drive through the forests,
running like sheep the snowflakes row by row.
A conifer dreams of the coming
of piety and candle glow
and listens out. Then, toward a clearing
she opens up her branches' space
against the wind - and stretches, nearing
the one night of exaltedness.
Ich wünsche all meinen Lesern einen schönen vierten Advent.
Ich wünsche all meinen Lesern einen schönen vierten Advent.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen