Montag, 13. Januar 2025

Gandamak


Ich war 2010 zwei Tage im Netz, als ich den Post Afghanistan schrieb. Der unter anderem davon handelt, dass die Schlacht, in der die Engländer 1842 eine ganze Armee in Afghanistan verloren, schon in Herman Melvilles Roman Moby-Dick erwähnt wird. Und natürlich wird aus Theodor Fontanes Gedicht Das Trauerspiel von Afghanistan die letzte Strophe zitiert:

Die hören sollen, sie hören nicht mehr,
Vernichtet ist das ganze Heer,
Mit dreizehntausend der Zug begann,
Einer kam heim aus Afghanistan.

Nur ein einziger, schwer verwundeter Brite von Stand erreichte die Festung, wo Trompeter Tage und Nächte lang die ergreifenden Nationalmelodien des schottischen Hochgebirges bliesen, ein Zeichen für die im Schnee verloren Herumirrenden, daß sie dem Schalle entgegeneilen und zu den befreundeten Landsleuten sich retten möchten, können wir 1848 in dem Buch Das Trauerspiel in Afghanistan des Orientalisten Karl-Friedrich Neumann lesen. Theodor Fontane hat seinen Gedichttitel von diesem Buch genommen, das ich hier im Volltext habe.

Der schwer verwundeter Brite von Stand ist der Militärarzt William Brydon, der am Nachmittag des 13. Januar 1842 das belagerte Fort Dschalalabad erreicht. Das Pony, das er von einem tödlich verwundeten Soldaten bekommen hatte, soll unter ihm tot zusammengebrochen sein, als er das Fort erreichte. Man hatte ihn vom Lager aus kommen sehen, war ihm entgegen geritten. Auf die Frage eines Offiziers: Where is the army? sagte er: I am the army. Das Bild The Remnants of an Army von Elizabeth Thompson Butler ist erst fünfunddreißig Jahre später gemalt worden. Es ist historisch nicht so ganz korrekt. In Fontanes Gedicht fällt Schnee vom Himmel, und auch der einzige Bericht, den wir von dem Ereignis haben, spricht von snow, which was about 6. Inches deep. Der Dr Brydon wird lange Zeit als der einzige Überlebende des Massakers von Gandamak gelten. Aber einige auf dem Bild im ersten Absatz, das William Barnes Wollen 1898 malte, haben auch überlebt.

Der Captain Thomas Alexander Souter, der sich die Regimentsflagge um die Brust gewickelt hatte (hier ist er als Zinnsoldat zu sehen), wird überleben, weil ihn die Afghanen für einen englischen General hielten: In the conflict my posteen flew open and exposed the colour: thinking I was some great man from looking so flash, I was seized by two fellows. Seit 1838 führen die Engländer Krieg in Afghanistan, sie werden diesen Krieg verlieren. Der Militärgeistliche George Robert Gleig, der als junger Mann Offizier in Wellingtons Armee gewesen war, wird 1843 über den Krieg schreiben: a war begun for no wise purpose, carried on with a strange mixture of rashness and timidity, brought to a close after suffering and disaster, without much glory attached either to the government which directed, or the great body of troops which waged it. Not one benefit, political or military, was acquired with this war. Our eventual evacuation of the country resembled the retreat of an army defeated.

Man kann in Afghanistan nur verlieren, das mussten auch die Russen in dem Krieg von 1979-1989 feststellen. Im Januar 2010 habe ich in dem Post Heeresreform geschrieben: Bei der Gründung der Verteidigungsarmee hätte niemand geahnt, dass eines Tages ein deutscher Verteidigungsminister sagen würde: Unsere Spur wird die Transformation der Truppe sein. Dafür stehen zwei Sätze. Erstens: Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt. Er ist akzeptiert, auch wenn mir zu wenig darüber diskutiert wird. Der zweite Satz lautet: Einsatzgebiet der Bundeswehr ist die ganze Welt. ... Grundsätzlich müssen deutsche Soldaten bereit sein, an Orten Verantwortung zu übernehmen, an die wir heute noch nicht denken. Ist das, was der ehemalige Stadtdirektor von Uelzen äußert, jetzt das, was die Engländer im Krieg mit German, German overalls verspotteten? Deutscher Größenwahn? Was Struck vor fünf Jahren sagte, scheint heute ja schon stillschweigend akzeptiert

In ihrer Neujahrspredigt 2010 hatte die damalige EKD Ratsvorsitzende Margot Käßmann den Satz Nichts ist gut in Afghanistan gebraucht, was ihr viel öffentliche Kritik einbrachte. Vielleicht hätte man genauer hinhören sollen, was sie damals in der Dresdner Frauenkirche sagte: Nichts ist gut in Afghanistan. All diese Strategien, sie haben uns lange darüber hinweggetäuscht, dass Soldaten nun einmal Waffen benutzen und eben auch Zivilisten getötet werden. Das wissen die Menschen in Dresden besonders gut! Wir brauchen Menschen, die nicht erschrecken vor der Logik des Krieges, sondern ein klares Friedenszeugnis in der Welt abgeben, gegen Gewalt und Krieg aufbegehren und sagen: Die Hoffnung auf Gottes Zukunft gibt mir schon hier und jetzt den Mut von Alternativen zu reden und mich dafür einzusetzen. Manche finden das naiv. Ein Bundeswehroffizier schrieb mir, etwas zynisch, ich meine wohl, ich könnte mit weiblichem Charme Taliban vom Frieden überzeugen. Ich bin nicht naiv. Aber Waffen schaffen offensichtlich auch keinen Frieden in Afghanistan. Wir brauchen mehr Fantasie für den Frieden, für ganz andere Formen, Konflikte zu bewältigen. Das kann manchmal mehr bewirken als alles abgeklärte Einstimmen in den vermeintlich so pragmatischen Ruf zu den Waffen. Vor gut zwanzig Jahren haben viele Menschen die Kerzen und Gebete auch hier in Dresden belächelt. 

2010 ist auch das Jahr in dem der Herr von und zu Guttenberg einräumt, man könne umgangssprachlich von Krieg in Afghanistan reden. Das Wort Krieg hatte der Verteidigungsminister bisher vermieden, auch bei seinem Ausflug nach Afghanistan mit seiner Gattin, den die Süddeutsche als Ego-Feldzug am Hindukusch bezeichnete, war nicht die Rede davon. Der Satz von George Robert Gleigaus dem Jahre 1843 Our eventual evacuation of the country resembled the retreat of an army defeated wurde 2021 wieder einmal aktuell, als die Taliban Kabul eroberten. Lesen Sie mehr dazu in dem Post Kabul-Wunstorf. Im letzten Jahr wusste Angela Merkel vor dem Afghanistan Ausschuss sehr wenig über das katastrophale Agieren der Bundesregierung zu sagen. Von Sätzen wie Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt war da nicht mehr die Rede.

Der englische Schriftsteller George MacDonald Fraser hat sich aus dem Roman Tom Brown's Schooldays von Thomas Hughes eine Romanfigur ausgeborgt. Harry Flashman ist da der Bösewicht an der Public School Rugby, alle anderen sind kleine viktorianische Gentlemen. Fraser, der ein Dutzend Flashman Romane schreiben wird, schickt den charakterlosen und bösartigen Leutnant Harry Paget Flashman im ersten Roman gleich nach Afghanistan. Am Ende des Romans ist er der einzige Überlebende, bekommt die Ritterwürde und das Victoria Cross von der Königin und den Händedruck vom Premierminister, dem Herzog von Wellington. Der ihm sagt: I wish you every good fortune, Flashman. You should go far. Das wird er. Am Ende der dutzend Flashman Romane ist der amoralische, verlogene Weiberheld in allen Kriegen gewesen, die England im 19. Jahrhundert geführt hat. Den Leser beschleicht bei der Lektüre das ungute Gefühl, dass die Flashman Saga vielleicht die realistischste Beschreibung des englischen Kolonialismus im 19. Jahrhundert ist. Und Flashman hat uns in dem Roman auch etwas zu Afghanistan zu sagen: Possibly there has been a greater shambles in the history of warfare than our withdrawal from Kabul probably there has not. Even now, after a lifetime of consideration, I am at a loss for words to describe the superhuman stupidity, the truly monumental incompetence, and the bland blindness to reason of the leader and his advisors. If you had taken the greatest military geniuses of the ages, placed them in command of our army, and asked them to ruin it utterly as speedily as possible, they could not—I mean it seriously—have done it as surely and swiftly as they did.

1 Kommentar:

  1. Ehrlich. Jetzt habe ich eine Weile gebraucht, ehe ich verstand, warum Sie wieder auf das Thema Afghanistan zurück kommen. Der 13. Januar...
    Viele Grüße

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