Montag, 27. Januar 2025

Otto & Sohn

Den Kalender links auf dem Bild hat mir meine Cousine Hannelore zu Weihnachten geschenkt. Er enthält Bilder aus dem Buch Vegesack - Leben am Fluss in den 50er und 60er Jahren, das der Buchhändler Martin Marder und Kai Rücker, der Sohn des Photographen Helmut Schröder zusammen gestaltet haben. Es ist exklusiv bei der Buchhandlung Otto & Sohn in Vegesack erhältlich. Dass dieses Buch im Entstehen war, weiß ich, weil mir Martin Mader (der schon mehrfach in diesem Blog erwähnt wurde) einige Photos aus den fünfziger Jahren geschickt hatte, die ich noch nie gesehen hatte. 

Das Buch mit den nostalgischen Photos wird das letzte Buch der Firma Otto & Sohn sein, die vor vier Jahre Fritz Theodor Overbecks Büchlein Vegesack Du schönes Städtchen wieder aufgelegt hatte. Im Sommer des Jahres wird Martin Mader die Buchhandlung in der Breiten Straße, die es seit achtundneunzig Jahren gibt, schließen. Als Mader die Buchhandlung 1992 übernahm, war sie schon nicht mehr im Familienbesitz der Ottos. Aber es gab damals noch eine Buchhandlung Otto im Ort, nämlich die von Conrad Claus Otto. Das Adreßbuch für den deutschsprachigen Buchhandel vermerkte 1958, dass es hier zu Verwechslungen kommen könnte. Die Buchhandlung von C.C. Otto habe ich schon in dem Post Catch-22 erwähnt. Der junge Conrad Claus Otto (1931-2007) hatte 1955 in der Bismarckstraße (die heute Sagerstraße heißt) eine ganz andere Buchhandlung aufgemacht, die beste des Ortes. 

Es war eine erstaunliche Buchhandlung für so ein kleines Nest wie Vegesack, sie lebte natürlich von der Persönlichkeit des jungen Buchhändlers. Der auch noch die schönste Frau unserer Schule geheiratet hatte, kaum dass die achtzehn war. Sie hatten sich bei den Proben zu Hindemiths Oper Die Harmonie der Welt kennengelernt, bei denen unser Schulchor mitwirkte (wie sie hier lesen können). Seine Frau Doris hat aus Liebe zu ihm in Lübeck eine Buchhändlerausbildung gemacht. Conrad Claus Otto war für Bremen-Nord so etwas wie Eckart Cordes in Kiel, obgleich der Kieler Kulturpreisträger vielleicht noch mehr berühmte Autoren in seine Buchhandlung gelockt hat als Conrad Claus Otto in seine. Aber immerhin hatte er 1980 zum 25jährigen Bestehen der Firma Walter Kempowski als Gast. Doris Otto hat nach seinem Tod den Laden, der inzwischen in die Gerhard Rohlfs Straße umgezogen war, noch fünf Jahre weitergeführt, aber dann musste sie ihn schließen. 
 

Die Familie Otto war seit 1860 in Vegesack im Geschäft mit Büchern und Papier. Da hatte nämlich der Buchbinder Christoph Christian Otto (1831-1902) am Kleinen Markt in der Bahnhofstraße eine Buchbinderei, Papier- und Buchhandlung eröffnet. Die Bahnhofstraße, in der mein Opa mal wohnte, als er am Anfang des Jahrhunderts in den Ort kam, heißt heute Reeder Bischoff Straße; der Kleine Markt heißt heute Botschafter Duckwitz Platz. Benannt nach Georg Ferdinand Duckwitz, der hier schon in dem Post Arnold Duckwitz erwähnt wird. Die Postkarte ist hundert Jahre alt, Bäume gibt es da heute nicht mehr auf dem kleinen Platz, jetzt gibt es da einen Marktbrunnen. Die Buchhandlung, die noch bis Anfang der siebziger Jahre bestand, ist da irgendwo links auf dem Bild. Neben dem Uhrmacher Hugo Molgedei, bei dem meine Eltern mir meine Tissot Seastar gekauft haben. Ganz links, hier nicht mehr auf dem Bild, wohnte meine Tante Cilly.

Christoph Christian Ottos Sohn Albert (1905-1984) übernimmt von seinem Vater die Buchhandlung am Kleinen Markt, er wird sie bis in die 1970er Jahre behalten. 1960 gönnt sich die Firma zum hundertjährigen Bestehen noch eine kleine Festschrift. C.C. Ottos Sohn Theodor Otto (1867-1949) kauft 1905 die Buchhandlung von Carl Eduard Jantzen in der Breiten Straße. Die hatte es dort als Buchhandlung, Kunst- und Musikhandlung nebst Leihbücherei seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gegeben. Unter der Leitung von Theodors Sohn Christel Otto (1899-1966) bekommt die Jantzensche Buchhandlung in den 1920er Jahren den Namen Th. Otto & Sohn. Christel Ottos Ehefrau arbeitete in der Buchhandlung mit, sie hatte sogar Prokura. Sie kam aus der Familie von F. W. L. Borowsky, die unten neben der Post eine Druckerei hatte. Es ist eine praktische Sache, wenn Buchbinder und Drucker zusammenkommen.

Ich ging auf dem Schulweg jeden Tag an der Buchhandlung vorbei. Ich guckte selten in die Schaufenster. Viel interessanter war die Eisdiele von Chiamulera genau gegenüber. Die einzelnen Läden ds Ortes, bei denen es sich lohnte, in die Schaufenster zu gucken, waren Harjes und Karl Kass. Und Erich Maack, nicht wegen seiner Tochter Annegret. Wegen der Photoapparate. In meinen Träumen geh ich manchmal wieder die Breite Straße entlang. Wenn meine Eltern mich in den Laden schickten, weil sie dort etwas bestellt hatten, bekam ich immer eine Quittung mit, auf der Praxisbedarf stand. So etwas erkennt heute kein Finanzamt mehr an, aber damals ging das. Die Bücher, die ich da gekauft habe, unter anderem zwei Bände von Proust Recherche, haben alle noch dieses kleine grüne Etikett, auf dem Th. Otto  & Sohn steht. Als ich begann, englische Bücher bei ihnen zu bestellen, guckten sie mich in der Buchhandlung etwas missmutig an. Englische Bücher gab es vor über sechzig Jahren kaum in deutschen Buchhandlungen, auch nicht im amerikanisch besetzten Bremen. Die einzige Ausnahme war Marga Schoeller in Berlin, die eine große Abteilung für englische Bücher hatte. Aber Otto & Sohn bestellte mir knurrend die Bücher. Mein Exemplar von Walt Whitmans Leaves of Grass hat auch noch das kleine grüne Otto & Sohn Etikett eingeklebt.

Das hier war der Kommentar von Til Mette auf die Prämierung der Hansestadt als Literaturstadt Bremen. Das Sterben der Buchhandlungen hört nicht auf. Vor Jahren hat die traditionsreiche Buchhandlung Leuwer in Bremen zugemacht, jetzt schließt Otto & Sohn. Da bleibt im Ort nur noch Thalia, nicht die Muse der komischen Dichtung und der Unterhaltung, die Ladenkette. Aber wozu braucht man Buchhandlungen? Lesen tut der Bremer ja nicht so gerne, Klaus Groth wird das erfahren, wenn er eine Bremerin heiratet. Und schon vorher hat Friedrich Engels, Volontär in der Bremer Leinenhandlung H. Leupold, konstatiert: Eine Teilnahme an der fortlaufenden Literatur des Gesamtvaterlandes findet hier nicht statt: Man ist so ziemlich der Ansicht, dass mit Goethe und Schiller die Schlusssteine in das Gewölbe der deutschen Literatur gelegt seien, und lässt allenfalls die Romantiker noch für später angebrachte Verzierungen gelten. Und im gleichen Jahr 1840 sagte Arnold Duckwitz: Ein Lesen, Studieren und Forschen ohne praktischen Zweck ist hier nicht zu Hause und muss da gesucht werden, wo man die Zeit hat.

Wenn das mit dem Sterben der Buchhandlungen so weitergeht, dann wird sich meine schöne Buchhändlerin nach einem neuen Beruf umsehen müssen.

Die Buchhandlung Otto & Sohn war schon häufiger in diesem Blog, so in den Posts die örtlichen Buchhandlungen, Nobelpreisträger, Literaturstadt Bremen, silvae: Wälder: Lesen, Eine Liebe von Swann, Geistiges Bremen und Buchhändler


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