Dienstag, 12. August 2025

verschwindende Bäder

Der Schönebecker Sand mit seinem schönen Sandstrand hat nicht immer Schönebecker Sand geheißen. Der Name taucht erst Ende des 16. Jahrhunderts in einem jahrzehntelangen Rechtsstreit der Familien Steding (Stedinck) und der Adelsfamilie von Schönebeck auf. Vorher heißt er Vegesacker Sand oder etwas unspezifisch ole und nie Werder. Werder heißt hier ja alles, was über dem Wasserspiegel liegt. Bis zu einem Verein namens Werder Bremen ist es noch ein langer Weg. Diese umstrittene Halbinsel zwischen Weser und Lesum ist ödes Land, mit Pappeln, Weiden und dichtem Gebüsch bestanden: dass man wohl einen halben Tag nach einem dazwischen weidenden Pferd hat suchen müssen. Kleinere Wasserläufe, die erste und die zweite Slugge und die Balge (ursprünglich die Hauptmündung der Lesum) schneiden sich in die Halbinsel ein. Offensichtlich kann man hier Lachse fangen, wie ein langer Rechtsstreit der von Schönebeck mit dem Bremer Rat um Fischereirechte belegt. Die zivilisierte Welt beginnt weiter hinten, beim Lesmer Bruch (Lesumbrook) und Stedings Haus (das älteste Haus Bremens), und da, wo seit dem 15. Jahrhundert die Moorlose Kirche ist.

Man kann auf der Karte, die der Vegesacker Lehrer Lüder Halenbeck im 19. Jahrhundert sorgfältig abgezeichnet hat (und deren Original seit dem Zweiten Weltkrieg verschwunden ist), die Größe der Halbinsel nicht so recht erkennen. Das liegt nicht an Halenbeck, sondern eher an dem Bremer Maler Cornelius Rützen; auf seiner Tuschzeichnung von 1573 kann man nicht erkennen, was was ist. Aber eins der beiden Schiffe auf der Weser soll einen Vorläufer der Bremer Speckflagge am Mast gehabt haben. 

Nach mehr als dreißigjährigem Rechtsstreit zwischen den Bremer Ratsherren Steding und den von Schönebeck wird entschieden, dass der vordere Teil (die Einöde) an das Haus Schönebeck geht und die Gegend fortan Schönebecker Sand heißt (man kann die Landzunge auf dieser Karte besser sehen). Die →Schönebecks haben davon nicht mehr so viel. Wenn der Junker Franz Wilken von Schönebeck 1661 stirbt, ist die Familie pleite. Gutsbesitz und Gerichtsbarkeit werden 1662 an einen Obristen Jacob von Schlebusch verkauft, seine Witwe wird es zwanzig Jahre später (nachdem sie zuvor einen geheimen Kaufvertrag mit der Stadt Bremen auflösen muss) an die Familie von der Borch verkaufen. 

Der Obrist Friedrich von der Borch wird 1686 das heutige Schönebecker Schloss bauen lassen. Ein Wasserschloss, um das herum man im Winter Schlittschuhlaufen konnte. Friedrich von der Borchs Nachfolger werden Generäle in Hannovers Diensten sein. Die hannöverschen Obristen und General-Lieutenants liegen in Lesum begraben. Und in der Hand der zwischen Holzhausen und Schönebeck verzweigten Familie werden das Gut und die umliegenden Meiereien für die nächsten Jahrhunderte bleiben. Ein von der Borch ist in den dreißiger Jahren Hitlerjugend Stammführer. Einer der letzten von der Borchs, die da noch gewohnt haben, wird als der Nuttenmörder von Frankfurt (so die Bild Zeitung) berühmt werden. Die Sache ist völlig aus dem Internet verschwunden, nur im Spiegel kann man noch lesen: Ein Gericht in Frankfurt hatte gegen den Freiherrn von der Borch zu verhandeln. In dessen Badewanne hatte sich die bereits stark verweste Leiche seiner Sekretärin gefunden, und der Freiherr war der alarmierten Streife mit einer Schärpe um den nackten Oberleib, einem Schlapphut auf dem Kopf und einem Degen in der Hand entgegengetreten. Die von der Borchs auf dem Stammsitz Gut Holzhausen betreiben heute ökologischen Landbau.

Aber die bremische Geschichte interessierte uns in den fünfziger Jahren an den Sommertagen nicht so sehr, wir wollten zum Baden. Seit 1936 ist auf dem Schönebecker Sand eine Badeanstalt (das kann man an der Flagge mit dem Hakenkreuz auf dieser alten Postkarte erkennen). Mit Umkleidekabinen und Duschen, mit einem Bademeister und in der Weser schwimmenden Holzplanken, die den Raum begrenzen, in dem man schwimmen durfte. Hinter dem Strand, zur Lesumseite hin, gibt es weißen Sand (wahrscheinlich die letzten Ausläufer der Bremer Düne), Dünengras und große Grasflächen, wo man Fußball spielen kann. Ende der fünfziger Jahre werden die ersten Mädchen im Bikini im weißen Sand in der Sonne liegen. Mit denen ist man zur Volksschule gegangen, jetzt sind es schon junge Frauen. Die Schönheiten, die zum Gymnasium gegangen sind, tragen keine Bikinis. Das erlauben ihre Eltern nicht, obgleich man die eine oder andere schon ganz gerne im Bikini sehen möchte. 

Man erreichte den Schönebecker Sand mit einer kleinen Fähre, die Hol Ober heißt (1925 bei Lürssen gebaut) und ihren Anleger neben dem großen Anleger der Lemwerderfähre hatte (die Fähre ist auf diesem Bild links unten zu sehen). Sie hatte keine festen Abfahrtszeiten, sie fährt, wenn sie voll ist. Oder der Käpt'n am gegenüberliegenden Anleger genügend Leute entdeckt. Die Fahrt, die hin und zurück einen Groschen kostet, dauerte nur wenige Minuten, am Hafen und der Auemündung vorbei und dann mit einer Schleife zum Anleger an der Spitze der Landzunge. Danach muss man noch fünfhundert Meter auf großen, rechteckigen Betonplatten gehen (die im Sommer glühend heiß werden und aus der Zeit stammen, als das hier eine Flakstellung war), und schon ist man da. Auf Hin- und Rückfahrt tuckert die Hol Ober einmal an der ganzen Heringsfangflotte der Vegesacker Fischereigesellschaft vorbei, der größten in Europa. Auf die waren wir im Ort stolz.

Der Schönebecker Sand war das Reich des Bademeisters Hermann Plebanski, von dem das Gerücht umging, dass er gar nicht schwimmen konnte. Ich sollte bei ihm das Schwimmen lernen und schwamm lustlos neben seinem Ruderboot her, aber richtig gelernt habe ich das bei ihm nicht. Das hat mir meine Mutter beigebracht, die in ihrer Jugend davon träumte, über den Ärmelkanal zu schwimmen und zum Training von Vegesack nach Bremerhaven die Weser entlang schwamm. Wenn man bei Google heute Bademeister Plebanski eingibt, erhält man dank des Google AI Overview die Sätze: Der Begriff 'Bademeister Plebanski' ist vermutlich eine Kombination aus dem Beruf des Bademeisters und einem möglichen Nachnamen. Es könnte sich um eine fiktive Figur handeln, wie zum Beispiel aus dem Buch 'Der Bademeister ohne Himmel' von Petra Pellini, in dem ein Bademeister namens Hubert eine Rolle spielt. Es ist auch möglich, dass es sich um eine scherzhafte oder informelle Bezeichnung für einen Bademeister handelt. Ich bin immer fasziniert davon, welchen Unsinn die KI produzieren kann. Den Bademeister Hermann Plebanski, der eine örtliche Institution war, kann man hier auf dem Photo sehen. Seine Tochter Gisela Arckel hat ihm in dem Buch Sehnsucht nach Meer ein kleines Kapitel gewidmet.

Von dem schönen Strandbad sind nur alte Photos und die Erinnerung geblieben, die Weser ist begradigt und verdreckt, den Hol Ober gibt es nicht mehr. Die Logger der Vegesacker Fischereigesellschaft auch nicht. Die Moorlose Kirche liegt nicht mehr in einer einsamen Landschaft, in der man ein Pferd einen halben Tag hätte suchen müssen, die Klöcknerhütte hat sich bis in ihre Nachbarschaft gefressen.

1951 hatte man den ehemaligen Mühlenteich der Heidbergmühle an der Ihle (einem Nebenfluss der Lesum) zu einem neuen Freibad ausgebaut, das den Namen Heidbergbad bekam. Als das Bad in Lesum eröffnet wurde, verlor der Schönebecker Sand für uns seinen Reiz. War zwar teurer als der Groschen für den Hol Ober, aber hier war das Wasser sauberer als in der Weser. Man konnte in Bahnen schwimmen, und es gab einen Sprungturm und Sprungbretter. Hier fanden auch die Schwimmwettbewerbe für das Sportabzeichen statt, die der lange Roder, der sonst vollkommen unsportlich war, auf allen Bahnen gewann.

Wir gaben den Schönebecker Sand auf und radelten an schönen Sommertagen mit unserer Clique nach Lesum. Das waren unsere Sommer in Lesmona. Zurück ging es immer unten an der Lesum entlang, das ist landschaftlich schöner. Und es fährt sich auch besser als auf dem rubbeligen Pflaster der Bremer Heerstraße. Ist natürlich für Radfahrer verboten, für Dreizehnjährige ist damals beinahe alles verboten. Einmal fahren wir beinahe in einen dicken Polizisten hinein, der hinter einer Kurve des Weges steht. Und uns alle aufschreibt. Er fängt mit Michael Stamatelatos an. Fremdländische Namen sind damals in Bremen noch nicht so verbreitet, und Stammi muss dem Polizisten das buchstabieren. Der will das immer noch nicht so recht glauben. Und als ihm dann Michael Ix beteuert, dass er Michael Ix heißt, kriegt der Wachtmeister einen Tobsuchtsanfall. Wir finden uns 14 Tage später alle an einem Sonntagmorgen in der Vegesacker Polizeiwache zu einem zweistündigen Verkehrsunterricht ein. Den Weg, der heute Admiral Brommy Weg heißt, benutzen wir natürlich weiterhin. Das Risiko mit dicken Wachtmeistern muss man eingehen.

Den Freischwimmerausweis habe ich im Lesumer Heidbergbad bekommen. Fahrtenschwimmer ein Jahr später im 1952 gebauten Bremer Zentralbad, das 1985 abgerissen wurde. Die Bäder der Jugend verschwinden alle. Und ein Viertel aller Deutschen kann nicht schwimmen. Ich mochte das Bremer Zentralbad, weil Hans Kalich daneben einen kleinen Laden hatte, wo er Luxuklamotten zum halben Preis verkaufte. Aber der Laden ist weg. Wie das Zentralbad. Vom Heidbergbad ist auch nur eine Landschaftsruine übrig geblieben, ich habe dazu hier ein trauriges kleines Video. 1994 hatte man noch große Pläne für das Bad, 1999 stand es auf der Streichliste der Innen- und Sportbehörde, 2005 wurde das Heidbergbad geschlossen. Einen Schildbürgerstreich nannten das viele, die das Bad vermissten. Eine Straße Am Heidbergbad gibt es aber noch.

1963 wurde in Vegesack im Fährgrund neben dem von Ernst Becker-Sassenhof gebauten Hochhaus ein Hallenbad gebaut. Wenn ich bei Google Fährgrund und Hochhaus eingebe, bekomme ich die Information: Der 'Fährgrund' in Vegesack ist keine Adresse eines Hochhauses, sondern eine Straße, die sich in der Nähe der Grohner Düne befindet. Die Grohner Düne ist eine Großwohnanlage mit mehreren 15-geschossigen Gebäuden, die ringförmig angeordnet sind. Nun ja, nichts davon ist wahr. Das Hochhaus war 1959 das höchste Gebäude des Ortes, und die Grohner Düne liegt kilometerweit vom Fährgrund weg. Draußen gab es noch ein Freibad, das sieht heute so aus. Die Sanierung von 2006 hat offenbar nichts gebracht, ich habe hier einen kleinen Film dazu. Seit Jahren gibt es schon Diskussionen, ob man das Ganze nicht abreißen soll. Die Bremer Bädergesellschaft stand im letzten Jahr vor der Pleite, die Chefin der Gesellschaft wurde gefeuert. 

Abreißen oder Umbauen? Man kann ja aus einem Hallenbad etwas ganz anderes machen, wie man am Kasseler Hallenbad Ost oder am Kieler Lessingbad sehen kann. Das Vegesacker Bad hat nach einem Ortsamtsleiter den Namen Fritz Piaskowski Bad bekommen. Vielleicht hätte man es lieber Hermann Plebanski nennen sollen. Wenn der am Strand mit seiner Flüstertüte rumbrüllte, wusste man was Sache war. Meinen DLRG Grundschein habe ich an der Heeresoffizierschule in Hannover gemacht. Ich nehme an, dass deren kleines Hallenbad noch steht.

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