Montag, 18. September 2017

Ehrenworte


Man kann in Flensburg Punkte sammeln, aber man sollte das lieber lassen. Man könnte allerdings das Flensburger Modell auf die Politik übertragen, das las ich letztens bei Erich Maletzke. Erich Maletzke hat Englisch und Geschichte studiert, aber er ist kein Studienrat geworden. Er wurde Journalist und hat auch mindestens ein Dutzend Bücher geschrieben. Und man konnte ihn im Radio mit seinem Ironischen Wochenrückblick hören. Ironie ist etwas, was Maletzke meisterhaft beherrscht. In seinem Buch Zwischenrufe aus Schleswig-Holstein macht er im Kapitel Bürokratisches einen verblüffenden Vorschlag: ... jeder Verkehrsteilnehmer weiß ganz genau, was er sich leisten kann, ehe der Führerschein kassiert wird. Was liegt eigentlich näher, als dieses bewährte System auch in der Politik einzuführen. Für jede Lüge gäbe es einen Punkt, für jede von einem Amigo bezahlte Reise drei Punkte, und wenn das Konto auf sechs Punkte angewachsen ist, erfolgt automatisch ein Politik-Verbot für die Dauer eines Jahres...

Man sollte überlegen, ob man Maletzkes Vorschlag nicht noch verfeinert und für ganz schlimme Lügen gleich drei Punkte verteilt. Ich denke da an Sätze wie: Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben oder Meine von mir verfasste Dissertation ist kein Plagiat, und den Vorwurf weise ich mit allem Nachdruck von mir. Oder der Satz von Frau Schavan: Ich bin davon überzeugt, dass die Plagiatsvorwürfe unberechtigt sind und dass sie ausgeräumt werden. Hier könnte noch mehr stehen, zum Beispiel diese ➱Silvana Koch-Mehrin, aber wir lassen es mal dabei.

Wir hatten uns daran gewöhnt, mit der gelegentlichen politischen Lüge zu leben, bis uns die Regierung von Donald Trump völlig neue Dimensionen eröffnet hat. Das postfaktische Zeitalter, in dem die Nasen länger und die Beine kürzer werden, hat die politischen Visionen von George Orwell längst überholt. Das Punktesystem von Maletzke ist nett, aber es wird nichts helfen. Die Lüge ist wie ein Schneeball: je länger man ihn wälzt, desto größer wird er, wusste schon Martin Luther.  Und Bismarck soll gesagt haben: Es wird niemals so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd.

Die Lüge gehört zu den Grundlagen der Politik. Versichert uns Hannah Arendt in ihrem Essay Wahrheit und Lüge in der Politik: Wahrhaftigkeit ist nie zu den politischen Tugenden gerechnet worden, weil sie in der Tat wenig zu dem eigentlich politischen Geschäft, der Veränderung der Welt und der Umstände, unter denen wir leben, beizutragen hat. Dies wird erst anders, wenn ein Gemeinwesen im Prinzip sich der Lüge als einer politischen Waffe bedient, wie es etwa im Falle der totalen Herrschaft der Fall ist; dann allerdings kann Wahrhaftigkeit als solche (...) zu einem politischen Faktor ersten Ranges werden. Wo prinzipiell und nicht nur gelegentlich gelogen wird, hat derjenige, der einfach sagt, was ist, bereits zu handeln angefangen, auch wenn er dies gar nicht beabsichtigte. In einer Welt, in der man mit Tatsachen nach Belieben umspringt, ist die einfachste Tatsachenfeststellung bereits eine Gefährdung der Machthaber.

Heute vor dreißig trat ein deutscher Ministerpräsident vor die Öffentlichkeit und sagte: Meine Damen und Herren, über diese Ihnen gleich vorzulegenden eidesstattlichen Versicherungen hinaus gebe ich Ihnen, gebe ich den Bürgerinnen und Bürgern des Landes Schleswig-Holsteins und der gesamten deutschen Öffentlichkeit mein Ehrenwort – ich wiederhole: Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort! – dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind. Es war seine Reaktion auf einen Artikel des Spiegel, der schlimme Dinge aufdeckte. Gegenüber Journalisten hatte Uwe Barschel wenige Tage zuvor noch gesagt: Das Einzige, was an dem Artikel stimmt, ist die Schreibweise meines Namens. Aber von dem Artikel des Spiegel stimmte noch mehr, viel mehr. Ich konnte das Ereignis vor fünf Jahren nicht auslassen und schrieb den Post ➱Ehrenwort. Wurde nicht gelesen. Politische Lügen interessieren niemanden mehr, mit oder ohne Ehrenwort.

Da ich oben zwei Doktoranden erwähnte habe, möchte ich noch einmal auf das Thema Doktorarbeit zurückkommen. Herr Barschel besaß zwei Doktortitel, was ihm auch den Spottnamen Dr Uwe Uwe einbrachte. Dem Gerücht nach soll es sich um dieselbe Arbeit (Die Stellung des Ministerpräsidenten von Schleswig- Holstein unter besonderer Berücksichtigung der Gewaltenteilung) gehandelt haben, die mit leicht verändertem Titel einmal den Politologen und zum anderen den Juristen vorgelegt wurde. Das stimmt nicht ganz, aber wir lassen das mal so stehen (ich kenne übrigens Barschels Ghostwriter, dem der Dr Uwe Uwe zum Dank eine schöne Karriere sicherte). Die Arbeit ist nicht gerade auf hohem Niveau. So heißt es in dem Suhrkamp Band Paradoxien, Dissonanzen, Zusammenbrüche von Hans U. Gumbrecht und K. Ludwig Pfeiffer:  Neben seiner politologischen Dissertation hat Barschel noch eine juristische Doktorarbeit über die Rechtspolitik der CDU geschrieben, wobei ihm der doppelte Doktor den Spitznamen »Baby Docdoc» einbrachte. Beide Dissertationen sind von geradezu bestürzender Dürftigkeit - nichts als Kompilationen von CDU-Papieren und verfassungsgeschichtlichen Gemeinplätzen.

Bei dem Untersuchungsausschuss zur Barschel Affäre tat sich der junge Abgeordnete Dr Trutz Graf Kerssenbrock hervor, was seiner Partei der CDU überhaupt nicht gefiel. Und wie rächt man sich an dem Nestbeschmutzer? Barschel mochte tot in der Badewanne liegen, aber die Methoden, mit denen er regiert hatte, die waren ja noch vorhanden. Da zweifelt man doch als erstes mal den Doktortitel des Grafen an, und die Juristische Fakultät der Christian Albrechts Universität tut das, was sie in der Ära Barschel gewohnt war: sie kriecht und kuscht. Und drängt Kerssenbrock zur Rückgabe des Titels. Völlig zu Unrecht, wie sich herausstellte, er hat seinen Titel längst zurück.

The aim of the liar is simply to charm, to delight, to give pleasure. He is the very basis of civilized society, hat Oscar Wilde gesagt. Er kann Barschel nicht gemeint haben. Als der bei seiner Pressekonferenz durchgeschwitzt und vollgekokst seine Erklärung abgab und danach den Kopf in den Händen verbarg, war da nichts von Charme und Vergnügen.

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