Mittwoch, 15. Mai 2019

Pflastersteine


Der nordfriesische Dichter, Maler und Revolutionär Harro Harring starb am 15. Mai 1870 im Exil in Saint Helier auf Jersey. Victor Hugo, selbst Exilant auf einer Kanalinsel, nannte den Friedhof der Flüchtlinge unser Westminster und St. Denis. Harro Harring hat in diesem Blog schon seit 2010 einen Post, dem ich heute noch einige Dinge hinzufügen möchte. Das eine sind seine mehrbändigen Reisebeschreibungen Rhonghar Jarr: Fahrten eines Friesen in Dänemark, Deutschland, Ungarn, Holland, Frankreich, Griechenland, Italien und der Schweiz; vier Bände nebst einem Vorläufer, die man im Internet lesen kann. Wenn ich auf einen Netzfund wie Rhonghar Jarr hinweise, möchte ich Harrings Tragikomische Abenteuer eines Philhellenen mit dem schönen Vorwort von Heinrich Conrad nicht auslassen. Das andere ist die Biographie von Peter Matthews Harro Harring: Rebell der Freiheit, die war 2010 als ich den Harro Harring Post schrieb, noch nicht erschienen. Wenn auch der romanhafte Stil etwas stört, ist es aber das Beste, was derzeit zu Harring auf dem Markt ist. Und es ist auch ein Buch, das allen Facetten des Nordfriesen Harring gerecht wird. Das Buch Harro Harring, der Friese von Thusnelda Kühl aus dem Jahre 1906 war schon bei seinem Erscheinen keine sichere Quelle.

Karl Marx hat Harring gehasst, er hat keine Gelegenheit ausgelassen, ihn zu verhöhnen. Sie können das Bösartigste in dem Post Harro Harring lesen. Wir vergessen Karl Marx einmal einen Augenblick und wenden uns anderen Quellen zu. Harring galt als gescheiterter Wirrkopf – bis der Historiker Walter Grab auf ihn aufmerksam wurde und ihn als eine der erstaunlichsten Figuren im Zeitalter zwischen dem Sturz Napoleons und dem Beginn der Arbeiterbewegung bezeichnete. Mit seinem Aufsatz „Harro Harring – ein revolutionärer Odysseus der Freiheit“ gab er 1982 den Impuls zur Gründung der Harring-Gesellschaft, können wir auf der Homepage der Harro Harring Gesellschaft lesen. Und glücklicherweise ist der Aufsatz des Historikers, der der Ehrenpräsident der Gesellschaft werden wird, im Internet, Sie können ihn hier lesen.

Der Direktor der Harro Harring Gesellschaft wurde Ulrich Schulte-Wülwer, ein Kunsthistoriker, der die Flensburger Kunstsammlungen gepflegt hat und dem wir den wunderbaren Katalog Malerei in Schleswig-Holstein verdanken. So etwas hat die Kunsthalle Kiel nicht zu bieten. Unter Jens Christian Jensen ist zwar mal der alte Katalog von Lilli Martius überarbeitet worden, aber das kann man nicht mit Malerei in Schleswig-Holstein vergleichen. Als Ulrich Schulte-Wülwer in den Ruhestand ging, sagte er: Sicherlich das leidige Thema Geld. Als städtisches Museum bekommen wir keinen Pfennig vom Land wie etwa Gottorf oder die Kunsthalle Kiel. Aber ich muss in Dankbarkeit sagen, dass die Stadt Flensburg immer ihr Möglichstes getan hat, den Betrieb am Laufen zu halten.

Geld ist nicht alles. Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, sagte im letzten Jahr im Bundestag: ... Und wieder einmal war die Debatte zum Kulturetat so kurz, dass kein Abgeordneter seine Gedanken wirklich sinnvoll ausführen konnte. Kulturpolitik ist zu wichtig, um sie als Anhängsel bei der Generaldebatte zur Politik der Bundeskanzlerin mit zu behandeln. 1,58 Milliarden Euro für Kultur und Medien auf Bundesebene sind super und trotzdem, das wurde in der Debatte deutlich: Geld ist nicht alles! Dieses Bild von Harring (eine Kopie nach Wouwerman) aus dem Jahre 1820 hängt in Flensburg. In den 1820er Jahre wurde es Harring klar, dass er doch nicht zum Maler geschaffen war, später malte er nur noch, wenn er Geld brauchte. Und das brauchte er immer wieder, aber immer wieder halfen ihm andere aus. Wie zum Beispiel Victor Hugo.

Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt drauf an sie zu verändern, hat Marx gesagt. Verändern wollte Harring die Welt auch, aber es ist ihm nicht gelungen. Harring hat über sich gesagt, dass er ein sentimentaler, für das bürgerliche Leben total unbrauchbarer Mensch, ein Stiefbruder des Hamlet war. Zwischen einer himmelstürmenden Hingabe an die ganze Menschheit und einer grüblerischen Beschäftigung mit dem eigenen Ich stets hin- und hergeschleudert, gelang es ihm nie, auf dem Boden der Wirklichkeit recht Fuß zu fassen, schreibt Walter Grab. Diese Bleistiftzeichnung des jungen Harring ist von dem Bildhauer Hermann Wilhelm Bissen, der den berühmten Idstedt Löwen geschaffen hat.

Man hat den Dichter Harring, der einst ein vielgelesener Autor war, nicht ganz vergessen. Als der Flensburger Professor Peter Nicolaisen die Anthologie Stimmenvielfalt: Gedichte aus Schleswig-Holstein: Vom Barock bis in die Gegenwart herausgab, enthielt der Band auch Gedichte von Harro Harring. Eins davon möchte ich heute zum Schluß zitieren:

Der Bundestag

In Frankfurt, da sitzt der deutsche Bund
Und macht Verbote auf Verbote kund!

Das wird dem deutschen Bund recht schwer –
Denn er findet gar wenig zu verbieten mehr.

Drum stöbert er emsig in jedem Mist,
Wenn nur irgend was drin zu verbieten ist.

Und nächstens wird er mächtig schrei’n:
Es darf in den Straßen kein Pflaster sein!

Denn so lang’ das Volk auf’m Pflaster geht;
Eine Waff’ ihm noch zu Gebote steht.

Ein gefährlich’ Ding; - so’n Pflasterstein!
Drum muß das Pflaster verboten sein!

Der Bundestag fürchtet sich sehr vor’m Tod,
Drum arbeitet er – an dem Pflaster-Verbot.

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