Donnerstag, 12. Dezember 2019

Plättbretter


Where are all the angry young men now?
Where are all the angry young men now?
Barstow and Osborne, Waterhouse and Sillitoe,
Where on earth did they all go?
And where are all the protest songs?
Yes, where have all the angry young men gone?

Das sangen die Kinks 1973 in Where are they now? Ich habe den Song schon in dem Post Christine Keeler zitiert. Der Schriftsteller John Osborne, der da erwähnt wird, wurde heute vor neunzig Jahren geboren. Sein erster großer Erfolg als Dramatiker war Look Back in Anger (1956) unter der Regie von Tony Richardson. Seit diesem Stück redete ganz England vom kitchen sink drama und den Angry Young Men. Das Stück war autobiographisch, stärker als man damals ahnte: When Lane saw the play she immediately recognised this portrayal. When asked, many years later, about her reaction, she said: ‘I felt as though I had been raped.’ The play was a theatrical version of revenge porn, heißt es im Spectator in einer Besprechung von Dearest Squirrel: The Intimate Letters of John Osborne and Pamela Lane.

I was unable to take my eyes off her. I watched her eating, walking, bathing, making-up, dressing, undressing, my curiosity was insatiable. Seeing her clothes lying around the floor (she was hopelessly untidy, in contrast to my own spinsterish habits). There was little doubt in my otherwise apprehensive spirit that I had carried off a unique prize…. Perhaps I interpreted what might have been bland complacency for the complaisance of a generous and loving heart, hat John Osborne in Looking Back über seine erste Frau Pamela Lane geschrieben.

Als Look Back in Anger auf die Bühne kommt, ist Osborne gerade von Pamela Lane geschieden. Die Neue an seiner Seite ist Mary Ure, die auch die Hauptrolle in dem Theaterstück spielt. Aber wen Osborne auch heiratet (er war fünfmal verheiratet), seine Beziehung zu Pamela Lane wird niemals ganz abreißen. Die Franzosen würden so etwas eine amour fou nennen. In seiner zweibändigen Autobiographie A Better Class of Person (1981) und Almost a Gentleman (1991) wird Osborne beleidigende Dinge über viele seiner Frauen von sich geben. Der Satz von Jimmy Porter aus Look Back in Anger: I hope you won't make the mistake of thinking for one moment that I am a gentleman, trifft auf ihn zu, ein Gentleman ist er nicht. Nach dem Erfolg von Look Back in Anger hat er sich gleich einen sauteuren Alvis (the thinking man's Rolls Royce, wie der Osborne Biograph John Heilpern schreibt) gekauft. Der die ironische Autonummer AYM I hatte, Angry Young Man Nummer 1. Einen Bentley fuhr er auch mal, er genießt jetzt das Geld, das ihm das Stück einbringt.

Die Filmkritikerin Penelope Gilliatt, der er schrieb: will you marry me? It’s risky, but you’ll get fucked regularly, kommt in den Memoiren noch halbwegs gut davon. Schlimm ist, was er über Jill Bennett (die für ihn den Spitznamen Adolf hat) sagt: She was a woman so demoniacally possessed by avarice that she died of it. How many people have died in such a manner, of avarice? … This final, fumbled gesture, after a lifetime of glad-rags borrowings, theft and plagiarism, must have been one of the few original or spontaneous gestures in her loveless life… During the nine years I lived beneath the same roof with her, she spent half the day in bed. There was a short period when she took dressage lessons, that most intensive course in aids to severe narcissism. Als er das schreibt, hat er gerade gehört, dass sie Selbstmord begangen hat.

Es gibt noch andere Frauen in Osbornes Leben, Frauen, mit denen er nicht verheiratet war und die keinen Selbstmord begingen. Eine von denen ist diese Schönheit, die seine Geliebte wurde, als er gerade Mary Ure geheiratet hatte. Sie heißt Francine Brandt (hier ist sie 1961 in Acapulco) und ist eine Schauspielerin, wie man so sagt. Also in grottenolmschlechten Filmen wie Fermi tutti... arrivo io!. Aber man liebt sie in der Welt des Jet Sets, sie kennt Roger Vadim und Brigitte Bardot und ist Gast auf der Yacht von Onassis. Francine Brandt was a courtesan, hat Elaine Anderson gesagt und hinzugefügt: I would call her the most expensive call girl in the world. Osborne wird eine zweijährige Affaire mit Francine haben. Mary Ure wird vor dem Londoner Scheidungsrichter aufzählen, dass ihr Mann mit Miss Jocelyn Rickards in London, Miss Francine Brandt in Jamaica and elsewhere, and with Mrs Penelope Gilliatt at Hellingly Ehebruch begangen hat.

Diese Frau mit den grünen Augen kommt nicht aus der Welt, in der Francine Brandt herumflittert, aber auch mit ihr wird Osborne eine Affaire haben. Gleichzeitig mit Francine. Wenn schon, denn schon, wird sich unser Lothario gesagt haben. Sie sieht unscheinbar aus, aber der Einfluss, den sie in den sechziger Jahren haben wird, ist gewaltig. Sie ist die Kostümdesignerin für die Stücke von Osborne und deren Verfilmungen. Sie hat die Kleider von Vanessa Redgrave und Sarah Miles in Blow-Up (zu dem Film gibt es hier schon den Post Swinging London) entworfen, die Kleider für Rita Tushingham in The Knack und für Glenda Jackson in Sunday, Bloody Sunday. Auch einen James Bond Film hat sie ausgestattet. Die Sixties sind nicht nur Mary Quant, die Sixties sind Jocelyn Rickards. Über sie wird Osborne in seinen Autobiographien nichts Böses sagen.

In der ersten Szene von Look Back in Anger steht Alison Porter, gespielt von Mary Ure, am Bügelbrett. Oh no, not the ironing board, hat Pamela Lane gestöhnt, als der Vorhang bei der Premiere aufging. Es ist wahrscheinlich das berühmteste Bügelbrett der englischen Theatergeschichte. Neben Mary Ure ist Alan Bates in der Rolle des Cliff Lewis zu sehen. Dieser Cliff Lewis ist in Wirklichkeit niemand anderer als Anthony Creighton, der der Co-Autor vieler Theaterstücke von John Osborne war.

Ich weiß nicht, wie sich Mary Ure dabei gefühlt hat, dass sie auf der Bühne die Rolle der ersten Mrs Osborne spielen muss. Sie wird später genau wie Jill Bennett später Selbstmord begehen. Sie spielt die Alison Porter auch in der Broadway Inszenierung und in dem Film, den Tony Richardson (der hier schon in den Posts CardiganJohn Schlesinger und Laurence Harvey erwähnt wird) drehen wird. In dem Film (den Sie hier in guter Qualität im Original sehen können) spielt Richard Burton die Hauptrolle, obgleich er eigentlich für die Rolle des Jimmy Porter viel zu alt war. Das berühmte Plättbrett ist übrigens am Anfang auch zu sehen.

Der nächste große Erfolg für Osborne war The Entertainer, ein Stück, dass Osborne auf eine Bitte von Laurence Olivier für den Schauspieler geschrieben hatte. Unter der Regie von Tony Richardson wurde das Stück verfilmt, wieder mit Laurence Olivier in der Hauptrolle. Sie können The Entertainer, der damals in den Kinos kein großer Erfolg war, aber heute als Klassiker gilt, hier sehen.

Hier wird John Osborne gerade von der Polizei abgeholt, aber das ist nicht die Wirklichkeit, das ist eine Szene aus einem Film. Osborne hat als Schauspieler angefangen und kehrt von Zeit zu Zeit in diesen Beruf zurück. Eigentlich ist er immer Schauspieler geblieben: He liked to be noticed. And he liked unusual sniff. That's the way he wanted to see himself—not totally over the top, but near the edge. I think John would have really loved to have been a very famous actor, hat Doug Hayward (der auch mit Michael Caine befreundet war) über ihn gesagt. Das Photo ist aus dem Film Get Carter, also nicht diesem schrottigen Re-Make, sondern dem Original mit Britt Ekland, Michael Caine und dem Mann, der sechs Finger an einer Hand hat. Osborne spielt in Get Carter einen Gangsterboss, das ist eine kleine Nebenrolle. Die Hauptrollen spielen im englischen Theater jetzt ganz andere.

Osborne hat einige Drehbücher geschrieben (zum Beispiel das Drehbuch zu Tom Jones) und an den Verfilmungen seiner Stücke mitgearbeitet, aber das ist gar nichts im Vergleich zu seinem Kollegen Harold Pinter, der siebenundzwanzig Drehbücher schreiben wird. Hier sehen wir ihn mit Julie Christie bei den Dreharbeiten zu The Go-Between (zu dem Film und zu Pinters Drehbuch gibt es hier einen langen Post). Ein Werk wie The Proust Screenplay oder das Drehbuch zu The French Lieutenant's Woman hätte Osborne nie schreiben können.

Es ist die Tragödie von Osborne, dass ihm nach Look Back in Anger und The Entertainer eigentlich nichts mehr einfällt. Zwei Jahre vor Look Back in Anger war Samuel Becketts Waiting for Godot erschienen, und Beckett wird auf Dramatiker wie Pinter und Tom Stoppard, und auf viele andere, einen großen Einfluss haben. Osborne hatte die Angry Young Men Bewegung angestoßen, aber sein Einfluss auf das Theater der nächsten Jahrzehnte ist gering. Sein letztes Theaterstück, das wieder mit einem Bügelbrett auf der Bühne begann, hieß Dejavu, es war ein trauriger Versuch, den Erfolg von Look back in Anger zu recyclen. Peter O'Toole verließ damals das Theater und brüllte:Oi've never heard such f...…. rubbish! Irgendwie ist der im Wohnzimmer raisonierende Jimmy Porter niemand anderer als das Ekel Alfred. Nach den vernichtenden Kritiken ging Osborne dazu über, Briefe mit John Osborne, ex-playwright zu unterzeichnen.

Ich habe damals alles von Osborne gelesen, als er der Star des englischen Theaters war, aber ich mochte ihn nicht wirklich. Ich weiß nicht, weshalb ich mir noch Almost a Gentleman gekauft habe, nachdem ich A Better Class of Person gelesen hatte. Konnte es schlimmer kommen? Es konnte, er ärgerte sich darüber, dass er niemals auf das Grab von Jill Bennett gespuckt hatte. Mochte ihn noch jemand? I seem to incite only dislike and indifference in whatever I attempt. I never did have much of a following. Now even that remnant is apparently gone. It’s a mistake to stick around too long, hat Osborne Michael Billington geschrieben. Auf dem von Lord Snowdon photographierten Cover von Almost a Gentleman präsentiert er sich als leicht dekadenter Landadliger, ein Landhaus in Shropshire besaß er immerhin. I may be a poor playwright, but l have the best view in England, hat er zu John Heilpern gesagt, der mit John Osborne: The Many Lives of the Angry Young Man die beste Biographie über Osborne geschrieben hat. Er hat in seinem Haus auch ein Sitzkissen, das mit dem Satz It's difficult to soar like an Eagle when you are surrounded by Turkeys bestickt war. Vielleicht hat er daran geglaubt. Auf einem anderen Kissen stand Eat Drink and Remarry!

Der Vegetarier und Alkoholiker John Osborne ist mit fünfundsechzig Jahren gestorben, in dem Alter fing Theodor Fontane an, seine großen Romane zu schreiben. Osborne hatte nichts mehr zu sagen. In Look Back in Anger sagt Helena Charles zu Alison Porter über deren Ehemann Jimmy: There's no place for people like that any longer—in sex, or politics, or anything. That's why he's so futile.... He doesn't know where he is, or where he's going. He'll never do anything, and he'll never amount to anything. Hat Osborne gewusst, dass er sich damit selbst beschrieben hat?

Die Engländer wählen heute. Wollen wir hoffen, dass sie morgen nicht look back in anger sagen.

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