Der englische Aristokrat Edward de Vere wurde am 12. April 1550 geboren. Er erbt den Titel eines Earl of Oxford, einen der ältesten Adeltitel Englands. Er erbt auch den Titel eines Lord Great Chamberlain. Und er schreibt Gedichte. Das tun nun viele am Hof von Elizabeth, das wäre nicht weiter bemerkenswert. Er schwängert eine Hofdame der Königin und wandert in den Tower. Da sind in dieser Zeit viele für einige Zeit zu Gast, auch die Königin war dort einmal gefangen. Sie zwingt den Adligen, die Affaire mit der Hofdame zu beenden und zu seiner Frau zurückzukehren. Das alles wäre Stoff für einen Roman, aber unser Edward de Vere bekommt noch eine ganz andere Berühmtheit. Vor hundert Jahren schreibt ein englischer Lehrer namens Thomas Looney das Buch →Shakespeare Identified in Edward De Vere, the Seventeenth Earl of Oxford, in dem er behauptet, de Vere habe das ganze Werk Shakespeares geschrieben.
Diese wirre Theorie, die immer mal wieder Konjunktur hatte, hat den Namen Oxfordian theory bekommen. Edward de Vere war ein gebildeter Mann, er hatte Latein und Französisch gelernt und eine Bildungsreise, den Vorläufer der Grand Tour, nach Italien gemacht. Shakespeare war nie aus England herausgekommen, Latein und Französisch waren ihm fremd, small Latin and less Greek habe er, hat Ben Jonson über ihn gesagt. Aber Jonson hat auch gesagt: he was not of an age but for all time. Die neueste Biographie von de Vere, streng der Oxfordian theory verpflichtet, ist →Shakespeare by Another Name von dem amerikanischen Journalisten Mark Anderson. In dem Buch werden auch alle Daten zu Shakespeares Werken von Mark Anderson korrigiert. Das musste er auch tun, denn Shakespeares Sonnets erschienen, als de Vere schon fünf Jahre lang tot war. Und aus den Sonnets möchte ich eins nehmen. Es ist das Sonett XXX, dessen zweite Zeile zum Titel der englischen Übersetzung von Prousts Recherche geworden ist:
When to the sessions of sweet silent thought
I summon up remembrance of things past,
I sigh the lack of many a thing I sought,
And with old woes new wail my dear time’s waste:
Then can I drown an eye, unused to flow,
For precious friends hid in death’s dateless night,
And weep afresh love’s long since cancell’d woe,
And moan the expense of many a vanish’d sight:
Then can I grieve at grievances foregone,
And heavily from woe to woe tell o’er
The sad account of fore-bemoaned moan,
Which I new pay as if not paid before.
But if the while I think on thee, dear friend,
All losses are restor’d and sorrows end.
Wenn ich in schweigender Gedanken Rat
Beseufzend was entflohn mir nie mehr naht,
Neu klagend alte Weh’n versunkner Lebenspfade:
Dann netz’ ich wohl versiechte Augenlider
Um teure Freund’ in Todesnacht gehüllt;
Es weinen, längst erstickt, der Liebe Schmerzen wieder,
Der Gram um manch dahingeschwunden Bild.
Dann kann ich leiden um vergangnes Leid,
Die trübe Summe vorbeklagter Klagen
Von Weh zu Weh ziehn mit Betrübsamkeit,
Sie zahlend wie noch niemals abgetragen.
Doch, teurer Freund! gedenk’ ich dein dabei,
Ersetzt ist alles, und ich atme frei.
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