Ich las in der Zeitung, dass der →Maler und Dichter Gerrit Bekker im Alter von einundachtzig Jahren gestorben ist. Der Name sagte mir etwas, ich wusste nur nicht was. Ich hätte jetzt das Internet befragen können, aber ich verließ mich darauf, dass mein Gedächtnis mit der Zeit etwas zu Tage fördern würde, was ich vergessen oder verdrängt hatte. Das tat es auch. In kleinen Stücken. Mein Gedächtnis sagte mir: Rendsburg, frühe achtziger Jahre. Und nachdem ich mir eine Pfeife angesteckt hatte, sagte es: dunkelblauer, schmaler Gedichtband, seltsamer Titel. Ich rauchte erst einmal die Pfeife zu Ende und ging dann zum Bücherregal. Die deutsche Literatur ist bei mir alphabetisch geordnet. Bei den Germanisten in der Uni ist sie nach dem Geburtsjahr des Dichters geordnet, was ich immer ziemlich blöd fand.
Ich brauchte unter dem Buchstaben B nicht lange zu suchen, da war das Buch auch schon. Es hieß Wachsflügels Furcht, es war das erste Buch von Gerrit Bekker. Ich hatte es 1982 von einem entfernten Verwandten geschenkt bekommen, der mit dem Dichter befreundet war. Der hoffte wahrscheinlich, dass ich das Buch irgendwo rezensieren würde, weil ich damals viele Rezensionen schrieb. Was ich aber nicht tat, weil ich mit den Gedichten nichts anfangen konnte. Auf dem Buchrücken steht: Gerrit Bekkers Lyrik ist nicht einzuordnen - sie steht mit ihrer sprachlichen Freiheit und Sinnlichkeit quer zur deutschen Gegenwartslyrik. Das ist ein Satz, den ich unterschreiben könnte. Ich stellte den schmalen Band damals ziemlich schnell ins Regal, und da hat er die letzten vierzig Jahre verbracht. Sieht immer noch verlagsneu aus. Bei booklooker kann man das Buch heute für vierzig Cent bekommen.
Es gibt inzwischen eine Gerrit Bekker Gesellschaft, auf deren Seite man lesen kann: Gerrit Bekker ist einer der großen norddeutschen Künstler der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Er hat sowohl in der Malerei als auch in der Literatur Herausragendes geschaffen und ist in beiden Bereichen durch Auszeichnungen geehrt worden. Einen Eindruck von dem vielfältigen Schaffen Gerrit Bekkers vermittelt Ihnen seine Website. Das ist alles an mir vorbeigelaufen. Sorry.
Ich habe aus dem Gedichtband mal eben ein Gedicht für Sie, es heißt dichter. Es ist der einzige Gedichttitel in dem 80-seitigen Band, der klein geschrieben ist:
dichter
Ich bin das Kind
das aus dem Nest der Krähe stürzte –
wie Woge stürzte
ich
an einem Tag
mit schüchtern Arrr!
den Schnabel weitgerissen,
als ließe sich’s Verderben
beißen.
Ich bin der Vogel, schwarze –
damals aus dem Nest
und meine Flügel brachen nicht für immer.
Hier bin ich aufgestanden,
wie Woge stürzte
ich
an einem Tag
mit schüchtern Arrr!
den Schnabel weitgerissen,
als ließe sich’s Verderben
beißen.
Ich bin der Vogel, schwarze –
damals aus dem Nest
und meine Flügel brachen nicht für immer.
Hier bin ich aufgestanden,
an einer Mauerkante
bösen Buben auf das Bett
und auf die Hand zu sehn.
Bin zu verstehn. –
bösen Buben auf das Bett
und auf die Hand zu sehn.
Bin zu verstehn. –
Ich sitze Nacht um Nacht an deinem Hause!
Mit den Gesellen auf den Feldern
vertrete ich den nächsten Tag.
Da wird der Nebel kommen weiß -
der unser Meister ist -
der uns bewegt -
den wir bewegen dürfen. -
Der Nebel, der dann Meister heißt.
Wenn Sie mehr wissen wollen: Anlässlich des Todes von Gerrit Bekker zeigt das Traumkino Kiel am Sonntag, den 9. März um 17.45 Uhr den Dokumentarfilm von Karl Siebig Gerrit M. Bekker – Variationen oder Vom Nutzen der Kunst. Den Regisseur Karl Siebig kenne ich, den habe ich mal bei Hans Fander kennengelernt. Der steht auch schon in meinem Blog. Und den kann ich unbedingt empfehlen, weil er diesen schönen Film Familientreffen: Die Duwes – eine Künstlerfamilie gemacht hat. Und vor Jahrzehnten den Film Die Kinder vom Bullenhuser Damm. Als der Film Gerrit M. Bekker – Variationen oder Vom Nutzen der Kunst vor zwölf Jahren gezeigt wurde, schrieb die Kieler Nachrichten: In seinem Werk schwingt ein Geheimnis mit, ein Wunder, das alles so kam, wie es offenbar musste und wie es gut ist. Bekker kann diese Momente in seinem Leben in allen Farbschatten memorieren, für die Siebig in seinem Film Bilder findet. Im Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag (shz) konnte man lesen: Mental hat Gerrit Bekker mehrere Leben gelebt. In knapp zwei Stunden zeigt der Film … die Entwicklung dieses einzigartigen Künstlerlebens.
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