Dienstag, 3. September 2013

Wahlplakate


Jetzt hängen sie wieder an der Laterne. Damit ist nicht der Ruf Les aristocrates à la lanterne! der französischen Revolution gemeint. Obgleich man sich manchmal im Stillen denkt, dass die Politiker  dahin gehörten. Nein, die Rede ist von Wahlplakaten. Die uns etwas vorgaukeln. Und eigentlich schon Altpapier sind, wenn sie aufgehängt werden. Und die nicht frei von Fehlern sind, die Grünen und die NPD haben offensichtlich mit der selben ➱Familie geworben. Dieses Plakat, das Wolfgang Kubicki zeigt, wirbt mit dem Spruch Die Freiheit in Person. Ich weiß zwar nicht, was das bedeuten soll, aber es füllt die Fläche des Plakats so schön. Spötter sagen schon, dass das ein Druckfehler ist, eigentlich müsste es Die Frechheit in Person heißen. Wer Kubicki kennt, würde diesem Satz sofort zustimmen.

Die einzige Person, die mit der Verkörperung der Freiheit werben darf, ist bekanntlich der Bremer Roland. Der auf seinem Schild den Satz trägt: vryheit do ik ju openbar / d’ karl vnd mēnich vorst vorwar / desser stede ghegheuen hat / des danket god’ is mī radt. Aber auch mit dieser stolzen Behauptung der Reichsfreiheit ist es wie mit allen politischen Plakaten, die Dokumente, die von Karl dem Großen persönlich stammen sollen, sind wohl alle gefälscht. Bevor ein Bremer Butjer die hehren Worte des Wappenschildes lernte, kannte er meist Sätze wie diesen: Roland mit de spitzen Knee, Segg maal, deit di dat nich weh. Das ist wenigstens echt, die Sache mit vryheit do ik ju openbar ist eine politische Lüge.

Die Plakatwerbung ist zu einem wichtigen Bestandteil der Wahlvorbereitung in der heutigen Demokratie geworden. Das Bundesverfassungsgericht ist dieser Meinung, viele Bürger nicht. Vor allem, weil sie das auch noch bezahlen müssen. Muss man dafür in Finnland ganze Wälder abholzen? Warum holen die Parteien nicht ihre alten Plakate wieder heraus? Am besten ist, wenn man gar nichts behauptet. Konrad ➱Adenauers Keine Experimente CDU ist doch universal verwendbar. Was damals Recht war, kann heute kein Unrecht sein. Und eine schlichte Aussage wie Auf den Kanzler kommt es an ist natürlich an Allgemeinheit nicht zu übertreffen. Das ist ungefähr so wie Das Runde muss in das Eckige.

Das hat sich offensichtlich auch der CDU Politiker Thomas Stritzl gedacht, der mit Auf die Kanzlerin kommt es an wirbt. Allerdings hat Stritzl alle Wahlen der letzten dreizehn Jahre verloren und den Wahlkreis 5 in Kiel hatte zuletzt der Apotheker Dr. Rüdel im Jahre 1976 für die CDU gewonnen. Da klingt Auf die Kanzlerin kommt es an schon wie das Pfeifen im Walde. Aber man kann es ja mal versuchen. Alles kommt wieder, es gibt nichts Neues unter der Sonne. Wenn Wahlen etwas ändern würden, dann wären sie verboten. Gut, manchmal gibt es kleine Änderungen à la Raider heißt jetzt Twix. Was würde passieren, wenn eine Partei auf ihr Plakat schriebe: Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit?

Ich hätte da noch etwas Schönes aus der Mottenkiste, ein CDU Plakat vom September 1949. Offensichtlich, wegen des plattdeutschen Textes für Norddeutschland gedacht: Wenn Handel, Wandel wedder gohn wat hett de Sozis dorbi don? Nix! In der gleichen Wahl warb die ➱SPD mit Alle Millionäre wählen CDU-FDP. All übrigen Millionen Deutsche die SPD. Das sind doch mal klare Botschaften. So wollen wir die Wahlwerbung. Deutschland braucht Sie, Aufwärts für Deutschland, Deutschland kann es besser, Die Mitte stärken!, Es ist ihr Land, es ist ihre Wahl, Mit uns in die Zukunft, Auch morgen sicher leben, Wählen sie uns, Wir haben die Kraft. Und wir haben die Qual der Wahl. Hat Montaigne mit seinem Satz Manchmal ist es eine gute Wahl, nichts zu wählen Recht?

Gefährlich wird es, wenn Ironie ins Spiel kommt. Das schlägt im Bereich der Politik allzu häufig in unfreiwillige Komik um, wie dieses Plakat von Verena Lengsfeld (CDU) aus dem Jahre 2009 zeigt. Leider hat Nora Baumbergerova, die vielleicht als Dolly Buster bekannter ist, im Jahre 2004 ihre Kandidatur für das Europaparlament zurückgezogen. Da hätten wir die Plakate gerne mal gesehen. Aber es gibt noch Hoffnung, angeblich will ➱Cicciolina wieder in die Politik zurück.

Wenn es kein hardcore wie bei Cicciolina und Dolly Buster sein soll, dann vielleicht so ein wenig softcore wie auf diesem Plakat? Nur gucken, nicht anfassen. Und nicht glauben, was die blonde Göttin verspricht. Und am besten glaubt man sowieso nichts von dem, was auf den Wahlplakaten der FDP steht. Die Freiheit in Person würde natürlich auch auf die ex-doctoressa passen (am besten lesen Sie jetzt mal eben den Post ➱Europa).

Wir lassen das besser mal weg, das ist ein gefährliches Thema. Rührend ist dieser Versuch der Jungen Union in Wittmund (of all places!), neue Wähler zu gewinnen. Seit Jörg Nimmerguts Buch Werben mit Sex (Autor und Buch heißen wirklich so!) wissen wir, dass man mit nackter Haut alles bewerben kann. Und wirklich obszön ist das auch nicht. Wirklich obszön ist, wenn sich eine Partei die Bilder einer glücklichen Familie bei einer Werbeagentur kauft. Haben Sie in der FDP keine glücklichen Besserverdiener Familien? Müssen Sie die Familie von der NPD nehmen?

Dies ist keine Wahlwerbung einer Bundestagspartei. Dies ist eine pflichtbewusste, patriotische deutsche Bürgerin, die auf diese Art für die Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl wirbt. Honi soit qui mal y pense. Nur Schufte denken hierbei Böses und sagen, dass sich das Nacktmodell Micaela Schäfer (auch Boxenluder oder Deutschlands Selbstdarstellerin Nummer 1 genannt) in jeder Pose und bei jeder Gelegenheit unbekleidet präsentiert.

Friede den Hütten! Krieg den Palästen! ➱schreibt heute niemand mehr auf ein Plakat. Es ist langweilig geworden. Jeden Tag Politiker in den Talkshows, das ganze Jahr über. Ob Wahlkampf ist oder nicht. Die Zusammenfassung der Lächerlichkeiten liefert dann am Wochenende Oliver Welke mit seiner ➱heute-show. Wo ist ➱Georg Schramm geblieben? Wo ist der kämpferische Geist? La réforme oui, la chie-en-lit non, hatte General de Gaulle gesagt, und wenig später klebten überall in Paris diese Plakate. Das Plakat gefällt mir immer noch, ich hatte sogar mal eins an der Wand hängen. Das war 1968, da war noch Pep in der Sache. Der einzige Pep, den wir heute haben, ist Trainer bei Bayern München.

Es gibt keinen Klaus Staeck mehr, der Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen auf ein Plakat schreibt. Oder den Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein auf seinem Plakat ➱Freiheit oder Sozialismus, Kameraden! als Nazi Bürgermeister von Eckernförde abbildet. All das wollen wir nicht. Bei uns ist Ruhe im Wahlkampf. Die nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806 der Gouverneur von Berlin Friedrich Wilhelm Graf von der Schulenburg schon als Bürgerpflicht einforderte. Ruhe ist die erste Bürgerpflicht, das haben wir drauf.

Bei diesem grandiosen Auftakt des Wahlkampfes durch ein richtiges Duell, sozusagen High Noon im Fernsehstudio, sind die meisten Zuschauer ja genau so wie Peter Kloeppel eingeschlafen. Und worüber redet Deutschland heute? Über Rhetorik und Eloquenz? Über überzeugende Argumente? Nein, über Angela Merkels Halskette. Was sonst? So etwas denken sich sonst Kabarettisten aus. Ich glaube, das ist eine Variante von ➱Parkinsons bicycle shed Theorie. Ich beschließe dies unerfreuliche Thema heute einmal mit einigen Zeilen aus Ambrose Bierces Gedicht Election Day:

Walk up! walk up! the circus is free,
And this wonderful spectacle you shall see:
Millions of voters who mostly are fools—­
Demagogues’ dupes and candidates’ tools,
Armies of uniformed mountebanks,
And braying disciples of brainless cranks.
Many a week they’ve bellowed like beeves,
Bitterly blackguarding, lying like thieves,
Libeling freely the quick and the dead
And painting the New Jerusalem red.

Post scriptum (4. September): Soeben schickte mir ein Freund dies hier. Hätte ich das schon vorher gekannt, hätte dieser Post nicht geschrieben werden müssen. Danke, Hombre!

1 Kommentar:

  1. "Verachtet mir die Meister nicht!"
    In diesem Fall mal nicht die Nürnberger Meistersinger, nein, aber den Loriot.

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