Donnerstag, 3. Oktober 2013

3. Oktober


Auferstanden aus Ruinen
Und der Zukunft zugewandt,
Laß uns dir zum Guten dienen,
Deutschland, einig Vaterland.
Alte Not gilt es zu zwingen,
Und wir zwingen sie vereint,
Denn es muß uns doch gelingen,
Daß die Sonne schön wie nie
Über Deutschland scheint.

Glück und Frieden sei beschieden
Deutschland, unserm Vaterland.
Alle Welt sehnt sich nach Frieden,
Reicht den Völkern eure Hand.
Wenn wir brüderlich uns einen,
Schlagen wir des Volkes Feind!
Laßt das Licht des Friedens scheinen,
Daß nie eine Mutter mehr
Ihren Sohn beweint.

Laßt uns pflügen, laßt uns bauen,
Lernt und schafft wie nie zuvor,
Und der eignen Kraft vertrauend,
Steigt ein frei Geschlecht empor.
Deutsche Jugend, bestes Streben
Unsres Volks in dir vereint,
Wirst du Deutschlands neues Leben,
Und die Sonne schön wie nie
Über Deutschland scheint. 

Hätten wir ja als Nationalhymne nehmen können, vom neuen Deutschland. Warum eigentlich nicht? Kann man ja auch zu der Melodie von Gott erhalte Franz den Kaiser singen, braucht man nicht, wie Hans Albers in Wasser für Canitoga, zur Melodie von Goodbye Johnny zu singen.

Zwanzig Jahre Einheit, sind wir jetzt alle glücklich? Wo sind die blühenden Landschaften? Eine Revolution ohne Blut, niemand ist an die Laterne gehängt oder vor ein Peloton gestellt worden. Erich Mielke ist verurteilt worden. Wegen eines Mordes im Jahre 1931, für nix anderes. Kaum waren wir ein Land, gab es schon die ersten Rufe nach einer Amnestie. Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat, hat Bärbel Bohley gesagt. Aber für die Juristen ist alles gut, wie man ➱hier lesen kann.

Eine Woche nach dem Fall der Mauer bin ich nach Mecklenburg-Vorpommern gefahren, das heute nur noch Mäck-Pomm heißt (dabei ist das E in Mecklenburg ein langes Dehnungs-E). Kurz vor der Grenze überfiel mich, wie bei jedem Grenzübertritt in den Jahrzehnten zuvor, der übliche Schiss. Aber da war nichts mehr mit Kontrolle. Kein Satzbeginn mit Gänsefleisch mehr (Gänsefleisch mal den Kofferraum aufmachen?). Keine im Busch lauernden Vopo Wartburgs mehr, wo man doch mit willkürlichen Strafmandaten so schöne Devisen bekommen konnte. Die durch die DDR donnernden Laster aus Skandinavien wurden ja nie aufgeschrieben. Ich traute dem Frieden noch nicht so recht, aber als ich in Schwerin sah, dass Jugendliche aus einem Trabbi heraus vorbeifahrenden Vopos den Mittelfinger zeigten, da wusste ich, dass eine neue Zeit angebrochen war. Das ist die Symbolik der Freiheit. Und an zerbröckelnden Mauern hing jetzt auch schon Reklame, das erste Billboard, das ich in der Noch-DDR sah, war von einer Zigarettenfirma und hieß WEST. Ich fand das auch eine schöne Symbolik.

Alles, was jetzt kam, war Kommerz. Abwickeln, umrubeln, plattmachen. Es gab damals einen Krimi aus der Reihe Schwarz-Rot-Gold, in dem der Hamburger Zollfahnder Zaluskowski mit seiner Mannschaft jetzt in Berlin sitzt, und lauter Kriminelle dabei sind, an dem ➱Umrubeln zu verdienen. Da hat Dieter Meichsner (dem der NDR und wir alle viel zu verdanken haben) uns mal wieder gezeigt, dass man Fernsehkrimis mit politischer Aufklärung verbinden kann. In der Folge bekamen wir auf dem Bildschirm viele neue Kommissare, die das deutsch-deutsche Verbrechen bekämpften. Die Kommissare Kurt Böwe und Uwe Steimle aus Schwerin waren mir immer die liebsten, aber leider ist Kurt Böwe tot und dem Uwe Steimle hat die ARD gekündigt.

Was war das für eine Chance, gemeinsam einen neuen Anfang zu wagen! Aber dazu hätte es anderer Leute bedurft. Obgleich es ja nie an Idealisten gefehlt hat, ich kenne Leute, die hier hochdotierte Positionen aufgegeben haben, um da drüben bei einem Neuaufbau zu helfen. Das ist etwas anderes als jene, die mit der Buschprämie dahin gelockt wurden. Aber für den dicken Kohl konnte das, woran er keinen Anteil gehabt hatte, jetzt nicht schnell genug gehen, Kanzler der Einheit wollte er sein. Wir hätten ja von den Bürgerrechtlern lernen können und der ganzen Intelligenz der Opposition. Und Jens Reich zum Bundespräsidenten machen können. Wenn man bedenkt, was seit den griechischen Philosophen alles über die kluge Staatsführung gesagt worden ist. Und was gab es? Keine Konzeption, nur Gemauschel, und die so genannte Treuhand und tausenderlei Skandale, von denen die Leuna Affäre nur einer von vielen ist.

Als die DDR Bürger dann in riesigen Zahlen kamen, weil es ein Begrüßungsgeld gab, und als ihre Rennpappen mit dem bläulichen Auspuffgas die Straßen verstopften, und die Geschäfte hier auch am Sonntag offen hatten, damit das Begrüßungsgeld gleich in ihre Kassen kam, da hatte man das Gefühl: jetzt kommt eine neue Zeit. War aber letztlich auch nur Kommerz. Ich habe dem hellblauen Trabbi, der neben mir auf dem Parkplatz stand, einen Zehnmarkschein unter den Scheibenwischer geklebt. Wochen später standen die Russen in der Einkaufsstraße und vertickten Russenuhren, alles nur Komandirskie, die Sowjetarmee bestand nur aus Kommandeuren. Und wenige Wochen später wurden sie von Leuten abgelöst, die jetzt geschnitzte geflügelte Jahresendfiguren verkauften. Der Ausverkauf des Ostens hatte begonnen.

Das Gute mit der Einheit ist, dass ich ➱Onkel Karl leicht erreichen kann. Der war zum Entsetzen der Berliner Verwandtschaft seinem Lehrer, dem Bildhauer ➱Gustav Seitz, 1951 von Berlin-West nach Berlin-Ost gefolgt. Vor einem halben Jahrhundert habe ich meine Freundinnen bei Berlinbesuchen immer zur Stalinallee geschleppt und großspurig behauptet, dass all die Skulpturen mit den Helden der Arbeit von meinem Onkel Karl seien. Was nicht ganz stimmte, machte aber um 1960 auf junge Frauen großen Eindruck. Aber von diesen heroischen Jugendsünden war er eigentlich schon lange weg, wie seine Schwimmerin (1952) da links zeigt. Und wenig später hat er in Berlin sogar für die Bremer Stadtmusikanten gesorgt, das war wohl ein bildhauerischer Gruß an die Bremer Verwandtschaft. Und das Photo unten von 1967 zeigt, dass eine Freiplastik auch von praktischem Nutzen sein kann.

Haben wir sonst noch etwas aus der Kultur zu vermelden? Außer dem Roman Der Turm? Die Neuausgabe von Werner Bräunigs Rummelplatz muss man unbedingt begrüßen. Dass viel Geld in die Museen geflossen ist, natürlich auch. Und sicherlich ist die Semperoper ein Schmuckstück, vor allem als Bierreklame, hat ja auch schon den inoffiziellen Namen Radeberger Arena.

Was bleibet aber, stiften die Dichter. Also jetzt einmal von Bräunigs Roman Rummelplatz abgesehen. Und auch davon abgesehen, dass der von mir sehr geschätzte Günter de Bruyn Fontane immer ähnlicher und von Buch zu Buch besser wird. Deutsche Zustände, 1999 veröffentlicht, ist immer noch der Lektüre wert. Und Edgar Reitz hat sein Heimat Projekt abgeschlossen und Wende und Wiedervereinigung auch nach Schabbach kommen lassen. Das ist natürlich schon für mich ein tiefgreifendes Erlebnis zu sagen 'dieses ist der letzte Teil von Heimat', also als berufliche Aufgabe. Und ich habe doch immerhin na bald 25 Jahre mit diesem Projekt verbracht, sodass dieses Projekt selbst eine Art Heimat bildet. Und das zu beenden, das ist nicht schmerzlos. Der Stoff geht mir nicht aus, und Geschichten erzählen unter dem Dach eines großen erzählerischen Werkes das Heimat heißt, das könnte ich ewig fortsetzen so lange ich gesund bin und arbeiten kann. Aber mit deutschen Fernsehsendern mich um das Budget zu streiten, und jede Silbe im Drehbuch rechtfertigen zu müssen, das will ich nicht noch einmal, das ist klar. Deswegen ist es Abschied von Schabbach

Sieben Jahre lang Gezerre mit der ARD wegen der Finanzierung für etwas, was der Abschluss des größten filmischen Meisterwerks über ein halbes Jahrhundert Bundesrepublik ist. Aber für einen Pausenclown wie Harald Schmidt, da haben sie Geld bei der ARD. Das ist unser Problem, wieder nix wie Kommerz. Die Intendanten der Rundfunkanstalten haben Gehälter, von denen Bundespräsidenten nur träumen können, und was wird produziert? Dieser erschütternde Degeto-Quark, aber kein Geld für Heimat III. Na ja, wir sind nicht aufs Fernsehen angewiesen, gucken Sie jetzt nicht bei YouTube (obgleich ➱dies hier - Schumanns Eichendorff Vertonung - das dürfen Sie mal eben sehen), sondern kaufen Sie sich das Gesamtwerk Heimat I-III.

Ich lese niemals die Bestsellerlisten, von daher läuft jemand wie Ildikó von Kürthy voll an mir vorbei, und vor dem letzten Donnerstag hatte ich auch noch nie von ihr gehört. Und weil ich niemals die Bestsellerlisten lese, oder die Buchbesprechungen von der Süddeutschen oder der Zeit wirklich ernsthaft studiere (was ich Jahrzehnte lang im ObserverNew Yorker oder New York Review of Books immer gemacht habe), laufen auch Bücher an mir vorbei, die ich doch vielleicht lesen sollte. Aber die kommen irgendwie zu mir zurück, entweder, weil Freunde sie mir empfehlen oder schenken, oder weil ich sie im Grabbelkasten des Antiquariats finde. Der auch nicht Grabbelkasten, sondern eher Schatztruhe heißen sollte. Und am letzten Donnerstag, dem Tag, an dem ich gestehen musste, dass ich von der bedeutendsten deutschen Autorin Ildikó von Kürthy noch nie etwas gehört hatte, fand ich ein Buch, das meiner Meinung nach das Schönste für diesen Feiertag ist.

Das Buch, das ich auf der Straße im Passantengewühl anfing zu lesen, heißt Letzten Sommer in Deutschland: Eine romantische Reise. Und ich nehme mal an, dass die Autorin Irina Liebmann mit ihren Büchern nicht auf sechs Millionen verkaufte Exemplare kommt wie Ildikó von Kürthy. Obgleich es wirklich schön wäre, wenn sechs Millionen Deutsche dies Buch lesen würden. Ein sentimental journey durch Deutschland, Ost und West, wechselnd zwischen Prosa und prose poem. Von der Wasserwelt in Lebus bis zum Rhein, hoch poetisch und hoch komisch. Dies ist ein Buch, das uns unsere hässliche Wirklichkeit vergessen lassen kann - obgleich die immer auch im Buch ist. Ich bin dem Zufall dankbar, dass ich das Buch passend zum zwanzigsten Jahrestag der Einheit gefunden habe. Und ich bin Irina Liebmann ja sowas von dankbar, dass sie dieses Buch geschrieben hat.

Das stand hier im Jahre 2010 schon mal. Vielleicht kannten Sie damals diesen Blog noch nicht. Man kann es immer noch lesen. Und die Literaturempfehlungen (Günter de Bruyn, Werner Bräunig und Irina Liebmann) haben auch immer noch Bestand.

2 Kommentare:

  1. In diesen Zusammenhang könnte man noch Hans Georg Weiske, u.a. die Hausbackene Diktatur stellen. Sicher kein glänzender Stilist,aber einer ( der auch als Georg Naundorfer schrieb), der einen bösen, scharfen Blick auf diese Wende hat.

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  2. Dann werde ich mir das Buch mal merken und Gott erhalte Franz den Kaiser und zwar von dem Rhein bis an die Elbe von der Warnow bis zum Inn.

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