Dienstag, 27. Juli 2010

Gilda


Heute vor 110 Jahren ist Vidor Károly in Budapest geboren worden. Wir kennen ihn als amerikanischen Regisseur namens Charles Vidor. Er würde mich ja nicht so besonders interessieren, wenn er nicht diesen einen Film gedreht hätte, den alle Cineasten lieben: Gilda. Niemand kann Gilda vierundzwanzig Stunden am Tag sein, hat Rita Hayworth gesagt. Und sie hat auch gesagt: Männer verliebten sich in Gilda, aber wachten mit mir auf. Sie sollte es wissen, sie war viermal verheiratet. Gilda ist kein wirklich guter Film, es ist auch eigentlich kein wirklicher film noir, der Film segelt nur im Fahrwasser des film noir. Da hatte der Kritiker der Zeit schon Recht, als er schrieb:

'Gilda' ist kein Film zum Nachschmecken und Räsonnieren, sondern einer zum Hassen und Lieben, zum Heulen und Zähneklappern: Gefühlskino im Superlativ. Wenn Männer hassen, erfinden sie Frauen wie Gilda: die Bestie, die in aller Unschuld lügt und betrügt und im schwarzen Seidenkleid 'Put the Blame on Mame' singt, das Lied von der Rachegöttin, die die Erde beben und Schneestürme heulen läßt. [...] Nie hat Charles Vidor einen besseren Film gedreht als diesen schlechten. Und nie war Rita Hayworth schöner als in 'Gilda'. Das letzte können wir natürlich mit einem Photo beweisen.

Das ist ja nun an coolness schwer zu übertreffen, ist natürlich auch alles bewusst so photographiert und inszeniert, der ganze Film ist eine einzige Studioproduktion. Rita Hayworth singt auch in dem Film, sie singt Put the Blame on Mame. Sie singt es nicht wirklich, Anita Kert Ellis hat es gesungen. Mame ist an allem Schuld, dem Erdbeben von San Francisco, dem Blizzard 1886 in Manhattan und dem Feuer von Chicago. Das ist jetzt der bekleidetste Striptease der Filmgeschichte, den Rita Hayworth da auf die Bühne legt. Aber nachdem sie die klassische Zeile I'm not very good at zippers, but maybe if I had some help... gebracht hat, wird sie leider von der Bühne gezerrt. Es ist kurz nach dem Krieg, jetzt ist die Zeit der Sexbomben. Und auch der wirklichen Bomben. Die Atombombe, die die Amerikaner auf das Bikini Atoll werfen, heißt Gilda und trägt das Bild von Rita Hayworth. Im Film Gilda geht es auch um böse Nazis und Atombomben. Es wäre ja verlockend, dazu etwas zu sagen, aber ich überlasse das Wort mal eben Michael Wood, der in seinem Buch America in the Movies ein schönes Kapitel mit dem Titel Put the Blame on Mame hat:

The symbolism is enough to frighten off any but the most intrepid Freudians: the bomb dropped on Bikini was called Gilda and had a picture of Rita Hayworth painted on it. The phallic agent of destruction underwent a sex change, and the delight and terror of our new power were channeled into an old and familiar story: our fear and love of women. We got rid of guilt, too: If women were always to blame, starting with Eve perhaps, or Mother Nature, then men can't be to blame. And in any case, as every steady moviegoer knows, women themselves aren't really to blame, because they can't help it. Sirens all, they sing men to their doom (sometimes doom is just domesticity), without meaning any harm.

Denn obgleich Rita Hayworth für ihren alten lover Glenn Ford, der sie unverhofft in Buenos Aires wiedertrifft, die Verkörperung von allem Bösen zu sein scheint, ist sie in Wirklichkeit herzensgut (auch im wirklichen Leben, selbst wenn sie einmal gesagt hat: Basically, I am a good, gentle person, but I’m attracted to mean personalities). Und ja, nach vielen Verwicklungen der komplizierten und total bescheuerten Handlung des Films gibt es ein happy ending. Im echten film noir gibt es kein happy ending, ein echter film noir endet wie Out of the Past. Obgleich auch echte films noirs eine total bescheuerte, unglaubwürdige Handlung haben können. The willing suspension of disbelief ist etwas, was man jetzt als Zuschauer ins Kino mitbringen muss.

Ich weiß, dass ich mich mit dieser Meinung im Gegensatz zu vielen Filmkritikern befinde, aber für mich ist dies das gute alte Melodrama des 19. Jahrhunderts, verkleidet als film noir. Es fehlt das existentialistische Geworfensein, dies no way out, das den wirklichen film noir ausmacht. Natürlich hat Charles Vidors Film viele noir Elemente, wie die Photographie, den Erzähler und das good-bad girl. Das good-bad girl ist eine Terminus von Martha Wolfenstein und Nathan Leites in ihrem Buch Movies: A Psychological Study. Das Buch erschien 1950 und die Autoren danken im Vorwort Margaret Mead, Geoffrey Gorer und David Riesman.

Hier schreiben keine Filmkritiker mehr über den amerikanischen Film, jetzt wird Hollywood von Psychologen, Anthropologen und Soziologen analysiert und seziert. Gleichzeitig mit diesem Buch hat Barbara Deming ihr Manuskript von Running Away from Myself: A Dream Portrait of America Drawn from the Film of the Forties fertig, aber davon sind in den fünfziger Jahren nur Teile erscheinen, dann war das City Lights Magazin pleite. Beide Bücher sind sich im Ansatz ähnlich (und auch Michael Wood geht so vor). Sie folgen, wenn man so will, Siegfried Kracauers Studie From Caligari to Hitler (1947), indem sie Filme als eine Art Symptom einer kranken Gesellschaft interpretieren.

Das good-bad girl ist eine rein amerikanische Erfindung, der todbringende Vamp ist ein europäischer Import (und mit Vamp sind jetzt nicht die Zahnspangenvampire von Fräulein Stephenie Meyer gemeint). Natürlich gibt es auch wunderbare films noirs mit solchen bösen Frauen, die sich ein wenig aus dem fin de siècle nach Hollywood verirrt zu haben scheinen, Double Indemnity wäre solch ein Film. Das links ist natürlich Franz von Stuck, nur er bringt diesen fin de siècle Kitsch so richtig. An dieser Stelle möchte ich auf den kalifornischen Kunstgeschichtsprofessor Bram Dijkstra hinweisen, der die besten Bücher über den todbringenden Frauentyp in der Kunst geschrieben hat, und über den es in dem Wikipedia Artikel heißt: He is probably best known for two books that have escaped the academic world into the world of popular culture: 'Idols of Perversity: Fantasies of Feminine Evil in Fin-de-siècle Culture' (1986), 'Evil Sisters: The Threat of Female Sexuality and the Cult of Manhood' (1996). Das finde ich das höchste Lob, das man einem Buch machen kann: escaped the academic world. Ich glaube, das schreibe ich bei mir ins Profil rein: escaped the academic world.

Im wirklichen Leben steht das ja leider bei Frauen so nicht dabei, wenn der amerikanische Mann eine Frau sucht. Er möchte ja jemanden haben so rein wie Doris Day, die er zuhause Mammie vorstellen kann. Da wo Mammie den besten apple pie Amerikas macht. Aber eigentlich möchte er natürlich lieber ein bad girl haben, jemanden wie Rita Hayworth. Wo man auch noch weiß, dass die eigentlich Mexikanerin ist und Rita Cansino heißt. Im Western gibt es immer heißblütige Mexikanerinnen und die Nutten im Saloon mit Netzstrümpfen und goldenem Herzen.

Der amerikanische Film typisiert eben gern. In High Noon hat der Sheriff Will Kane (Gary Cooper) die heiße Mexikanerin Helen Ramirez (gespielt von Katy Jurado), aber er gibt ihr den Laufpass, weil da diese eiskalte Westküstenschönheit namens Grace Kelly ankommt. Mit der Vermischung der weißen mit anderen Rassen kann es in der amerikanischen Kultur nix werden, geht seit Pocahontas schief, sagt auf jeden Fall Leslie Fiedler. Ja, und da kriegt Gary nun seine kalte Blondine, aber sieht er jetzt etwa glücklich aus?

Was ich eben in wissenschaftlich unzulässiger Weise gemacht habe, ist das Ausgangsargument von Wolfenstein/Leites in ihrem Kapitel The Good-Bad Girl. Ich habe noch ein wenig Leslie Fiedler dazugetan (seine Theorie von den vier basic myths der amerikanischen Kultur, die er in The Return of the Vanishing American äußert). Das good-bad girl ist Hollywoods Lösung des Problems, suggeriert Sexualität und Verworfenheit und ist am Ende doch Doris Day. Und damit spielt der Film der vierziger Jahre in raffinierter Weise.

Rita Hayworth hing mit diesem Photo im Spind der halben Armee: Eins der berühmtesten Pin-Up Photos des Zweiten Weltkriegs (die andere Hälfte der Armee hatte Betty Grable im Schrank). Aber kann man eine solche Frau seiner Mutter in Poughkeepsie mitbringen? Da müsste Mammie natürlich vorher Gilda gesehen haben, um zu erkennen, dass die scharfe Schlampe, die ihr Sohn da ins Haus schleppt, in Wirklichkeit das gute All-American Girl ist.

Aber manchmal, und das macht die wunderbare Zwielichtigkeit des film noir aus, haben wir im Film ständig Zweifel. Werfen Sie doch einmal einen Blick auf diese junge Frau. Gut oder böse? Das ist Lizabeth Scott in The Strange Love of Martha Ivers. Das Wort strange im Titel charakterisiert den Film schon ganz gut. Ich hätte auf dem Bild unten Lizabeth Scott noch einmal, und diesmal haben wir keine Schwierigkeiten mit der Zuordnung. Dies ist das Bild der Frau, das Hollywood uns in den fünfziger Jahren wieder vermitteln wird, wenn die First Lady der Nation Mammie heißt, und Hollywood von seiner beunruhigenden dunklen Version Amerikas Abschied genommen hat.

War alles nur ein böser Traum. Oder? But when a dream night after night is brought Throughout a week, and such weeks few or many Recur each year for several years, can any Discern that dream from real life in aught? Die Zeilen finden sich als Motto im Buch von Wolfenstein und Leites. Sie stammen von James Thomson (nicht dem aus dem 18. Jahrhundert, sondern dem anderen), aus dem Gedicht City of Dreadful Night. Und damit war nicht Los Angeles gemeint, das jetzt stereotyp zum Gegenteil des great good place wird. Der Film kam kurz nach Weihnachten 1949 in die deutschen Kinos, da hatte man aber die Handlung mit den deutschen Nazis schon rausgeschnitten. Die Illustrierte Film-Bühne schrieb damals:

In die Freundschaft zweier Männer in Buenos Aires dringt eine attraktive Frau ein, die der eine vergessen wollte und die ihn jetzt in ein zermürbendes psychologisches Duell verwickelt, bei dem sich Liebe durch Haß und Haß durch Liebe ausdrückt. Ein hervorragend gespielter und inszenierter Klassiker der "Schwarzen Serie", der jenseits der klischeehaften Kriminalhandlung von den Gefühlen zwischen Mann und Frau handelt und die Genre-Elemente zu einem beinahe philosophischen Essay über Liebe und die darin verkörperte Lebensutopie verbindet.

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