Sonntag, 21. Januar 2018

Bloomsbury: Möbel


Ein englischer Gentleman zu Hause, die Schuhe hat er schon mit Hausschuhen vertauscht. Er sitzt - oder liegt - auf einem seltsamen Möbelstück mit kurzen Beinen. Er hat Bücher neben sich, die kunstvoll unordentlich neben ihm arrangiert sind, sie sind ein Zeichen dafür, dass er ein Intellektueller sein muss. Ein roter japanischer Wandschirm zerteilt den Raum, so etwas war am Ende des 19. Jahrhunderts chic. Alles in diesem Bild wirkt inszeniert. Wir vermissen eine Bierflasche oder ein Whiskyglas. Ist da noch ein Geheimnis im Muster des Perserteppichs, the figure in the carpet?

Ich bleibe mal eben bei den Möbeln, auch auf dieser Zeichnung können wir einen ähnlichen Sessel sehen. Zwei Herren vor dem Kamin in geistvoller Unterhaltung. Sehr gemütlich wird es hier höchstens vor dem Kamin sein, es gibt im ➱Haus keine Zentralheizung und kein elektrisches Licht. Der Herr mit dem Bart links ist Lytton Strachey, er ist der Bruder von dem Gentleman im ersten Absatz, James Strachey. Die Zeichnung ist von Dora Carrington, der Lebensgefährtin von Lytton Strachey.

Die Möbel mit den kurzen Beinen scheinen um 1900 beliebt zu sein, es ist ein Retro Queen Anne Stil. James Strachey im blauen Anzug ist von seinem Cousin Duncan Grant gemalt worden, der heute vor 133 Jahren geboren wurde. Der Maler ist hier schon einmal in dem Post ➱Vanessa Bell aufgetaucht. Grant hat das 1910 gemalte Bild seines Cousins immer behalten, erst 1947 hat er es an die Tate Gallery verkauft. James Strachey ist Psychologe geworden,  hat bei Sigmund Freud studiert und das Gesamtwerk von Freud ins Englische übersetzt. Die Bücher auf dem Bild sind also nicht nur Dekoration, der Mann liest (und schreibt) wirklich Bücher.

Der Herr auf dem Gartenstuhl im Garten von ➱Charleston ist gerade dabei auszurechnen, mit welchen Schulden England aus dem Ersten Weltkrieg kommt. Er heißt Maynard Keynes und ist Englands berühmtester Ökonom. Duncan Grant ist die Liebe seines Lebens. Der lebt zwar mit der Schwester von Virginia Woolf zusammen, aber das ist bei den Mitgliedern der Bloomsbury Gruppe kein Grund, nicht auch mit anderen zusammenzuleben. Were the Bloomsbury Group sexually incontinent snobs or the free-thinking ‘punk rockers’ of their generation? fragte der Independent, als die BBC 2015 die Geschichte der Bloomsbury Group unter dem Titel ➱Life in Squares sendete.

Möbel der Bloomsbury Gruppe: dies hier ist mal ein konventionelles Sofa. Das Bild zeigt Grants Lebensgefährtin ➱Vanessa Bell, mit der er bis zu ihrem Tod zusammenleben wird. Die Männer lassen wir jetzt mal weg. Natürlich ist es bei der Bloomsbury Bohème verlockend, auf ihr zum Teil skandalöses Leben einzugehen, aber das verstellt den Blick auf ihr Werk, sei es die Literatur oder die Malerei. Der Kunsthistoriker Richard Shone schreibt in seinem Buch Bloomsbury Portraits (1976):

The lifestyle they embraced was a complex mixture of inheritance and personal preference. There was a touch of camping out, a happy domestic improvisation which comically clashed with sturdy middle-class comfort and fastidious culture. There was nothing precious about it, though aesthetic enjoyment of one’s surroundings was often placed before other considerations. To some it seemed intolerably Bohemian and haphazard, to others, too ample and not Bohemian enough. Von Bohème ist hier nichts zu spüren, es gibt nicht mal einen exzentrischen Sessel für Grants Tochter Angelica.

Exzentrische Möbel habe ich aber noch zu bieten, wie diese hier, von Duncan Grant für die Omega Workshops entworfen. Grant ist da zusammen mit Vanessa Bell stellvertretender Direktor, der Chef ist der Maler und Kunstkritiker Roger Fry. Unter dessen Einfluss war Duncan Grant stark von den französischen Postimpressionisten beeinflusst und wurde sozusagen der erste englische Postimpressionist. Diese Phase wird aber nicht ewig anhalten, er wird eines Tages zum Realismus zurückkehren.

Auf diesem Sesselbezug ist nicht mehr viel von den Franzosen zu sehen. Der Sessel steht heute noch in seinem Studio. Und man kann ähnliche Designs, zum Beispiel als Kissenbezüge oder Stoff zum Neubeziehen von Sesseln und Sofas heute noch kaufen. Heute ist da allerdings Nylon drin, das gab es noch nicht, als Duncan Grant 1932 die Serie ➱Clouds bei der Textilfabrik von Allan Walton produzieren ließ. Was einst das Wohnhaus von Duncan Grant und Vanessa Bell war, ist heute ein ➱Museum. Hat aber auch einen ➱Shop, wo man Dinge kaufen kann, deren Design von Duncan Grant und Vanessa Bell stammt.

Hier hat Vanessa Bell ihren Lebensgefährten gemalt, völlig unkonventionell: er sitzt auf einem Sessel. Seine Palette liegt auf dem Tisch. Normalerweise stehen Maler vor ihrer Staffelei, hier ist alles anders. Was Duncan Grant malt, ist links außerhalb des Bildes. Wahrscheinlich ist es das Bild der im Sessel ruhenden Vanessa, aber das ist eine Spekulation. Vielleicht ist das Bild symbolisch für die Bloomsbury Künstler, sie malen im Sessel im Wohnzimmer. Sie sind nicht verheiratet, leben aber beinahe ein halbes Jahrhundert zusammen. Sie sind ein wenig Bohème, aber tragen einen Schlips bei der Arbeit.

Der Observer bot seinen Lesern 1974 farbige Lithographien von Grant zum Sonderpreis an, da wussten viele schon nicht mehr, dass der Maler, der seine große Zeit am Anfang des Jahrhunderts gehabt hatte, noch lebte. Ich habe damals keine Lithographie gekauft, weil ich mir gerade den weißen ➱Peugeot mit dem Tacho von Jaeger-LeCoultre gekauft hatte. Und das ➱Motiv mit der wäschewaschenden Frau gefiel mir auch nicht. Grant hat lange gelebt. Und viel gemalt, sehr viel. Nicht alles ist gut. Das Beste haben die großen Museen, manches taucht bei ebay auf, aber da wäre ich vorsichtig. Grant hielt ➱The Tub für sein bestes Bild. Ich nicht.

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