Mittwoch, 10. Januar 2018

Ronald Knox


Heute vor einundsechzig Jahren wurde Harold Macmillan englischer Premierminister. Er taucht in diesem Blog in den Posts ➱Christine Keeler und ➱I took on the sins of everybody, of a generation, really auf. Zwei Posts (die eigenlich dasselbe sind), die bei Keelers Tod erstaunliche Leserzahlen bekamen. Der Cartoon hier, der Macmillan in der Pose von Christine Keeler zeigt, ist natürlich auch in den beiden Posts zu sehen. Christine Keeler wird in dem Wikipedia Artikel zu Harold Macmillan nicht namentlich erwähnt, da muss man schon das Keyword Profumo Affaire anklicken. Dort wird sie als Mannequin bezeichnet, ich weiß nicht, ob das das richtige Wort ist für ein Schnuckelchen, dem es gelang Macmillans Regierung zu stürzen.

Harold Macmillans Leben und Werk ist genügend beschrieben worden, das können wir uns heute schenken. Wir wenden uns einmal diesem Herren zu, einem der engsten Freunde von Harold Macmillan. Der Mann mit dem dog collar ist in Deutschland nicht so bekannt. Er heißt Ronald Arbuthnott Knox. Er war ein einflussreicher Theologe, der von der Aglican Church zum Katholizismus wechselte, Apostolischer Protonotar bei Papst Pius XII wurde und dann in den Ruhestand ging, um die ➱Vulgata neu zu übersetzen. Er brauchte dafür keine Assistenten, er brauchte nur seine Schreibmaschine, seine Pfeifen und genügend Tabak. ➱Lady Daphne Acton sorgte für eine Unterkunft im Park von Aldenham. Der Vater von Ronald Knox war Bischof, er enterbte seinen Sohn, als der Katholik wurde. Das hat der Großvater mütterlicherseits, der auch anglikanischer Bischof war, nicht mehr erlebt. Ronald Knox ist nicht nur Theologe, er macht auch ganz andere Dinge, für die ihn viele liebten.

Er schreibt nämlich ➱Krimis. Einen seiner ersten - und vielleicht seinen besten - kann man sogar auf deutsch lesen. Ebenso ➱Die drei Gashähne, ➱Fußspuren an der Schleuse und ➱Der Tote im Silo. Richard K. Flesch vom Rowohlt Verlag hatte sich Anfang der sechziger Jahre die beiden besten für seine Krimireihe gesichert, die anderen erschienen bei Herder. Flesch, der in dem Post ➱Sjöwall Wahlöö vorkommt, hatte ein feines Näschen für Qualität, das auch nicht von seinem legendären Whiskykonsum beeinträchtigt wurde. Man kann die Romane von Ronald Knox glücklicherweise immer noch finden, mit etwas Glück sogar eine schöne alte Ausgabe (ich besitze zwei Erstausgaben).

Wir sind mit den Romanen von Ronald Knox in einer Zeit, die man The Golden Age of Detective Fiction genannt hat, als Kriminalromane von Absolventen von Oxford und Cambridge geschrieben werden. Knox hat nicht nur Krimis geschrieben, er hat sich auch Gedanken über das Genre gemacht. Studies in the Literature of Sherlock Holmes hieß der leicht satirische Vortrag, den er 1911 gehalten hat. Er hat ihn später in seinem Buch Essays in Satire veröffentlicht, Sie können ihn ➱hier lesen. If anyone objects, that the study of Holmes literature is unworthy of scholarly attention, I might content myself with replying that to the scholarly mind anything is worthy of study, if that study be thorough and systematic. Das ist ein wichtiger Satz. Wenn man sich als Wissenschaftler mit dem Krimi beschäftigt, dann muss man ihn auch ernstnehmen.

Es hat mehr als vierzig Jahre gedauert, bis ein deutscher Wissenschaftler auf diese Idee gekommen ist. Er heißt Fritz Wölcken, seine Habilitationsschrift aus den fünfziger Jahren ist vor drei Jahren neu aufgelegt worden. Ich habe hier im ➱Culturmag eine schöne Würdigung von Wölckens Buch gefunden. Es war eine Pionierarbeit, in den sechziger und siebziger Jahren schrieb dann jeder über den Detektivroman. Leider waren das häufig ideologisch gefärbte Arbeiten, die aus mehr Theorie als einer substantiellen Kenntnis der Kriminalliteratur bestanden. Da war Ronald Knox' Satz If anyone objects, that the study of Holmes literature is unworthy of scholarly attention, I might content myself with replying that to the scholarly mind anything is worthy of study, if that study be thorough and systematic leider in Vergessenheit geraten.

Ronald Knox hat auch ein Regelwerk für den Krimi aufgestellt, zehn goldene Regeln, an die sich Autoren halten sollten. Sie können sie ➱hier lesen. Das Ganze ist wahrscheinlich nicht so ernst gemeint, Knox hatte immer einen Hang zur Satire. Wie seine Freunde G.K. Chesterton (für den er die Totenmesse halten wird) und Hilaire Belloc. Die zehn Regeln für Krimiautoren sind Knox nicht wirklich wichtig, wichtig ist ihm, den Katholiken Richtlinien zu geben, was sie glauben sollen Let him trust orthodox tradition to determine what he is to believe, and common sense to determine what is orthodox tradition. 

Und dann ist da noch etwas über Ronald Knox zu sagen, etwas, das nichts mit Theologie und Krimis zu tun hat. Sondern mit der BBC. Die zwanziger Jahre sind die große Zeit des Radios, Ronald Knox wird viel für die BBC arbeiten. Und in einer Sendung lässt er seinem Hang zur Satire vollen Lauf. Am 16 Januar 1926 sendete die BBC einen Bericht, der ➱Broadcasting the Barricades hieß. Angeblich war England in Aufruhr: Unemployed demonstration in London. The crowd has now passed along Whitehall and, at the suggestion of Mr Popplebury, Secretary of the National Movement for Abolishing Theatre Queues, is preparing to demolish the Houses of Parliament with trench mortars. Der Glockenturm von ➱Big Ben bricht zusammen, und noch Schlimmeres kommt: One moment, please. Fresh reports, which have just come to hand, announce that the crowd have secured the person of Mr Wotherspoon, the Minister of Traffic, who was attempting to make his escape in disguise. He has now been hanged from a lamp-post in the Vauxhall Bridge Road. Zwischen den Katastrophennachrichten wird immer wieder Tanzmusik aus dem Savoy Hotel eingespielt.

Die BBC sendet am Abend eine Erklärung: Some listeners, who heard only part of Rev. Father Knox's talk at 7:40 this evening, did not realize the humorous innuendoes underlying his imaginary news items, and have unease as to the fate of London, Big Ben and other places and objects mentioned in the talk. As a matter of fact, the preliminary announcement stated that the talk was a skit on broadcasting, and the whole talk was, of course, a burlesque, and we hope that any listeners who did not realize it will accept our sincere apologies for any uneasiness caused. London is safe. Big Ben is still chiming, and all is well. Der Direktor der BBC John Reith, der auf allen Photos aussieht, als ob er nicht lachen könne, ist begeistert. Die Hörer übrigens auch, 2.307 Hörer fanden die Sendung gut, nur 249 kritisieren diesen ersten Fall von fake news. Orson Welles ist mit seinem ➱War of the Worlds noch weit weg. ➱Kellyanne und dieser Mann, der die Intelligenz einer Zimmerpflanze hat, sich aber für ein Genie hält, sind noch weit in der Zukunft.

Ronald Knox verstand die ganze Aufregung nicht: I had no idea that listeners would take what I said seriously. Even now, I cannot quite see how anyone could have misinterpreted my remarks. I am sure that my 'news reports' were so far-fetched that no-one who thought them out could have been alarmed. Wenn es für Knox nur ein Spaß war, so war Broadcasting the Barricades doch noch mehr, es zeigte, wie man das Radio mißbrauchen kann. Joseph Goebbels (der erstaunlicherweise englische ➱Romane liest) wird der Welt schon zeigen, wie das geht.

Ein Jahr nach der Radiosendung veröffentlicht Monsignore Knox The Belief of Catholics (hier ein ➱Exzerpt), ein Buch, das den Katholiken ihren Glauben erklärt. Knox ist der wortgewandteste und intelligenteste Apologet der katholischen Kirche in England in den Jahren zwischen den Weltkriegen. Man zitiert ihn noch heute gerne. Als Ronald Knox 1957 stirbt, lässt es sich der frischgebackene Premierminister Harold Macmillan nicht nehmen, die Totenmesse für seinen Freund zu besuchen. Die Londoner Times schrieb über Knox: the wittiest churchman in England since Sydney Smith; he was as earnest as he was witty and devout as he was diverting. Und für Time war er Britain’s outstanding Roman Catholic scholar, most versatile writer, and gentlest man.

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