Mittwoch, 24. Januar 2018

Stierfortz


Ich weiß, dass ein Titel wie Stierfortz mir viele Leser bescheren wird. Das war bei dem Post ähnlich, der den Titel ➱Fickfackerei hatte. Ich komme auf das mysteriöse Stierfortz gleich zu sprechen, es soll heute um Übersetzungen gehen. Nicht diese unfreiwillig komische Übersetzung von ➱Mandalay, nein, es geht zuerst einmal um einfache Dinge des Kommerzes. Es sind seit einiger Zeit vermehrt englische Händler bei ebay, die dort ihre Waren anpreisen. Vielleicht hoffen sie, dass sie vor dem Brexit noch einen Reibach machen können. Unglücklicherweise ist keiner der Verkäufer bereit, seine ebay Texte an ein Übersetzungsbüro zu geben, sie vertrauen offensichtlich alle auf Google Translate. Oder ähnliche Übersetzungsmaschinen wie babelfishDeepL und wie sie alle heißen.

Fangen wir einmal mit Namen an. Gemeinhin werden Namen nicht übersetzt. Es ist also Quatsch, die Schuhfirma Edward Green in Eduard Grün umzubenennen. Oder aus New & Lingwood Neue und Lingwood zu machen. Oder die Firma Church (für die ➱Ronald Searle mal Reklame machte) mit kirchliche Schuhe zu übersetzen. Ein Händler bot ein gebrauchtes Paar kirchliche Schuhe mit Leben an. Jetzt fangen Sie an nachzudenken. Im Original steht da with plenty of life in them, sie können also noch lange halten. Die japanische Firma Haversack stellt Retro Klamotten her, man kann sie nicht mit Brotbeutel übersetzen. Die Firma Jones Bootmaker muss so bleiben und kann nicht Jones der Orthipädieschumacher werden. Und die schottische Firma Jeremy Law darf nicht zu Jeremy Gesetz werden.

Ein besonders schönes Beispiel ist Geo F Trumper Gummistiefel Eau de Cologne. Gummistiefel und Eau de Cologne, was mag das sein? Fußschweiß als neuer Parfümgeruch? Der englische Text hat hier Geo F Trumper Wellington, und damit ist natürlich der Herzog von Wellington gemeint. Trumpers Wellington riecht genauso wie Penhaligon Blenheim Bouquet. Ist nur preiswerter (lesen Sie mehr in ➱Aftershave). Dass eines Tages die grünen Gummistiefel auch Wellingtons (oder wellies) heißen werden (lesen Sie mehr in ➱Regenschirme), das wusste man 1876 nicht, als man das Eau de Cologne auf den Markt brachte. Die ➱Sloane Ranger und ➱Prinzessin Diana haben die Gummistiefel populär gemacht: London Sloanes sprout green wellies in wet weather like a plague of frogs. Dieses Paar Gummistiefel steht schon im Victoria & Albert Museum, es ist von der englischen Firma Hunter. Die Queen trägt diese Marke, und natürlich finden wir bei ebay ein Beispiel, wo Hunter mit Jäger übersetzt wird.

Wir halten fest, dass Namen, wenn sie Markennamen sind, nicht übersetzt werden. Mit anderen Namen kann es schwieriger werden. Und da verlassen wir mal eben die Gefilde des Kommerzes und der Markennamen. In der deutschen Kinofassung der englischen Doktor Filme heißt der Arzt, den Dirk Bogarde spielt, Simon Sperling (lesen Sie mehr in ➱Doktorspiele). Im Original heißt er natürlich Simon Sparrow, das hätte man so lassen sollen. Bei sprechenden Namen in der Literatur darf der Übersetzer natürlich den Namen übersetzen. Da kann aus Masterman Ready ein Sigismund Rüstig werden. Und der Übersetzer kann aus Shakespeares Andrew Aguecheek einen Junker Andreas Bleichenwang machen. Und aus Toby Belch einen Tobias Rülps.

Aber wie weit kann und darf man gehen? Die Frage bringt mich zu dem Stierfortz des Titels. Und zu Arno Schmidt. Denn in seinem Kurzroman Aus dem Leben eines Fauns findet sich dieses Stierfortz. Ich zitiere da mal eben den Absatz: Wind kommt draußen auf und Wolken. David Copperfield: Schönert schlug vor, den Namen des zweiten Helden, Steerforth, fonetisch mit 'Stierfortz' zu übersetzen (ist gar nich mal so unzutreffend; er weiß immer was Neues). Dann Mittag; Stullen und Bummeln. Wolkenschau (wie Urteil des Paris) : eine schlanke Schnelle in ganz anliegendem Weiß; eine vornehme Dicke mit kurfürstlich gebogenem Popo, und erhabenem Busenfett, wie von den Römern erbaut. 

Ich hätte den ganzen Absatz nicht zu zitieren brauchen, habe es aber getan, weil ich zeigen wollte, welches Vergnügen es machen kann, Arno Schmidt zu lesen (er hat hier mit ➱Arno Schmidt und ➱Arno (Otto) Schmidt auch schon zwei Posts). Arno Schmidt hat viel übersetzt, Sie finden hier eine Liste seiner ➱Übersetzungen. Er hat sich über die Brotarbeit beklagt, aber manchmal machte sie ihm auch Spaß: Nein, also zu Beginn habe ich da schwer gekämpft mit dem Bulwer, zumal es ja, wie ich schon sagte, meine Art mich zu erholen ist, dies Übersetzen, aber jetzt bin ich froh darüber, jetzt kann ich nämlich meinen Wortschatz, der ja auch nicht sehr klein ist, den kann ich jetzt mit dem von Bulwer konfrontieren.

Arno Schmidt liebte Wörterbücher, in einem Interview sagte er über das Universallexikon von Heinrich August Piererich habe ein ganzes Konversationslexikon von 1845 mit 34 Bänden (den alten PIERER, der übrigens ausgezeichnet ist), habe ich Wort für Wort lesen müssen, um mein Gehirn in die Falten jener Zeit zu legen; und vergessen durfte ich's auch noch nicht, was ich da gelesen hatte. Er muss ja immer etwas übertreiben. Aber gute ➱Wörterbücher sollte man schätzen. Und sie nicht wie Becky Sharp in ➱Vanity Fair aus dem Kutschenfenster werfen. Richtige gute historische Wörterbücher findet man nicht im Internet.

Als ich noch an der Uni war, hatte ich kostenlosen Zugriff auf das OED im Internet, das war sehr schön. Von so etwas hätte der Arno geträumt. Jetzt habe ich keinen Zugang mehr, aber ich habe das Compact OED im Regal, das ist auch nicht zu verachten. Wörter, die man in einem Buch nachschlägt, vergisst man nicht so schnell wieder. Computer werden, was Wörterbücher betrifft, sowieso überschätzt. Jane Roberts, eine der Herausgeberinnen des Historical Thesaurus of the Oxford English Dictionary, hat in einem Interview die erstaunliche Tatsache preisgegeben, dass man dieses größte Werk der englischen Sprache nicht mit dem Computer gemacht hat. Sondern mit kleinen Zetteln, wie damals bei ➱James Murray und dem ➱New English Dictionary. Ich finde das sehr beruhigend. Das hätte Arno Schmidt, dem Giganten des Zettelkastens, sicher gefallen.

Ich habe von meinem Opa eine kleine Handbibliothek geerbt, einen Muret-Sanders (wo sich auch die Bedeutung von ➱loomings findet, die viele Wörterbücher nicht enthalten) und einen Sachse-Villatte aus dem 19. Jahrhundert, es gibt nichts Besseres. Ich habe auch noch Heyses Fremdwörterbuch von 1891, das hatte der Arno auch in seiner ➱Bibliothek. Ich lasse ihn mal eben zu Wort kommen: Wie setzt sich eine solche Handbibliothek zusammen? Nicht daß mir das eigene Hüttlein – ein Morgen Haide drumrum; im schattigen Birkenlaub wiegt sich die Fernsehantenne – nun das Maß aller Dinge wäre; aber „im Schnitt“ wird’s so sein: dreißig Prozent Nachschlagewerke, dreißig Prozent die Fremdsprache, aus der man übersetzt; dreißig Prozent Fachliteratur zum erwähnten einen Dutzend älterer Lieblinge (es können aber auch Busenfeinde darunter sein); und die restlichen zehn Prozent – tja, das sind eben die geheimnis-follen, bibliogenen, „stomachalen“ (E. T. A. Hoffmann) Bände, die man meist verschweigt...

Nun bin ich vom ebay Englisch zu Arno Schmidt gekommen, ich muss mal eben wieder zurück. Liebe englische Händler, es gibt Spezialwörterbücher. Auch für Textilien. Und dann bietet ihr kein Welpen Zahn Jackett mehr an (houndstooth=Hahnentritt), kein doppelt belüftetes Jacket (double vents=Seitenschlitze) und kein doppelbrüstiges Jackett (double breasted=Zweireiher). Und auch kein Holzkohle Jackett (charcoal=anthrazit).

Aber wir können ja alle Englisch, wir verstehen das ➱Denglish schon, das sich wie der Riesen-Bärenklau überall breitmacht. Wie der Kabarettist Fred Rauch 1949 dichtete:

Weekend heißt Samstag, und yes heißt jawoll,
Party heißt Gesellschaft mit much Alkohol,
Boy friend ist er, na das wissen Sie schon!
und Girl friend, das ist dann das Fräulein davon,
und Baby heißt deutsch das Malheur,
sehn's, Englisch ist gar net so schwer.


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