Freitag, 25. Januar 2019

Peter Bischoff ✝


Ich wusste, wer er war, als er mich eines Abends anrief, kannte ihn aber nicht persönlich. Das sollte sich in den nächsten Jahrzehnten ändern. Er äußerte damals seine Verwunderung darüber, dass ich in einer Publikation gesagt hatte, dass seine Interpretation von The Great Gatsby in ihrer Kürze das Beste sei, was man in deutscher Sprache lesen könne. Das tat man damals offensichtlich nicht: Wissenschaftler von einer anderen Uni zu loben. Die eigene wissenschaftliche 'Familie' loben, jederzeit, aber keine anderen. Die deutsche Anglistik hatte etwas von einem System der Inzucht an sich. Wir wurden schnell Freunde, unsere Telephongespräche nahmen über die Jahre eine epische Länge an. Als wir das letzte Mal telephonierten, konnte er kaum noch sprechen, der Krebs fraß ihn von innen auf. Nun ist Peter Bischoff gestorben, das ist sehr traurig.

Zu Weihnachten hatten wir noch E-Mails getauscht. Ich hatte ihm geschrieben, dass es mir zum ersten Mal gelungen sei, den Mitgliedsbeitrag für die Westerngesellschaft rechtzeitig zu überweisen. Die Gesellschaft war sein Baby, das er hätschelte und pflegte. Der amerikanische Westen und der Western war nichts Geringes, er ist ein Herzstück der amerikanischen Kultur. Auf der Homepage der Gesellschaft definierte die German Association for the Study of the Western, die seit 1993 Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften in Deutschland ist, ihren Forschungsgegenstand so:

Der Western ist die älteste eigenständige Gattung der Vereinigten Staaten. Als Roman, Short Story, Drama und Hollywood-Western präsentiert er in ständiger Variation Amerikas Gründungsmythos, indem er die Geburt einer Nation, deren Vergesellschaftung und Identitätsstiftung aus den gewaltsamen Wehen des Konflikts zwischen Zivilisation und Wildnis zwar in einem historisierenden Kontext stattfinden läßt, sich jedoch gleichzeitig implizit oder explizit mit zentralen amerikanischen Ideen und deren Wechselwirkung mit jeweils zeitgenössischen gesellschaftlichen Problemen befaßt. Der Western ist demnach Diskussionsforum der amerikanischen Staatsform im Spannungsfeld zwischen Demokratie, Meritokratie, Feudalismus und drohender Anarchie und gleichsam eine in typischen Varianten sich präsentierende Erzählung über die Gründung einer Nation im Westen, die im Begriff ist, sich zu etablieren und zu legitimieren. Der Schauplatz des Western ist an der frontier angesiedelt, dort wo durch die Kollision von Wildnis und Zivilisation, Anarchie und law and order, territorialem Feudalismus und demokratischer Staatsbildung Amerika sich stiftet, seinen Nationalcharakter formt und sein politisches sowie ethisches System einer ständigen Prüfung unterzieht. 

Eine eigene Zeitschrift besaß die Gesellschaft noch nicht, die Studies in the Western kamen einige Jahre später. Man begann erst einmal mit einem Newsletter, aber dann kamen die gelben Hefte von Studies in the Western, die immer inhaltsreicher wurden. Peter Bischoff warb eine Vielzahl von Beiträgern ein, auch mich. Es war mir eine Ehre, gleich im ersten Heft mit einem langen programmatischen Aufsatz zum Spätwestern zu erscheinen. Von da an war ich der Filmkritiker der Zeitschrift, schrieb aber auch über Cowboy Songs und Country & Western Musik. Als James Stewart starb, überredete er mich über Stewart zu schreiben. Das war eigentlich nicht so mein Ding, aber gegen Peter Bischoffs Überredungskunst war ich machtlos. Er besaß eine ungeheure Energie, die vita contemplativa war nichts für ihn, die vita activa schon. Ein intensives. leidenschaftliches Leben endet. Sein Engagement und Forschungsgeist zeichnet ihn  bis zuletzt aus, stand in der Todesanzeige. Besser kann man es nicht sagen.

Die Gründung der Gesellschaft, die Etablierung von Studies in the Western, in in wenigen Jahren ein großes Renommee erhielt, das waren schon Leistungen. Und dann war da noch das Archiv: Bücher, Filme, Tonaufnahmen. Und Originalplakate von Klaus Dill, dem König der Kinoplakate der sechziger Jahre. 1997 erschien von Bischoff herausgegeben eine Sammlung der Plakate von Klaus Dill in einer limitierten Auflage von 970 Exemplaren. 1998 war die Universität Münster noch stolz auf das Projekt, neun Jahre später warf man Bischoff hinaus (lesen Sie hier einen Bericht der Westfälischen Nachrichten). Das hat ihm sehr wehgetan, aber er machte weiter, auch wenn er vieles aus eigener Tasche bezahlte. Die Aktion der Uni war kleinlich und schäbig, woanders macht man aus geringeren Projekten einen Sonderforschungsbereich. Aber so sind Universitäten häufig, als Erwin Chargaff emeritiert wurde, ließ seine Uni am nächsten Tag die Schlösser zu seinem Labor auswechseln.

Peter Bischoff, der einen Magistertitel von der Brandeis Universität hatte und über Saul Bellows Romane promoviert hatte, besaß viele Freunde in Amerika. Die er nach Deutschland locken konnte. Manchmal bekamen wir in Kiel auch etwas davon ab. Joyce Roach brachte einen ganzen Hörsaal dazu, einen Cowboysong zu singen, sie wurde mit standing ovations verabschiedet. Und dann war da noch Sandy Marovitz, der seinen Vortrag über Ralph Waldo Emerson um eine Stunde überzog. Er schenkte mir zwei seiner Melville Bücher und einen quietschegelben Kugelschreiber von der Kent State University. Der liegt immer noch auf meinem Schreibtisch. Ich wollte ihm meinen letzten Melville Katalog von der Schleswiger Ausstellung schenken, aber den hatte er schon. Das Highlight von allen Veranstaltungen aber war Elmer Kelton bei der Tagung der Westerngesellschaft, dazu gibt es hier schon einen ausführlichen Post. Seinen Roman The Good Old Boys hat mir Elmer Kelton geschenkt, signiert. Da war ich für einen Augenblick einer der Good Old Boys.

Auf der Trauerkarte, die ich von Peter Bischoffs Familie geschickt bekam, standen die letzten Verse von Red Steagalls Gedicht The Code of the West hasn't Changed:

I'm sure that the years have reshuffled my cards,
And the hand that I play's rearranged.
But I'll die believin' we had a good time
And that the code of the West hasn't changed.

Das fand ich sehr schön und passend.

2 Kommentare:

  1. Ich finde solche Geschichten schon traurig, wenn die Uni nicht mit an einer Lösung arbeitet.
    Ich hörte noch nie von solchem Forschungsgegenstand, lese selber das Magazin für Amerikanistik und hoffe nun, nicht durch Ihr wissenschaftliches Raster zu fallen.
    Viele Grüße im Januar,
    Uwe Rennicke

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  2. Viel zu spät entdeckt und sehr traurig. Ich habe von 1976-1981 in Münster Anglistik studiert und bin eines Tages in ein Seminar von Peter Bischoff spaziert. Was für ein Glück! Nicht nur von den Themen her war ich endlich in diesem Fach angekommen, sondern er persönlich ermunterte mich, mein Studium auf die Reihe zu bekommen. Er setzte mir Termine, damit ich meine Hausarbeit fertig bekam - und es gelang tatsächlich und wurde belohnt. Wenn ich es recht erinnere, habe ich drei Seminare bei ihm besucht und bin ihm bis heute dankbar für alles, was er bewirkt hat. R.I.P.
    Maren Kumpe
    Berlin, 1.11.2021

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