Sonntag, 11. August 2024

Wellingtons rechte Hand


Hier hat der englische Maler George Dawe den englischen General Rowland Hill gemalt. Wir sind im Jahre 1819, der Krieg gegen Napoleon ist zu Ende. Lord Hill war noch von 1815 bis 1818 in Paris der stellvertretende Kommandeur der Armee gewesen, die Frankreich besetzt hielt. Jetzt kann er nach Hause zur Fuchsjagd, das hat ihm die letzten zehn Jahre gefehlt. George Dawe hatte vom russischen Zaren den Auftrag bekommen, die Generäle des Krieges gegen Napoleon zu malen. Wenn Sie all die Portraits sehen wollen, die Dawe mit seinen russischen Assistenten Wilhelm August Golike und Alexander Polyakov zum Festpreis von tausend Rubel pro Bild gemalt hat (es sind 332 Portraits), müssen Sie hier klicken. Die meisten Generäle bekommen nur ein Halbportrait, der Zar, Kutusow und Wellington werden natürlich in der Gänze portraitiert. Hill, der inzwischen Baron Hill of Almaraz und Hawkstone ist, allerdings auch. So wichtig ist er schon geworden. Neun Jahre nachdem dies Bild (das heute im National Army Museum ist) entstand, wird er der Nachfolger Wellingtons als Oberkommandierender der englischen Armee.

Hier ist der Sieger der Schlacht von Almaraz von Sir William Beechey gemalt, einem Lieblingsmaler von George III, der hier schon einen langen Post hat. Hill, der aus einer reichen Familie von Großgrundbesitzern kam, sollte nach dem Willen des Vaters Jura studieren, aber er wollte unbedingt Soldat werden. Sein Vater kauft ihm eine Offiziersstelle, das ist damals die übliche Praxis; bis zum Rang eines Oberstleutnants kann man sich seinen Dienstgrad kaufen. Oder man bekommt ihn, wenn man eine eigene Truppe mitbringt. Das Kaufsystem wird erst 1871 abgeschafft. Aber der Junior tritt seinen Dienst noch nicht an, er macht jetzt etwas Außergewöhnliches. Er besucht die Militärakademie in Straßburg. England, das überall auf der Welt Krieg führt, hat noch keine Militärakademie. Das Royal Military College in Sandhurst wird erst 1801 gegründet. Auch Wellington wird eine französische Militärakademie (Angers) besuchen. 1793 nimmt sein Onkel, der gerade von einer Grand Tour zurückkehrt, den jungen Leutnant mit nach Hause. Das revolutionäre Frankreich scheint der Familie zu unsicher. Aber genau da wird Hill im nächsten Jahr wieder sein, als Adjutant des Generals Charles O'Hara bei der Belagerung von Toulon. O'Hara ist von dem jungen Captain Hill begeistert, that young man will rise to be one of the first soldiers of the age, soll er gesagt haben. Im Augenblick weiß man in England nicht, wo man das drei Meter große Bild von Beechey hinhängen soll. Hills Statue in Shrewsbury auf der höchsten dorischen Säule der Welt bröckelt auch schon. Was ist mit den Engländern los? Sie lassen einen Gainsborough zweiundsechzig Jahre im Keller schimmeln und haben keinen Platz für dieses Bild?

Charles O'Hara wird von den Franzosen gefangen genommen. So etwas hatte er zwölf Jahre vorher schon einmal erlebt. Da war Lord Cornwallis in Yorktown zu feige, seinem Gegner George Washington gegenüberzutreten, um ihm seinen Degen zu übergeben. Er schickt seinen Stellvertreter Charles O'Hara. Der will seinen Degen dem französischen General Comte de Rochambeau überreichen, doch der weist mit einer Handbewegung auf George Washington. Der wird zu dem Iren O'Hara sagen: Never from such a good hand. Statt seiner nimmt Benjamin Lincoln den Degen in Empfang. Und gibt O'Hara den Degen gleich wieder zurück, man hat noch Manieren. O'Hara ist nun ein Gefangener, wird aber wie ein Gentleman behandelt und von Washington zum Abendessen eingeladen. Er wird nach drei Monaten ausgetauscht und geht zurück nach England. Diesmal hat O'Hara nicht solches Glück, die Franzosen behalten ihn für Jahre. Allerdings ist er während der Schreckensherrschaft, wo draußen gemordet und guillotiniert wird, im Palais du Luxembourg relativ gut aufgehoben. 1795 tauscht man ihn aus. Gegen - und das ist eine Ironie der Geschichte - den Sohn jenes Comte de Rochambeau, der einst seinen Untergang bei Yorktown besiegelte.

Bei diesem Bild, das Henry William Pickersgill um 1835 für den König William IV gemalt hat, weiß man genau, wo es ist. Es hängt in Windsor Castle in der Waterloo Chamber. Hill trägt hier alle Orden, die er aus England, Russland, Österreich und den Niederlanden bekommen hat. Der hannöversche Guelphen Orden ist auch dabei. Rowland Hill hat sie sich verdient. Auf der Iberischen Halbinsel und bei Waterloo. Er ist Wellingtons wichtigster General, und Wellington wusste, was er an ihm hatte: the best of Hill is that I always know where to find him. Hill bekommt ein ganzes Korps, und er kann unabhängig operieren, er braucht keine Vorgesetzten. Als der Generalstab, der in den Horse Guards residiert, Hill einmal nach Holland versetzen will, sagt Wellington: Had you not better cut off my right hand?

Und so hat Joanna Hill ihr Buch auch genannt: Wellington's Right Hand: Rowland, Viscount Hill (man kann hier die ersten fünf Kapitel lesen). Die Autorin hat nicht nur denselben Namen wie der General, sie ist auch mit ihm verwandt. Sie ist seine Ur-ur-Großnichte. Sie konnte bei ihrer Biographie natürlich auf familiäre Dokumente zurückgreifen, was andere Historiker nicht konnten. Dies ist die Rückseite des Buches mit einem Gemälde von Robert Alexander Hillingford, das unseren General Hill zeigt, wie er in Waterloo gerade Napoleons Garde auffordert, sich zu ergeben. Hillingford war schon einmal in diesem Blog. In dem Post Tanz in den Tod findet sich das Bild vom Ball der Duchess of Richmond. Das den Augenblick zeigt, in dem Wellington erfährt, dass Napoleon schon vor den Toren von Brüssel steht. Bevor Wellington in Brüssel eintraf, war Hill der Kommandeur der alliierten Truppen gewesen, jetzt übernimmt der Marschall wieder selbst. In seinem Waterloo Bericht wird Wellington schreiben: I am particularly indebted to General Lord Hill for his assistance and conduct on this as on all other occasions. Joanna Hill hatte vor der Biographie von Viscount Hill schon ein Buch über die Familie Hill geschrieben: The Hills of Hawkstone and Attingham; the Rise, Shine and Decline of a Shropshire Family. Das geht zurück bis zu Sir Rowland Hill, der im 16. Jahrhundert die Geneva Bible veröffentlicht. Es ist eine berühmte Familie, aus der unser General kommt, sechs Hills aus Hawkstone werden einen Artikel im Dictionary of National Biographie haben.

My dear Hill, I rejoice extremely at the prospect I have before me of serving again with you, and I hope we shall have more to do than we had on the last occasion on which we were together, wird Wellington 1808 schreiben, wenn er nach Portugal aufbricht. Der Peninsular War in Portugal und Spanien ist die große Zeit von Rowland Hill, für dessen vorzeitige Beförderung zum Lieutenant General im Jahre 1811 Wellington gesorgt hat. Nur die Schlacht von Albuera wird er verpassen, da ist er für ein halbes Jahr in England, weil ihn das Fieber (es ist wahrscheinlich Malaria) nicht loslässt. Hill befehligt unabhängige portugiesische und englische Einheiten von 18.000 bis 30.000 Soldaten, er braucht keinen Vorgesetzten, er weiß, was er zu tun hat. Er wird spektakuläre Siege gegen die französische Übermacht erringen. 

Wie 1811 in der Schlacht von Arroyo dos Molino, wo durch sein geschicktes Taktieren Jean-Baptiste Girard zweitausend seiner dreitausend Soldaten und alle Kanonen verliert. Und froh ist, dass er die napolonischen Adler mitnehmen kann: L'honneur des armes est sauvé; les Aigles ne sont pas tombés au pouvoir de l'ennemi. Und dann ist da noch die Schlacht von Saint-Pierre-d’Irube, wo Napoleons Marschall Soult dreimal soviel Soldaten und doppelt soviel Kanonen hat wie Hill. Sir John Fortescue, der Historiker der englischen Armee, wird dazu schreiben: The British General, though his name is unknown outside the British Isles, was a commander indeed; while the French Marshal, though his fame is deservedly world wide, was no more than an admirable Chief of Staff. Auf Pickergills Bild von Hill, das im Windsor Castle hängt, hat er ein Fernglas in der Hand. Hill braucht das nicht, er ist ein General, der von vorne führt. Und wir glauben dem Historiker, der über die Schlacht schreibt: This was one of the most desperate pieces of fighting in the Peninsular War, and Hill was the soul of the defence. He was seen at every point of danger, and repeatedly led up rallied regiments in person to save what seemed like a lost battle. Eye-witnesses speak of him as quite transformed from his ordinary placidity. A very picture of warlike energy. He was even heard to swear, a thing so rare that we are assured that this lapse from his accustomed habits only took place twice during the war.  Als Wellington hörte, dass sein Freund Hill geflucht hat, sagte er: If Hill has begun to swear, they all must mind what they are about.

Auf diesem Bild hat George Cruikshank die Helden von Waterloo dargestellt. Es sind von links der Prinz Wilhelm von Oranien und der Herzog von Braunschweig in seiner schwarzen Uniform. Neben ihm zu Pferde ist Wellington in seiner blauen Uniform. Daneben Rowland Hill, über den Wellington bei Waterloo sagte: he commands virtually an army with many lieutenant generals serving under him. Der Mann in der dunkelblauen Uniform ist natürlich Blücher, neben ihm ist Henry Paget, der zweite Earl of Uxbridge. Der war nicht bei dem ganzen Spanienfeldzug dabei, er wurde abgelöst, weil er eine Affäre mit der Frau von Wellingtons Bruder hatte. Der Herr, der auf dem Boden sitzt, ist der General Sir Thomas Picton. Cruikshank hat sich dabei etwas gedacht. Die kleine ikonographische Geheimregel für das Verständnis dieses Bildes heißt: wer nicht auf einem Pferd sitzt, ist in Waterloo gefallen. Der schwarze Herzog und Sir Thomas Picton, der immer einen Regenschirm dabei hatte, sind beide schon tot.

Rowland Hill hat als General nichts Spektakuläres an sich, nichts Exzentrisches, was viele Generäle auszeichnet. Er ist einer der wenigen Generäle, der sich wirklich um seine Soldaten kümmert. Bei ihm gibt es keine Prügelstrafe, seine Soldaten nennen ihn 'Daddy Hill': His popularity with the troops was his sterling personal worth and his heroic spirit; but his popularity was increased and strengthened as soon as he was seen. He was the very picture of an English country gentleman. To those who came from the rural districts of old England he represented home - his fresh complexion, placid face, kind voice, the total absence of all parade or noise in his habits, delighted them ... Also his kind attention to all the wants and comforts of his men, his visits to the sick in hospital, his vigilant protection of the poor country people, his just severity to marauders, his generous and humane treatment of such prisoners and wounded as fell in his hands - all consistent actings of a virtous and noble spirit - made him a place in the hearts of his soldiers.

My dear Hill, beginnt der Duke of Wellington seinen Brief vom 1. Februar 1828, in dem er ihm mitteilt, dass er gerade First Lord of the Treasury (das heißt Premier Minister) geworden ist. Die Stelle des Commander-in-Chief of the Forces bietet er jetzt Lord Hill an, der für die nächsten vierzehn Jahre und 205 Tage Englands höchster Soldat sein wird. Da England in dieser Zeit kaum Kriege führt, kommt Lord Hill noch dazu, sich der Fuchsjagd in Hawkstone und dem Schießen von Rebhühnern zu widmen. 

Erstaunlicherweise hat man den General Hill so gut wie vergessen, sein Neffe Sir Rowland Hill, der das englische Postwesen revolutionierte, ist berühmter als er. 1816 erschienen in Hills heimatlichem Shrewsbury die Memoirs of Lieutenant-General Lord Hill (hier im Volltext) von einem gewissen Charles Hulbert, ein übel zusammelgestoppeltes 44-seitiges Machwerk. 1845 erschien die erste Biographie über den Viscount, geschrieben (mit Genehmigung der Familie) von dem Reverend Edwin Sidney. Das Buch wurde 2014 wieder aufgelegt. Der Artikel im Dictionary of National Biography vermerkt lapidar: Most of the other biographical notices of Hill are imperfect and incorrect, among which must be included that in the 9th ed. Encyclopædia Britannica. So müssen wir uns auf die beiden Bücher von Joanna Hill verlassen. Glücklicherweise gibt es da noch das Buch The Surpriser: The Life of Rowland, Lord Hill von dem amerikanischen Geschichtsprofessor Gordon L. Teffeteller, wo man lesen kann: writers frequently ignored his acceptance of broad responsibilities; his ability to marshal meagre resources to achieve major results; his development and execution of intricate operations which required vision, secrecy and rapid movement; his sangfroid under fire; and his ability to develop esprit de corps under depressing circumstances. Es wäre schön, wenn es einmal eine überarbeitete Neuauflage des Buches geben würde. Hill spielt die Hauptrolle in dem Buch At the Point of the Bayonet: The Peninsular War Battles of Arroyomolinos and Almaraz 1811-1812 von Robert Griffith, in dessen Blog →daring, duty &cunning plans man viel davon lesen kann. Rowland Hill ist auch bei YouTube, die englische Folkloregruppe The Yardarm hat ihn 1970 auf Vinyl besungen. 

Die napoleonischen Kriege waren von Anfang an in diesem Blog. Ich war eine Woche im Netz, da gab es hier die Posts Beresina und Regenschirme. Ich habe mir gedacht, dass ich dem General Hill an seinem Geburtstag einen Post spendiere, in dem mehr drinsteht, als in dem Wikipedia Artikel. Hill war übrigens der einzige, der genau wusste, wann die französische Artillerie in Waterloo zu feuern begann. Er hatte zwei Taschenuhren dabei, eine hatte eine Stoppfunktion. Als er das erste Mündungsfeuer sah, drückte er auf den Knopf. Es war elf Uhr fünfzig. Wann die Schlacht wirklich begann, war unter Historikern lange umstritten, inzwischen hat man sich auf die Zeit geeinigt, die Hills Taschenuhr anzeigte. Als ich dies schrieb, lag neben mir eine alte englische Taschenuhr mit Zentralsekunde, die englische Kapitäne gerne für die Zeitmessung verwendet haben. Leider ist die Stoppfunktion kaputt, da traut sich aber heute kein Uhrmacher mehr ran.

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