Das Teil steht jetzt bei mir auf der Kommode. Der Barni schleppte es letztens an, aber ich weiß noch nicht, ob ich die Uhr behalte. Es ist eine Kienzle Weltzeituhr, die die Firma von 1956 bis zu ihrer Pleite im Jahre 1996, als sie nach China wanderte, im Programm hatte. Das Modell in dieser Abbildung hatte noch ein mechanisches Uhrwerk; die jetzt bei mir steht, hat ein Quarzwerk der Firma Kienzle. Man kennt den Designer der Uhr, es ist Heinrich Johannes Möller, der von 1932 bis 1970 der Chefdesigner von Kienzle war. Was er an →Großuhren entwarf, prägte von den dreißiger bis zu den fünfziger Jahren die deutschen Wohnzimmer. Aber mit dieser Uhr wird es ein klein bisschen peinlich. Denn die erste dieser Weltzeituhren, sozusagen die Ur-Uhr, war 1939 ein Einzelstück, das offizielle Staatsgeschenk von Württemberg-Hohenzollern für Adolf Hitler zu seinem fünfzigsten Geburtstag. In dem Jahr beschäftigte Kienzle über 3.500 Mitarbeiter und produzierte fünf Millionen Uhren im Jahr. Der Konkurrent von Kienzle im Billiguhrenbereich, die Gebrüder Thiel in Ruhla, produzierten damals zwei Millionen Uhren im Jahr. Junghans, die immer eine höhere Qualität hatten, hatte schon 1903 mit dreitausend Beschäftigten drei Millionen Uhren produziert. Ihre ersten Armbanduhrwerke hatten sie sich in den zwanziger Jahren allerdings von Thiel zukaufen müssen. Als sie dann selbst eigene Werke herstellten, waren sie meilenweit von den Billigheimern Thiel und Kienzle entfernt.
Die Uhr für Adolf Hitler war natürlich aus Gold und hatte kleine Hakenkreuze an der Schmalseite eingraviert. In der Zeitschrift Innendekoration: mein Heim, mein Stolz: die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort wurde die Uhr beschrieben als: Das Gebilde wird als Ganzes zu einem Symbol desjenigen Geistes, der durch diesen Mann im deutschen Leben herrschend geworden ist: eines Geistes der klardurchdachten, straff rationalen Ordnung und zugleich des praktischen, tathaften Wollens. Schöner kann man es nicht sagen, es ist aber völliger Quatsch.
Hitler hatte schon fünf Jahre zuvor eine →Weltzeituhr geschenkt bekommen, die kam von den Uhrmacherlehrlingen der Stadt Köln und ihrem Lehrer Otto Müller. Es war ein kleiner Art Déco Silberklotz mit fünf Zeitzonen, auf den die obige Lobhudelei kaum zutraf. Allerdings muss man anmerken, dass Professor Karl Berthold, der Schöpfer dieses silbernen Unikats, ein hundertprozentiger Nazi war. Im Jahr zuvor hatte er als kommissarischer Direktor der Städelschule undeutsche und entartete Professoren wie Willi Baumeister und Max Beckmann entlassen. In Limburg gab es 2017 eine Ausstellung für Berthold, die den Namen Karl Borromäus Berthold: Goldschmied für Gott – und den Teufel hatte. Als der Uhrmacher Otto Müller mit seinen Lehrlingen Hitler diese silberne Uhr überreichte, hatte Kienzle gerade die Wanduhr aus dem Programm genommen, die zu jeder halben Stunde den Anfang des Horst Wessel Liedes spielte. So etwas mochten die neuen Herren Deutschlands dann doch nicht hören, dafür hatten sie schon ein Gesetz zum Schutz der nationalen Symbole.
Die Kienzle Uhr befindet sich heute im Deutschen Uhrenmuseum, man hatte sie auf einer Auktion ersteigert. Man ist sich aber nicht sicher, ob diese Uhr wirklich das Geschenk von Württemberg-Hohenzollern gewesen ist, offenbar hat es mehrere Exemplare der Uhr gegeben. Das Deutsche Uhrenmuseum widmet der Uhr in seinem→Blog eine ganze Seite, in dem das Design der Uhr mit dem Kunstwollen der Nazis in Verbindung gebracht wird. Das ist kunsthistorisch leider ein wenig schwammig. So, wie die Uhr gerade steht, ist in Berlin gerade Mitternacht. War das beim Aufstellen der Uhr symbolisch so gewollt? 1956 dachte sich die Firmenleitung von Kienzle, dass man jetzt die Sache mit dem Hitler Uhr vergessen hätte und brachte die Uhr kaum verändert wieder auf den Markt. Ohne Gold und ohne Hakenkreuze. Es gab von der Uhr eine Vielzahl von Modellen. Sie können alles (aber wirklich alles) dazu auf dieser schönen →Seite lesen.
Seit den 1930er Jahren hat es auch schon Armbanduhren gegeben, auf denen man die Uhrzeit in einem anderen Land ablesen konnte, und die gibt es natürlich heute immer noch. Es gibt Weltzeituhren auch in ganz groß. In Berlin wurde 1969 eine Weltzeituhr namens Urania am Alexanderplatz aufgestellt. Sie wurde ein beliebter ostberliner Treffpunkt, man traf sich eben unter der Weltzeituhr am Alex. So wie man sich in Hannover unterm Schwanz des Pferdes von Ernst August trifft.
Im letzten Jahr wurde die Weltzeituhr von sogenannten →Klimaaktivisten mit roter Farbe besprüht. Erich John, der Designer der Urania Weltzeituhr sagte: Das tut der Kultur weh. Es trägt auf keinen Fall zur Beförderung des Umweltgedankens bei. Es wirkt entgegengesetzt! Denn genau diese Schmierereien haben wir ja in der ganzen Stadt. Und das ist ja schon schlimm genug. Wollten die Aktivisten die Zeit zerstören? Das hatte schon der besoffene Lord Rochester mit seinen Kumpanen versucht, als er 1675 die Sonnenuhr von Charles II zerschlug: My Lord Rochester in a frolick after a rant did yesterday beat doune the dyill which stood in the midle of the Privie Garding, which was esteemed the rarest in Europe. I doe not know if it is by the fall beet in peeces. Das war damals die teuerste Sonnenuhr Europas gewesen. Die genaue Zeit zu haben, war früher eine Sache der Könige und Fürsten gewesen. Karl V träumte davon, dass ihm sein Uhrmacher Giovanni Juanelo Turriano zwei Uhren baute, die synchron gingen. Friedrich III von Schleswig-Holstein beschäftigte den berühmten Nikolaus Radeloff, und George III wird seine Uhrmacher sehr gut bezahlen.
Die Weltkarte der Kienzle Weltzeituhr ist durchzogen von vertikalen Linien, die unten auf der zweifarbigen Zeitscheibe enden. Weiß steht für den Tag, schwarz für die Nacht. Man sucht sich einen Ort der Welt auf der Landkarte, von dem man wissen will, wie spät es da ist, geht auf der vertikalen Linie nach unten und hat die Uhrzeit. Vorausgesetzt, man hat zuvor die Zeitscheibe erst einmal richtig eingestellt. Was mir mithilfe der →Bedienungsanleitung nach etlichen Minuten gelungen ist. Jetzt weiß ich immer, wie spät es bei dem Yogi in den USA ist. Mein Computer würde mir das allerdings auch sagen.
Die Weltzeituhr bei mir auf der Kommode wird von einem Quarzwerk angetrieben. Ich wusste nicht, dass Kienzle selbst Quarzwerke hergestellt hat. Ich dachte, die kämen von Seiko. Die haben ja schließlich das Quarzwerk für Armbanduhren erfunden. Und sie hatten ja auch mal eine Kooperation mit Kienzle vereinbart. Weil sie auf den deutschen Markt kommen wollten. Das hat nicht lange gehalten, aber es hat einmal Kienzle Uhren mit diesem Seiko Werk (Kaliber 6220) gegeben. Das ist das beste Werk, das jemals in einer Kienzle war. Es ist in einer noch besseren Qualität in meiner Seiko Skyliner drin. Über die Kienzle Armbanduhrwerke, meistens Stiftankerwerke, häufig ohne Steine, wollen wir lieber nicht reden. Google beantwortet im Internet die selbst gestellte Frage Ist Kienzle eine gute Marke? mit dem Satz: Ausgesprochene Qualität, beste Materialwahl und eine überzeugende Zuverlässigkeit lassen die Uhrenmodelle von Kienzle für ewig leben. Davon ist allerdings kein Wort wahr.
Es stellt sich auch die Frage, wem die Firma Kienzle überhaupt gehört. Am Anfang, als sich Jakob Kienzle hier mit seiner Familie präsentierte, war das alles klar, aber seit den 1960er Jahren war Kienzle kein Familienunternehmen mehr. Großaktionäre wie Oerlikon-Bührle und Alfred Kreidler hatten sich eingekauft. Der Name Kreidler sagt mir etwas, weil ich mal eine Woche lang ein Kreidler Florett besaß. 1966 war die Firma Kienzle ganz im Besitz von Alfred Kreidler, der alle Anteile von Oerlikon-Bührle übernommen hatte. Es folgen schwierige Zeiten für die Firma, die sich seit 1963 ihre Werke für Armbanduhren in Japan und der Schweiz kaufte. Was besser für die Uhren war, denn Stiftankerwerke ohne Steine konnte man 1963 schlecht verkaufen.
Man kann die Stationen des Niedergangs der Firma auf dieser hervorragenden →Seite nachlesen. 1975 verkaufte die Firma Kienzle das →Hellmut Kienzle Uhrenmuseum für acht Millionen Mark an das Land Baden-Württemberg. Leider hört die Geschichte des Niedergangs der Firma auf der Seite der →Sozialgeschichte der Uhrenindustrie in den 1980er Jahren auf. Vom Verkauf an die Chinesen, der Rückkehr nach Hamburg, den zahlreichen Insolvenzen steht da leider nichts. Auf der Seite von Kienzle 1822 ist von einer neuen Eigentümerfamilie die Rede, es wird aber nicht gesagt, ob der Schweizer Thomas Morf das ist. Auch nicht, wo die Kienzle Uhren, die jetzt auf dem Markt sind, überhaupt herkommen.
Kienzle hatte 1973 mit der Serienproduktion eines Quarz Großuhrwerkes (Kaliber 713) begonnen, das Werk war für Tisch- und Küchenuhren konzipiert, Und auch für die Weltzeituhr, Kienzle Quartz Germany steht hinten drauf. Laut der →Firmenseite setze sich Kienzle damit technologisch an die Spitze der 'Quarz-Großuhrenwerke-Hersteller'. Aber da bin ich nicht so sicher, ob das stimmt. Der technologische Fortschritt kommt nicht aus Schwenningen, sondern aus Japan. Wo Seiko in den siebziger Jahren (gleichzeitig mit Kienzles ersten Quarzwerken für Armbanduhren) neue High-Tech Quarzuhren auf den Markt bringt, die Type II heißen. Das war der Nachfolger der ersten QT, QR und QZ Werke. Die Typ II Uhren waren teurer als die meisten Seiko Automatikuhren, aber sie sind auch genauer. Die Abweichung von der genauen Zeit beträgt fünfzehn Sekunden im Monat.
Diese Abweichung wird mit den nachfolgenden Twin Quartz Modellen (Bild) noch viel kleiner, sie liegt dann nach Seiko Angaben bei 5 bis 15 Sekunden im Jahr. Man muss allerdings bedenken, dass eine →Seiko Superior damals soviel kostete wie ein japanischer Mittelklassewagen. Das elegante Teil im oberen Absatz, das das aufwendige Zifferblatt einer Superior hat, ist meine Seiko Quarzuhr vom Typ II (Kaliber 0903-8110 mit 5 jewels). Ein JDM Modell (Japanese Domestic Market) von der Suwa Seikosha aus dem Jahre 1976. Mit dieser Uhr ist bei mir für Quarzuhren erst einmal Schluss. Da, wo Seiko Ende der siebziger Jahre war, sind heute viele. Einszweidrei, im Sauseschritt läuft die Zeit, wir laufen mit. Das ETA Precidrive in meiner Certina DS Action Diver geht angeblich nur zehn Sekunden im Jahr falsch, die Citizen CTQ57-0953 Chronomaster soll bei einer Abweichung ±5 Sekunden liegen. Das schafft das Kaliber 9F der Grand Seiko wahrscheinlich auch.
Ich glaube, ich werde dem Barni die Weltzeituhr, die bei jetzt erstmal nur Gast ist, doch abkaufen. Es ist ein kurioses Stück deutscher Uhrengeschichte. Der Barni wird mir nicht so viel dafür abnehmen. Obgleich Sammler für die erste Generation der Uhren, die noch ein mechanisches Werk haben, erstaunliche Preise bezahlen. Das kann schon mal vierstellig sein, es kommt natürlich auch auf den Zustand der Uhr und des Werkes an. So teuer wie diese Uhr hier wird meine erste und einzige Kienzle nicht werden. Dies ist das Modell →Universalzeit von Moritz Grossmann, es kostet 50.000 Euro. Dafür kriegt man auch schon ein Round the World Ticket.
Bei der Hitler Uhr aus dem Jahre 1939, die das deutsche Uhrenmuseum bei Etsy ersteigert hatte, ist leider das Werk kaputt. Hat auch keine tausend Jahre gehalten. Die trösten sich jetzt damit, dass die Uhr immerhin zweimal am Tag die richtige Zeit anzeigt. Allerdings nicht zweimal die richtige Weltzeit, weil sich die Zeitscheibe ja nicht dreht. Ich würde gerne wissen, was sie für die Uhr bezahlt haben. Wenn man eine Weltzeituhr am Arm tragen will, dann bietet sich neben der etwas bizarren Moritz Grossmann diese völlig unübersichtliche Patek Philippe doch geradezu an. Kostet allerdings schon beinahe sechsstellig. Die Meister Anker Solar Funk Weltzeit Armbanduhr kostet bei ebay nur dreißig Euro. Aber braucht man so etwas wirklich?
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