Sonntag, 23. Januar 2011

Schlipse


Der Herr, der sich in einem gutbürgerlichen Geschäft nach Schlipsen erkundigte, wurde vom Geschäftsführer mit dem Satz irritiert Schlipse haben wir nicht, da müssen Sie schon über die Straße zu C&A gehen. Wir führen nur Krawatten. Wahrscheinlich sollte das, mit einer leicht herablassenden Bonhomie vorgetragen, witzig sein. Der Herr, ein Admiral in Zivil, bedankte sich für diese Auskunft und verließ stante pede den Laden. Er ging zwar nicht zu C&A, aber auch nie wieder in diesen Laden. Die Geschichte ist wahr, ich habe sie nur ein klein wenig verändert, damit man die Beteiligten nicht erkennt. Offensichtlich sind Krawatten etwas Feineres als Schlipse. Es gibt einen Krawattenmann des Jahres (Guido Westerwelle und Roy Black waren das einmal) aber keinen Schlipsmann.

Eigentlich wäre es völlig unnötig, über Krawatten oder Schlipse zu schreiben, wenn nicht in dieser Woche ein junger Abgeordneter (der ist 26, sieht aber aus wie sechzehn) eine Grundsatzdiskussion entfacht hätte. Wir haben es ja in Deutschland mit den Grundsatzdiskussionen. Selbst bei den lächerlichsten Anlässen holen wir sofort Kants Kategorischen Imperativ aus der Schublade. Derjenige, der als Schriftführer im Deutschen Bundestag auf die Würde des Amtes hingewiesen wurde, verkündete sofort es geht ums Prinzip. Und in der Geschäftsordnung des Bundestag stände nichts von Krawatten. In der Geschäftsordnung des Bundestags steht auch nichts von der Erdanziehung, und trotzdem gibt es die. Müssen Selbstverständlichkeiten des guten Benehmens in einem Gesetz oder einer Verordnung stehen? Braucht der Bundestag eine Zentrale Dienstvorschrift für die Bekleidung so wie die ZDv 37/10 für die Bundeswehr? Dann sollten wir als nächstes den Einsatz von Disco Türstehern an den Türen des Plenarsaals fordern. Gesichtskontrolle. Und den Einsatz der clothes police. Es wäre dann im Parlament noch leerer als sonst.

In meinem Büro in der Uni tauchte vor Jahren eines Vormittags ein Student auf, der einen Brief in der Hand hielt. Sie haben mir doch das Gutachten für den Assistant Teacher Job geschrieben, sagte er mit einem leichten Vorwurf in der Stimme, die haben mich an dieser Public School genommen. Sie wollen aber, dass ich im Unterricht einen Schlips trage. Und dann kam die etwas überraschende Bitte: Können Sie mir mal eben zeigen, wie man einen Schlips bindet? Er hatte auch gleich einen mitgebrachtIch habe das getan, mochte ihm aber nicht sagen, dass ihn die Public School nicht wegen seiner Leistungen im Fach Englisch oder wegen meines Gutachtens genommen hatten, sondern weil er eine Fußballtrainerlizenz hatte. Aber auch Fußballtrainer trugen in England schon einen Anzug und einen Schlips als deutsche Trainer noch im Trainingsanzug auf der Bank saßen. Weil sie Männer waren, und da gehörte in England der Anzug und der Schlips dazu. Inzwischen tragen deutsche Trainer ja auch solch ein Outfit. Selbst Winfried Schäfer, den man früher nur mit Matte und Lederjacke kannte, ist inzwischen schon mit Anzug und Schlips gesehen worden. Und Trainer von italienischen und spanischen Vereinen zeigen heute schon eine größere Eleganz als unsere Bundestagsabgeordneten.

Jeder Karnevalsverein hat Bekleidungsvorschriften, jede Disco ihren Dresscode. Es ist nichts dagegen zu sagen, zu einem hellen Baumwollanzug bei einer sommerlichen Gartenparty den Langbinder wegzulassen. Es ist in manchen Gegenden Deutschlands auch sinnvoll, am Tag der Weiberfastnacht nicht unbedingt eine seven fold von Kiton umzubinden. Es ist dagegen schon etwas widerlich, wenn Politiker, um sich jugendlich zu geben, neuerdings auf die Krawatte verzichten. Ganz besonders blöd hat Tony Blair mit diesem Look ausgesehen. Aber man sieht diesen Look neuerdings vermehrt bei der FDP. Dazu kann man nur sagen: wo bleibt das Goldkettchen um den Hals und das Brusthaartoupet? Wenn schon den Strizzi Look, dann auch konsequent. Aber diese Geschmacksverirrungen sind nicht das Thema. Wohl auch nicht die Blümchenkrawatten, die der junge Bundestagsabgeordnete, der jüngste seiner Partei, bei anderen Abgeordneten monierte. Es war mir in seiner Rede nicht klar, was das Schlimme an Blümchenkrawatten sei soll. Haben die Grünen neuerdings etwas gegen Blumen? Eigentlich sollte doch jeder Abgeordnete dieser Partei einen Blümchenschlips tragen.

Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn der Bundestagspräsident oder sein Stellvertreter auf die Würde des Hauses achtet. Der Bundestag ist nun mal keine come as you are party. Wo wollen wir die Grenzen setzen, ohne uns zum Gespött zu machen? Muss erst ein Volksvertreter in T-Shirt, Jogginghose und Adiletten mit einem six pack Bier in der Hand zum Rednerpult schlurfen? Steht das anything goes schon in irgendeinem Parteiprogramm? Ich kann Sven-Christian Kindler, MdB, nur empfehlen, einmal Richard Sennetts The Fall of Public Man zu lesen. Gibt es für Politiker auch auf deutsch mit dem vielsagenden Titel Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität. Als im Paris des Jahres 1968 die ersten Gymnasiallehrer ohne Schlips zum Unterricht erschienen, brach für Teile des Bourgeoisie eine Welt zusammen, wie Pierre Bourdieu in La dinstinction mit einer gewissen Süffisanz notierte. Jetzt haben wir eine politische Posse in Berlin. Was so ein kleines Stück Seide aus Como oder Krefeld nicht alles anrichten kann.

Eine der schönsten Anekdoten eines Verstoßes gegen die sartoriale Norm kommt - woher sollte sie sonst kommen? - aus dem Vereinigten Königreich. Ein Gast, der zu einer Party in einem irischen Schloss eingeladen war, erkundigte sich vorher bei dem Gastgeber nach der Kleiderordnung. Just the usual fancy dress, sagte der. Womit er natürlich das dinner jacket und black tie meinte. Der Gast, eine simple Seele, nahm das mit dem fancy dress wörtlich und lieh sich in einem Kostümverleih eine Ritterrüstung aus. Schien im das Passende für irische Schlösser. Sie können sich jetzt diese Geschichte zu Ende denken. Ich habe sie aus John Morgans Debrett's New Guide to Etiquette & Modern Manners stibitzt. Was im Gegensatz zu der stuffiness seiner Vorgänger ein erstaunlich modernes und vernünftiges Regelwerk ist. Seit Baldassare Castigliones Il Cortegiano hat es immer wieder Regelwerke für das Benehmen gegeben. Und es gilt nicht nur truth is the daughter of time, auch die Benimmbücher sind ein Kind der jeweiligen Zeit. Man mag heute über Erica Pappritz lächeln, aber für die Adenauerrepublik hatte ihr Buch durchaus seine Bedeutung. Ideas travel upwards, manners travel downwards, hat ➱Bulwer-Lytton einmal gesagt.

Die kleine sartoriale Groteske im Bundestag wurde beendet durch Agnes Alpers von der Linken, die den verwaisten Posten eines Schriftführers einnahm. Mit Schlips. Mit rotem Schlips! Das kann man nicht übertreffen, das muss man bewundern. Man sollte sie sofort zur Krawattenfrau des Jahres ernennen.


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