Samstag, 3. Dezember 2011

Schmuddelkinder


Heute wäre er achtzig geworden, aber er ist vor einigen Wochen gestorben. Abgesehen davon, dass er ein deutscher politischer Liedermacher der ersten Stunde war, war er ein promovierter Jurist. Er war auch in der deutschen Literatur sehr belesen, ich nehme mal an, er hätte ebenso gut in der Germanistik promovieren können. Solche Juristen gab es ja mal. Das Lied, das er auf der Burg Waldeck sang, hat ihn verfolgt wie Helge Schneider vom Katzenklo verfolgt wird. Es hieß Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, sing nicht ihre Lieder, und es wurde eine Art Nationalhymne der 68er Bewegung. Seine Lieder gab es bald auch in Buchform. Ich weiß das, das Buch steht bei mir noch im Regal. Er konnte nicht so gut singen wie Hannes Wader, aber er konnte gute poetische Texte schreiben. Eigentlich war er ein verhinderter Dichter. Und deshalb gibt es hier heute ein Lied von Franz Josef Degenhardt (das Hannes Wader 1998 auf Auftritt: Hannes Wader auch gesungen hat), das ich sehr schön finde. Und es gibt natürlich auch einen Link, wo man das Lied von Degenhardt gesungen hören kann. Die Schmuddelkinder war er irgendwann leid, aber das Lied Reiter wieder an der schwarzen Mauer hat er immer wieder gesungen.

Reiter wieder an der schwarzen Mauer
vor der Kokerei im Pfefferminz.
Diesmal sind es sieben junge Mädchen
auf Patrouillenritt zum Märchenprinz.
Hören sie im Bauch schon die Trompeten?
Eine, die sich in die Bügel stellt
Helle Rufe. Und dann stürmt das Fähnlein
galoppierend in das Roggenfeld.
Schüsse fallen nicht Es wehen Tücher
überm gelben Roggen. An Schacht
Zwei in der stillgelegten Zeche
traben sieben junge Mädchen rasch vorbei.

Dreizehn waren sie und waren Ulanen
an der schwarzen Mauer, Halt davor.
Und dann schmetterte eine Trompete
zur Attacke auf das Zechentor.
Und dahinter standen hundert Kumpel
ohne Waffen, ihre Frauen mit;
sangen lauter, um sich Mut zu machen,
wie das Fähnlein in den Roggen ritt
Säbelblitzen überm gelben Roggen,
doch Ulanen schlagen erstmal flach.
Später fielen erst die scharfen Schüsse.
Und zwei Kumpel waren tot danach.

Ich sah dann auch an der schwarzen Mauer
die drei Reiter, einer noch ein Kind.
Einarmig der erste, und dem letzten
flatterte der Kopfverband im Wind.
Nein, man hörte kein Trompetenschmettern
beim Galopp hinein ins Roggenfeld.
Zwei Granaten feuerte der Panzer,
gut getarnt ans Zechentor gestellt
Erdfontänen überm gelben Roggen
und der gräßlich helle Pferdeschrei.
Einer aber galoppierte weiter
ohne Kopf und kam noch bis Schacht Zwei.

Nein das Vergangene ist nicht tot - es ist nicht einmal vergangen.

Reiter wieder an der schwarzen Mauer
vor der Kokerei im Pfefferminz.
Diesmal sind es sieben junge Mädchen
auf Patrouillenritt zum Märchenprinz.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen