Donnerstag, 12. Juli 2012

Richard Cromwell


Der Sohn Oliver Cromwells ist heute vor dreihundert Jahren gestorben. Man hat ihn nicht wie seinen Vater nach dem Tod wieder ausgegraben, zerstückelt und seinen Kopf auf einen Pfahl gespießt. Der Mann, der vom September 1658 bis zum Mai 1659 Lord Protector von England war, hat dieses Amt schnell aufgegeben. Der Pöbel auf Londons Straßen nannte ihn Tumbledown-Dick oder Queen Dick. Das Parlament hatte sich bereit erklärt, seine Schulden zu bezahlen und ihm eine kleine Pension zu gewähren. Bis zum Sommer wohnt er noch in Whitehall, danach zieht er auf das Gut seiner Frau in Hursley. Ein Jahr später hat er England verlassen, nicht weil er politisch verfolgt wurde, sondern weil er seine und seines Vaters Schulden nicht bezahlen konnte. Da geht es ihm wie Beau Brummell. Das Parlament hatte die erste großzügige finanzielle Regelung inzwischen wieder zurückgenommen. Aber zwanzig Jahre später ist er in aller Stille wieder nach England zurückgekommen.

Er hat dem Dichter Andrew Marvell 1658 einen Posten als Abgeordneter im Parlament für die Stadt Hull verschafft. Vielleicht, weil der in seinem ➱Gedicht auf den Tod von Oliver Cromwell am Schluss ein paar nette Dinge über ihn gesagt hatte:

Cease now our griefs, Calme peace succeeds a war
Rainbows to storms, Richard to Oliver.
Tempt not his clemency to try his pow'r
He threats no Deluge, yet fore tells a showre.


Den Abgeordnetensitz verliert Marvell im Mai 1659, wenn Cromwell das Parlament auflöst. Allerdings bekam Marvell auch unter Charles II seinen Posten wieder. Er besaß einen erstaunlichen Selbsterhaltungstrieb, skilled in the arts of self-preservation, he was not a toady, hat ein Historiker über ihn gesagt. Es ist eine verblüffende Sache, mit welcher Gewandtheit Marvell die Seiten wechselt, aber es ist richtig, er schleimt sich nicht ein. Er verwendet sich beim König dafür, dass sein Dichterkollege John Milton (für den er gerade als Sekretär arbeitet) aus dem Gefängnis entlassen wird. Man hätte Milton ja auch zum Tode verurteilten können, ich persönlich hätte nichts dagegen gehabt, ich mag ihn nicht. Und ja, ich habe Paradise Lost gelesen, ich tue es aber nicht wieder.

Ich bin T.S. Eliot ja so dankbar, dass er in ➱A note on the verse of Milton mal einige nette Dinge gegen die allgemeine Milton Verherrlichung gesagt hat. Das fängt schon mit dem köstlichen ersten Satz an:  While it must be admitted that Milton is a very great poet indeed, it is something of a puzzle to decide in what his greatness consists. On analysis, the marks against him appear both more numerous and more significant than the marks to his credit. Nun wird man niemanden zum Tode verurteilen, weil er ein schlechter Dichter ist und den Blankvers zu Tode prügelt, bis niemand mehr versteht, was er sagen will:

Thrones, Dominations, Princedoms, Virtues, Powers,
If these magnific Titles yet remain
Not merely titular, since by Decree
Another now hath to himself ingross’t
All Power, and us eclipst under the name
Of King anointed, for whom all this haste
Of midnight march, and hurried meeting here,
This only to consult how we may best
With what may be devis’d of honors new
Receive him coming to receive from us
Knee-tribute yet unpaid, prostration vile,
Too much to one, but double how endur’d,
To one and to his image now proclaim’d?

Nein, ich weiß auch nicht, was der Dichter des Großartigen und Erhabenen uns sagen will. Eliot hat sich dieses schöne Beispiel aus Paradise Lost herausgepickt, allen Dichtern als Warnung. Dazu könnte man natürlich sagen: If Emily Dickinson had written Paradise Lost, it would have been much shorter and would have rhymed. Den Satz habe ich aus einer köstlichen kleinen ➱Parodie von der Professorin Sherry Zivley geklaut. John Milton wird nach Oliver Cromwells Tod nicht deshalb verfolgt, weil er ein schlechter Dichter ist. Er wird verfolgt, weil er ein willfähriger Gehilfe des Königsmörders Cromwell war, eine Art Joseph Goebbels von Cromwells Commonwealth. Der in ➱The Tenure of Kings and Magistrates eine Rechtfertigung des Königsmords liefert, da ist ihm Cromwell bestimmt dankbar gewesen. Oliver Cromwell hat eine schnelle Feder für alles, Königsmorde oder Ehescheidungen. Wenn er seine Frau verlassen will, schreibt er Pamphlete, die die Ehescheidung rechtfertigen. Und das gerade von Richard Cromwell einberufene Parlament bekommt von ihm auch noch ➱Empfehlungen mit auf den Weg.

Richard Cromwell ist als der große Versager dargestellt worden, der an seinen Vater nicht heranreichte. Aber war er das wirklich? Was hätte er tun sollen, als still und vornehm auf seinen Titel als The Noble and Illustrious Lord Richard, Protector of the Commonwealth of England, Scotland and Ireland, and Territories thereunto belonging zu verzichten? Die Armee war kein Rückhalt, sie hatte sein Monaten keinen Sold bekommen. Die Kosten des Krieges gegen Spanien und die Kosten für das Heer und die Navy, die unter seinem Vater entstanden sind, fressen das Land auf. Die finanzielle Lage Englands im Jahre 1659 ähnelt ein wenig der Lage Griechenlands heute. Das Parlament, das er einberufen hatte (das, in dem Andrew Marvell saß) wandte sich gegen ihn. Sollte er England in einen neuen Krieg stürzen, wo der Sohn des ermordeten Charles I vor den Toren stand? For what can war, but endless war, still breed? um doch einmal Milton zu zitieren. Nach zwanzig Jahren in Europa, wo er unter dem Namen John Clarke in Paris und Genf lebte, ist er nach England zurückgekehrt, still und unauffällig. I have been alone 30 years, bannished, and under silence, and my strength and saf'ty is to be retyred, quiet, and silent, hat er seiner Tochter geschrieben. Da lebte er im Parsonage House in Churchgate, Cheshunt bei der Witwe von Thomas Pengelly, was zeitgenössische Gerüchte förderte, dass Sir Thomas Pengelly (der spätere Chief Baron of the Exchequer) sein Sohn sei. Es ist eine kleine Ironie der Geschichte, dass sein Wohnsitz einen Kilometer entfernt war von ➱Theobalds Palace (oben). Jenem Landsitz, von dem aus Charles I im Jahre 1642 in den Bürgerkrieg geritten war.

Richard Cromwell wurde auf dem Friedhof der Gemeindekirche von Hursley begraben, dem Ort, wo er seine Frau geheiratet und lange gelebt hatte. Auf dem Grab steht nicht The Noble and Illustrious Lord Richard, Protector of the Commonwealth of England, Scotland and Ireland, and Territories thereunto belonging, ein Titel, der dem phantom king of half a year niemals juristisch aberkannt worden war, sondern schlicht Richard Cromwell, Esquire.

3 Kommentare:

  1. Lieber Jay,

    "eine Art Joseph Goebbels von Cromwells Commonwealth"

    geht wirklich zu weit.

    Und was das Zitat aus 'Paradise Lost' betrifft, sollte man vielleicht anmerken, dass dort Satan spricht, dem Milton die Rhetorik eines Calvin in den Mund legt.

    Viele Grüße
    Morgenländer

    AntwortenLöschen
  2. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

    AntwortenLöschen
  3. Der Kommentar von 14:29 wurde vom Autor entfernt, weil da ein Tippfehler drin war. Hier ist er noch einmal:

    Man muss auch mal polemiscb sein. Und ansonsten halte ich es mit dem Anonymus, der schrieb:

    Upon John Milton’s not suffering for his traiterous Book when the Tryers were executed, 1660.

    That thou escaped’st that vengeance, which o’ertook,
    Milton, thy regicides, and thy own book,
    Was clemency in Charles beyond compare:
    And yet thy doom doth prove more grievous far.
    Old, sickly, poor, stark blind, thou writest for bread:
    So for to live thoud’st call Salmasius from the dead.

    AntwortenLöschen