Sonntag, 1. Juli 2012

Lichtenberg


Hier überreiche ich dem deutschen Publikum das erste Heft einer Erklärung der Hogarthischen Kupferstiche. Ich habe ihr so viel Vollständigkeit zu geben gesucht, als mir nach meiner jetzigen Bekanntschaft mit diesen Produkten des Genies, möglich gewesen ist. Sie enthält nicht allein alles, was ich in den besten mir bekannt gewordenen Auslegern Bemerkungswertes gefunden habe, sondern auch noch die Bemerkungen einiger Freunde in London sowohl als Deutschland, und meine eignen. Ich muß gestehen, ich trete nicht ganz ohne Furcht damit hervor, und dieses aus mehr als einer Ursache. Man hat meine Erklärungen dieser Werke im hiesigen Taschen-Kalender mit Beifall aufgenommen. Vielleicht weil sie da in einem Büchelchen, das man bald wegwirft, selbst als wie von mir weggeworfen erschienen. Was ich da in vollem Ernst gegeben hatte, hielt man etwa bloß für Proben von dem, was ich leisten könnte, wenn ich in vollem Ernst wäre; und so konnte jenes Lob mehr Aufmunterung sein als verdienter Lohn, und sich auf Hoffnungen gründen, die jetzt dieser volle Ernst vereitelt. Denn wirklich verhielt sich die Sache bei mir ganz umgekehrt. Was ich dort gab, waren freilich Proben; sie waren aber mitunter das Beste, was ich zu geben hatte, und daß ich sie in ein bald weggeworfenes Büchelchen schrieb, war dem Vortrage eher vorteilhaft als nachteilig. Der majestätische Audienz-Saal des deutschen Publikums, vor dessen Thron ich jetzt meine Bemerkungen niederlege, kam mir damals gar nicht in den Sinn; ich dachte bloß an die Stühle, Fensterbänke und Teetische der Nebenzimmer oder höchstens der Antichambre, auf denen mein heil. Christ herumfahren würde. Ich schrieb also mit der Unbefangenheit und Sorglosigkeit, die zwar manchem Versehen Raum gibt, aber dem Vortrage bei solchen Dingen, ganz vorzüglich günstig ist. Er erhält dadurch nicht allein den besten Ton, sondern hält ihn auch. Die Fehler der incuriae lassen sich am Ende verbessern – durch curas posteriores, allein der verfehlte Ton nicht, wenn man erst am Ende finden sollte, daß er verfehlt wäre. Das Ganze muß neu komponiert werden. Von dieser Seite fürchte ich am meisten. Ich will mich bestimmter ausdrücken.

So beginnt Lichtenberg seine Vorrede zu Ausführliche Erklärung der Hogarthischen Kupferstiche, mit verkleinerten aber vollständigen Copien derselben von E. Riepenhausen. Wo der Wortwitz von Lichtenberg auf den Hintersinn von Hogarth trifft. Welch wunderbare Sprache, man ist das ja heute schon gar nicht mehr gewöhnt. Lichtenberg, der heute vor 270 Jahren geboren wurde, hat den Aphorismus in der deutschen Literatur etabliert. Und die Vernunft. Nichts an seinem Werk ist nach zweihundert Jahren veraltet. Als der Zweitausendeins Versand die von Wolfgang Promies edierte Lichtenberg Ausgabe (die zuvor bei Hanser erschienen war) preiswert auf den Markt warf, habe ich mir die sofort gekauft. Man kann die immer noch billig bekommen. Wer zwei Paar Hosen hat, mache eins zu Geld und schaffe sich dieses Buch an. Der Satz ist natürlich von Lichtenberg.

Bevor ich die Hanser Ausgabe kaufte, besaß ich natürlich eine Handvoll Lichtenberg Bände, so ist es nicht. Und ich besaß auch etwas, was jeden Lichtenberg Liebhaber grün vor Neid werden lässt. Nämlich eine Ausgabe von Ausführliche Erklärung der Hogarthischen Kupferstiche. In den Originallieferungen. Kein Büchelchen, das man bald wegwirft. Und den Tafelband von Riepenhausen mit den Stichen nach Hogarth noch dazu. Mit den Kopien unsers Herrn Riepenhausen wird das Publikum, wie ich hoffe, zufrieden sein. Es sind die vollkommensten, die ich wenigstens je gesehen habe. Es ist auch kein Gesichtszug verloren gegangen. Mit Vergnügen bemerkt man die schnellen Fortschritte, womit er sich der ganzen Manier des Engländers nähert, wenn er sie nicht hier schon völlig erreicht hat.

Dafür müsste man heute schon eine ganze Menge Hosen zu Geld machen, um diese Ausgabe zu finden. Ich schreibe irgendwann einmal darüber, wie ich an diesen Schatz gekommen bin. Jetzt gehe ich erst einmal zum Flohmarkt. Vielleicht finde ich ja etwas von Lichtenberg, was ich noch nicht habe. Soll ich sicherheitshalber ein zweites Paar Hosen mitnehmen?

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