Donnerstag, 11. Juli 2013

Carl Schmitt


Heute vor 125 Jahren wurde Carl Schmitt in Plettenberg im Sauerland geboren, dort ist er auch 1985 gestorben. Für manche ist Plettenberg so etwas Todtnauberg, wo Heidegger in seiner Hütte sein Sein und Zeit geschrieben hat. Sein Haus in Plettenberg hatte er nach dem Krieg San Casciano genannt. San Casciano ist der italienische Ort, in den sich Machiavelli in der Verbannung zurückgezogen hatte. Dort hat er auch Il Principe geschrieben. Offensichtlich stellt sich der kleine Carl Schmitt (der nur acht Zentimeter größer als Veronica Lake ist) auf eine Stufe mit Machiavelli und empfindet seine Haft während des Nürnberger Prozesses als vergleichbar mit Machiavellis Haft und Verfolgung durch die Medicis. In weltgeschichtlichen Vergleichen war er immer ganz groß, er ähnelt in diesem Punkt dem Herrn ➱Dr. Schirrmacher von der FAZ.

Wenn Schmitt 1950 über Thomas Hobbes schreibt: Er dachte nicht daran, den Macht- und Rechthabern seines Zeitalters ins Messer zu laufen. So sicherte er sich seinen Beobachterposten und brachte ein systematisches Gebäude von klarster gedanklicher Geschlossenheit zustande. In Furcht und Vorsicht wurde er über 90 Jahre alt und hat das Leben eines unabhängigen Geistes geführt, dann war das wohl nicht nur auf den englischen Philosophen gemünzt. So sah er sich jetzt trotzig selbst. Ein schlimmer Mythos vom Genie als Märtyrer machte sich in den fünfziger Jahren breit, als immer mehr Schmitt Verehrer die Pilgerfahrt nach Plettenberg antraten. Öffentlich tritt der unabhängige Geist nicht mehr auf. Na, ja, das stimmt nicht ganz: in Francos Spanien ist er gerne gesehen. Für manche ist er heute ein Klassiker des politischen Denkens, so hat ihn der Nationalphilosoph Bernard Willms 1982 bezeichnet. Das ist der Bernard Willms, der sich (bevor er Selbstmord beging) in der NPD zuhause fühlte. Carl Schmitt hat sich niemals einem Entnazifizierungsverfahren unterworfen. Er wurde 1945 aus dem Staatsdienst ohne Bezüge und ohne Anspruch auf Rentenzahlung entlassen, erstritt sich aber 1952 vor Gericht eine Rente. Die die Bundesrepublik dem Feind der Demokratie bis zu seinem Tod 1985 zahlt. Ich nehme mal an, dass die Pension eines ehemaligen Staatssekretärs und Professors (mit dem Titel eines preußischen Staatsrats) ganz erheblich gewesen ist. Aber Freislers Witwe hat der deutsche Staat ja auch bis 1997 durchgefüttert, das spart man doch leicht bei all den Verfolgten des Naziregimes und den Zwangsarbeitern, denen man eine Wiedergutmachung verweigert, wieder ein.

Sie können dem bisher Gesagten entnehmen, dass ich für diesen angeblich bedeutendsten Staatsrechtler des 20. Jahrhunderts, der sogar manchmal als Philosoph gehandelt wird und sich so gerne mit Niccolò Machiavelli und Thomas Hobbes verglich, nicht viel übrig habe. Wie einer dieser Untoten aus den Zombiefilmen taucht er immer wieder in der politischen Diskussion auf. In den sechziger Jahre war es sogar für die Linke chic, Carl Schmitt zu zitieren. Die schillernde Ambiguität (oder mit Hans Mayer zu sprechen: die Substanzlosigkeit eines interessanten Denkers, der es so hindenken kann, oder auch so) seiner Schriften gibt dafür ja viel her. Ich habe das alles mit einem gewissen Unverständnis beobachtet und mir mit meiner Lieblingsthese bei links und rechts keine Freunde gemacht, dass man Schmitts Zerebralsklerose, Demenz und geistige Umnachtung mit Wahnvorstellungen in seinen letzten Lebensjahren schon viel, viel früher hätte diagnostizieren können.

Ich weiß nicht, ob man Carl Schmitt kennen muss, ob man ihn lesen muss. Man kommt ganz gut ohne ihn durchs Leben. Vor allem ohne seine Ausführungen auf dem Kongress Das Judentum in der Rechtswissenschaft 1936 (man kann das ➱hier nachlesen). Machiavelli und Hobbes dagegen lohnen immer noch die Lektüre. Ich habe nur sehr wenig von Schmitt gelesen. Ich weiß noch, dass mir an dem Tag, als ich eine Band Carl Schmitt in der Universitätsbibliothek auslieh, ein Freund, der Englisch und Theologie studierte, einen englischen Paperback Band schenkte. Am nächsten Tag brachte ich den Schmitt ungelesen zur UB zurück, das englische Buch von dem Bischof John Robinson mit dem Titel Honest to God war viel interessanter. So umstritten es in England war, es hat mir etwas gegeben. Weil es etwas über Gott sagt. Und uns. Ich weiß nicht, ob Schmitt an Gott geglaubt hat. Für ihn war Gott jemand, den man siezte. Als er aus amerikanischer Gefangenschaft nach Plettenberg zurückkehrte, soll er gebetet haben: O Herr, befreien Sie mich, sprengen Sie meine Ketten, führen mich zurück zu meinem Vater, in meine Heimat, in mein Haus, zu meinem Erbe und machen, dass alles, was mir zugehört, mir auch wieder wird zuteil, auf dass Sie verherrlicht werden ob Ihrer Gerechtigkeit.

Warum gibt es heute einen Post, der Carl Schmitt heißt? Ich wollte das hier zuerst nicht schreiben. Aber dann dachte ich, dass es mir Gelegenheit gäbe, das Buch von Christian Linder Der Bahnhof von Finnentrop: Eine Reise ins Carl Schmitt Land zu empfehlen. Ich fand es, kaum dass es erschienen war, im Grabbelkasten. Hätte es nicht dort gelegen, ich hätte es wohl nicht gekauft, aber die drei Euro war es mir wert. Ich fragte die junge Buchhändlerin nach dieser ungewöhnlichen Preisgestaltung, denn das bei Matthes & Seitz gerade erschienene Buch kostete regulär 34.90 Euro. Sie erzählte mir, dass von Zeit zu Zeit ein Typ bei ihr auftauchte, der berufsmäßig Bücher rezensierte und ihr dann die Rezensionsexemplare verkaufte. Linders Buch steht bei mir im Bücherregal (aus Gründen, die ich mir heute nicht mehr so ganz erklären kann) neben Rüdiger Safranskis Buch Das Böse. Das ist vielleicht irgendwie symbolisch.

Ich wollte nicht den zehntausendeinsten Kommentar über Schmitts Bücher legen und mich an der Zerredung seines Werkes beteiligen, sondern habe versucht, den Blick wieder frei zu machen auf die Texte, indem ich einige Leitideen herausgelöst und durch Überblendungen so wieder zusammengefügt habe, dass Zusammenhänge von Schmitts Denken, Schreiben und Leben aus sich selbst heraus erscheinen, schreibt Linder in seinem Nachwort. Sein Buch will keine Biographie sein. Und ist es doch. Ein Lebensbild, das sich aus den Puzzleteilchen von Zitaten immer mehr zu einem Bild formt. Der Bahnhof von Finnentrop ist auch ein wenig ein Roman, das Buch hat durchaus schriftstellerische Qualitäten. Es erinnerte mich beim Lesen (auch wegen der fiktiven Dialoge, die Linder verwendet) an das Buch Und sie bewegt sich doch nicht: Parmenides im epochalen Winter von Hanspeter Padrutt. Ein schönes Buch, das den einzigen Nachteil hat, dass der Doktor Padrutt Heidegger Fan ist. Diese Heidegger Fans sterben offensichtlich nie aus. Die Carl Schmitt Fans auch nicht. Das Internet ist voll von Schmitt Fans, die Worte wie Kronjurist des Dritten Reichs oder Steigbügelhalter der Nazis nicht auf ihrem geliebten sauerländischen Denker sitzenlassen wollen. Dabei braucht er diese Apologeten gar nicht: Ich habe alle Freibriefe und Exemptscheine des Weltgeistes, schreibt er ➱1948. Ja, wenn man einen Persilschein vom Weltgeist hat, dann braucht man sich auch nicht entnazifieren zu lassen.

Ulrich Teusch sagte in seiner ➱Rezension von Linders Buch in der Neuen Zürcher Zeitung: Entstanden ist ein geradezu virtuoses Buch, eine Mischung aus historischer Reportage und Zitatcollage, illustriert durch zahlreiche Schwarzweissfotos. Obwohl keineswegs unkritisch, ist es doch von unverkennbarer Sympathie, zumindest Empathie geprägt. Carl Schmitts Freunde – aber nicht nur sie – dürften hier auf ihre Kosten kommen. Dem möchte man hinzufügen, dass Carl Schmitt Feinde hier erst recht auf ihre Kosten kommen. Denn was in der Zitatcollage zu Tage gefördert wird, ist teilweise so ungeheuerlich, dass man sich fragt, wie man den Machiavelli aus dem Sauerland jemals ernst nehmen konnte. Es gibt seit Jahren eine Carl Schmitt Gesellschaft, die uns versichert, er findet heute weltweit wachsende Aufmerksamkeit und gilt als Klassiker des politischen Denkens. Bei mir nicht. Ich halte es eher mit Kurt Sontheimer, der nach dem Tod von Schmitt in der Zeit schrieb: Wem die liberale, das heißt die freiheitliche Demokratie am Herzen liegt, der braucht Carl Schmitt nicht. Ich stelle jetzt Christian Linders Buch wieder ins Regal. Neben Safranskis Das Böse. Da ist es gut aufgehoben.

2 Kommentare:

  1. Carl Schmitt 1949: "Es gibt nicht nur Menschenrechte, sondern auch Eselsrechte. Ein Grundrecht jeden Esels ist zum Beispiel das Recht auf einen toten Löwen, dem er nach Herzenslust Fußtritte versetzen kann." Wer also tritt, sollte gelegentlich seine Füße betrachten. Nicht, dass er plötzlich auf Hufe blickt.
    Sie beschreiben in Ihrem Post eine Person, die es in dieser Verkürzung auf Körpergröße, eitler Überheblichkeit und später Altersdemenz nie gegeben hat; man lese bei Noack nach, bei Linder oder in den Vernehmungsprotokollen mit Robert Kempner, auch der nach Plettenberg pilgerndende Augstein war ein sarkastischer und hellsichtiger Zeitzeuge. Für mich am besten und kürzesten trifft es aber Peter Glotz, der ihn einen bedeutenden und ruchlosen Gehirnakrobaten nannte.
    Noch zwei Zitate:
    "Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein" (Hans Karl Filbinger, Interview 1978)
    „Warum lassen Sie sich nicht entnazifizieren? Erstens: weil ich mich nicht gern vereinnahmen lasse und zweitens, weil Widerstand durch Mitarbeit eine Nazi-Methode aber nicht nach meinem Geschmack ist.“ (Carl Schmitt, Tagebuch 1949)
    Stehe ich alleine, wenn ich im ersten Uneinsichtigkeit und im zweiten Unbeugsamkeit zu erkennen vermeine? Immerhin besaß CS die Größe, nach dem Krieg nicht in die CDU einzutreten.

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  2. Noch eine Lektüreempfehlung (worin CS ebenfalls vorkommt):
    Marcia Pally - Lob der Kritik
    Berlin-Verlag 2003

    (eine aufregend kluge und hübsche Frau ...)

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