Montag, 30. April 2018

Peter Huchel


In Zahlen ausgedrückt, sah der Poetry Month so aus. Normalerweise habe ich doppelt so viel Leser. Gut, viele Blogger wären dankbar, wenn sie tausend Leser am Tag hätten, aber ich hatte mich inzwischen an andere Zahlen gewöhnt. Es ist Zeit, sich an Bescheidenheit zu üben. Auf der Statistikseite, von der ich dieses Schaubild des letzten Monats habe, geht im Augenblick alles drunter und drüber. Neuerdings ist hier alles in englischer Sprache, und die Suchfunktion kann die Posts aus den Jahren 2010 und 2011 nicht mehr finden. Aber diese Imponderabilien beiseite, heute ist der letzte Tag des Poetry Month. Und der soll dem Dichter ↝Peter Huchel, der am 30. April 1981 starb, zugeeignet sein.

Du, laß dich nicht verhärten in dieser harten Zeit, hat Wolf Biermann gesungen. Er hat es auch 1976 in ↝Köln gesungen, wenig später war er draußen. Dass er zum 25. Jahrestag des Mauerbaus im ↝Bundestag singen durfte, war der AfD gar nicht recht. Biermanns Lied heißt ↝Ermutigung, Biermann hat es für den Dichter Peter Huchel geschrieben, der die DDR schon fünf Jahre vor ihm verließ. Ich habe mir für den Tag Huchels Gedicht Begegnung ausgesucht, ein Gedicht, das er Michael Hamburger gewidmet hat. Der deutsch-englische Dichter und Übersetzer hatte am 3. Januar hier einen langen ↝Post, der von vielen tausend Lesern gelesen wurde. Dass ich meine Erinnerungen an Michael Hamburger am 3. Januar des Jahres veröffentlichte, hat eine kleine symbolische Bedeutung: am 3. Januar 2010 stand hier mein erster Post, der ↝Literatur hieß. Und noch ganz kurz war. Aber nun Peter Huchels Begegnung:

Schleiereule,
Tochter des Schnees,
dem Nachtwind unterworfen,
doch Wurzeln fassend
mit den Krallen
im modrig grindigen Gemäuer,

Schnabelgesicht
mit runden Augen,
herzstarre Maske
aus Federn weißen Feuers,
das weder Zeit noch Raum berührt,

kalt weht die Nacht
ans alte Gehöft,
im Vorhof fahles Gelichter,
Schlitten, Gepäck, verschneite Laternen,

in den Töpfen Tod,
in den Krügen Gift,
das Testament an den Balken genagelt.

Das Verborgene unter
den Klauen der Felsen,
die Öffnung in die Nacht,
die Todesangst
wie stechendes Salz ins Fleisch gelegt.

Laßt uns niederfahren
in der Sprache der Engel
zu den zerbrochenen Ziegeln Babels.

Peter Huchel kennt man in England, weil ihn Michael Hamburger übersetzt hat. Dichter wie Hans Magnus Enzensberger, Günter Eich, Johannes Bobrowski, Paul Celan und ↝Franz Baermann Steiner sind im angelsächsischen Sprachraum nur durch Michael Hamburger bekannt geworden. Und er hat auch das ihm von Huchel gewidmete Gedicht Begegnung übersetzt:

Barn owl
daughter of snow,
subject to the night wind,

yet taking root
with her talons
in the rotten scab of walls,

beak face
with round eyes,
heart-rigid mask
of feathers a white fire
that touches neither time nor space.

Coldly the wind blows
against the old homestead,
in the yard pale folk,
sledges, baggage, lamps covered with snow,

in the pots death,
in the pitchers poison,
the last will nailed to a post.

The hidden thing
under the rocks' claws,
the opening into night,
the terror of death
thrust into flesh like stinging salt.

Let us go down
in the language of angels
to the broken bricks of Babel.

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