Bei den Olympischen Spielen 2028 soll nun auch ✺Cricket gespielt werden, 128 Jahre, nachdem es das zum ersten und einzigen Mal bei Olympischen Spielen gab. Es werden bei diesen Spielen in Los Angeles noch weitere neue Sportarten eingeführt, über die Thomas Bach zu sagen wusste, man werde in Los Angeles der Welt ikonische amerikanische Sportarten präsentieren und gleichzeitig internationale Sportarten in die Vereinigten Staaten bringen. Dieser Thomas Bach wird dem Sportfunktionär Infantino immer ähnlicher. Ikonische Sportarten, das hatten wir bisher nicht. Das Wort iconic scheint ja neuerdings inflationär für alles zu passen, auch für das englische Nationalspiel Cricket.
Bei Zalando kann man einen iconic cricket jumper von Ralph Lauren für dreihundert Euro kaufen. Den trägt die englische Nationalmannschaft natürlich nicht, aber deren ikonische Ausrüstung kommt auch aus den USA, Adidas hat das Rennen verloren. Für das IOC ist es eine großartige Gelegenheit, mit neuen Athleten und Fangemeinden in Kontakt zu treten, erklärte Bach. Wann ist das IOC jemals mit Fangemeinden in Kontakt getreten? Diesen Satz kommentierte Der Standard mit: Und dazu eine einzigartige Möglichkeit, die Milliarden-Einnahmen weiter zu steigern. Die TV-Rechte für LA28 werden in Indien neu ausgeschrieben - mit Cricket im Programm sind sie ein Vielfaches wert, nach einem Bericht des Branchenportals 'insidethegames' 150 Millionen Dollar statt bisher 20. Tendenz: Steigend.
Ich war drei Monate im Internet, als ich zum erstenmal über das englische Nationalspiel Cricket schrieb. Das war ein Post, der über die Jahre ganz viele Leser bekam. Mit ganz vielen Leser meine ich eine Zahl von etwas mehr als zwanzigtausend Lesern. Es gibt in dem Post auch ein Photo von mir, wo ich stilecht ganz in weiß bei einem Spiel zu sehen bin. Als ich an der Uni anfing, habe ich mit dem Geld der untergegangenen English Society (deren letztes Vorstandsmitglied ich war) in England eine Cricket Ausrüstung gekauft. Und im Sommersemester vor fünfzig Jahren eine Landeskundliche Übung Cricket: A practical Course angeboten.
Wir spielten auf dem Uniplatz, der nun nicht unbedingt als Cricketplatz ausgelegt ist, aber es ging. Ich wunderte mich über einen Studenten, der den Bewegungsablauf eines fast bowler perfekt beherrschte. Ich fragte ihn, woher er das hatte, er grinste mich an und sagte: Deutscher Studentenmeister Speerwurf. Ein Studi kam mit seinem Motorrad auf den Platz, so was hasse ich, it's not cricket. Ich sagte ihm, er soll das da wegschieben. Da kommt keiner mit dem Ball hin, sagt der Student. Eine Stunde später hat sein Benzintank eine Beule. Ich weiß nicht, wie mir das passieren konnte, ich wollte das gar nicht. Es war aber ein wunderbarer Schlag. Die Mannschaft, die von einigen unserer englischen Lektoren wie Ian Oliver weitergeführt wurde, ging eines Tages leider ein. Ist dann aber von einem meiner ehemaligen Studenten, Tobias Hochscherf, neu belebt worden. Der hat auch einen weit beachteten Aufsatz über die Bedeutung des Spieles für die englische Kultur geschrieben: More Than Just a Game: Cricket in Culture and Fiction - From Eton to Trinidad. Ich stelle heute zur Feier des Tages, an dem das IOC endgültig beschliesst, dass Cricket wieder eine olympische Sportart wird, den Post aus dem Jahre 2010 noch einmal ein.
Also, das ist nicht die Berufskleidung der englischen Cricket Nationalmannschaft der Damen, das ist definitely not cricket. Wenn auch die Spielkleidung beim Cricket inzwischen leider statt der eleganten weißen Flanellhosen, weißen Hemden und weißen Cricketpullovern (für englische Nationalspieler noch mit drei blauen Löwen verziert) häßlichen ✺bunten Pyjamas gewichen ist, aber irgendwo müssen Grenzen sein. Die werden ja leider mit der Kommerzialisierung aller Dinge immer weiter nach unten verlegt. 1975 regte man sich noch über den gelblichen Sonnenhut von (dem ansonsten perfekt in weiß gekleideten) Majid Khan auf, heute sehen die Spieler aus wie die Teletubbies. Cricket (nicht zu verwechseln mit Croquet) ist der englische Nationalsport, er bedeutet den Engländern viel.
Der Prime Minister John Major hat Cricket gespielt, und er versteht davon auch eine Menge. Er hat auch mal einen kleinen Vierzeiler gedichtet: Oh, Lord, if I must die today, Please make it after Close of Play. For this, I know, if nothing more, I will not go, without the score. Winston Churchill hat niemals Sport getrieben, vielleicht ist er deshalb neunzig geworden. Lord Byron hat für seine Public School (Harrow) gegen Eton 1805 auf dem Cricketplatz von Lord's gespielt. Ein substitute durfte für ihn laufen, das konnte er mit seinem Fuß nicht so recht. Dass es substitutes gibt, weiß jeder Leser von L.P. Hartleys schönem Roman The Go-Between. Cricket ist eine eigene Welt. Das merkt der Kontinentaleuropäer bei einem Englandbesuch, wenn er von seinen Gastgebern gezwungen wird, stundenlang vor dem Fernseher zu sitzen und ein Spiel anzugucken, von dem er nichts versteht. Heute dauert das nicht mehr tagelang, seitdem der Kommerz limited over matches durchgesetzt hat. test matches dauern aber heute immer noch fünf Tage. Cricket ist auch die einzige Sportart, in der es eine Mittagspause und eine Teepause gibt.
Bei Regen wird nicht gespielt. Ansonsten wird solange gespielt, wie man den Ball sehen kann. Bei einem test match zwischen England und Australien, kommen die Australier Jeff Thompson und Dennis Lillee zum Schiedsrichter Dickie Bird, (hier vorm Buckingham Palace nach der Verleihung des OBE Ordens). Sie sind am Verlieren und wollen einen vorzeitigen Spielabbruch (bad light stops play) für diesen Tag zu erreichen. Dickie Bird, einer der beliebtesten Schiedsrichter in England, wurde in disem Jahr neunzig. Er ist gegenüber dem Dickie, mate, we can't see that far unempfänglich und deutet auf eine kleine weiße Scheibe am Spätnachmittagshimmel: What is that there? Worauf Jeff Thompson sagt: That's the moon, Dickie. Und er erhält die wunderbare Antwort: Well, how far do you want to see? Das Spiel ging weiter.
Cricket ist natürlich aus der englischen Literatur nicht wegzudenken. Und damit meine ich nicht nur Kiplings Gedichtzeile von den flannelled fools at the wicket. Jeder Dorothy Sayers Fan kennt die Szene, wo die wahre Identität von Lord Peter Wimsey (der undercover in einer Werbeagentur arbeitet) während eines Cricketspiels ans Licht kommt. Und jemand zu ihm sagt: Aren’t you Wimsey of Balliol? . . . You have a late cut which is exceedingly characteristic, and I could have taken my oath that the last time I saw you play it was at Lord’s in 1911, when you made 112. Und dann gibt es natürlich noch das schreiend komische Kapitel über das village cricket match in dem wunderbaren Roman →England, Their England (hier im Volltext) von dem Schotten A.G. Macdonell. Und Ian Burumas Playing the Game sollte man auch lesen, wenn man die Engländer verstehen will. Der Nobelpreisträger Sir Harold Pinter hat in beinahe jedem seiner Stücke eine Anspielung auf das Spiel untergebracht. Er war ein leidenschaftlicher Cricketspieler, der sogar seinen eigenen Club hatte. Und der irgendwann gesagt hat: I tend to think that cricket is the greatest thing that God created on earth, certainly greater than sex, although sex isn't too bad either.
Was das Cricket zu Schaffung einer eigenen Identität alles bedeuten kann, hat der Schriftsteller, Historiker und Sozialphilosoph C.L.R. James in seinem Buch →Beyond a Boundary (hier im Volltext) gezeigt, einem ewigen Klassiker der Cricketliteratur. Und falls der ehemalige first class cricketer Dr Ako Amadi, der immer mit weißen Flanellhosen zum Spiel kam, das jetzt im Flieger zwischen Kanada und Nigeria liest: Ako, ich habe seit dreißig Jahren Dein Exemplar, willst Du es wiederhaben? Der geneigte Leser, den ich mit der Abbildung des grenzwertigen cricket hotties in diesen Text gelockt habe, wird inzwischen gemerkt haben, dass ich ein wenig von dem Ganzen verstehe.
Das verdanke ich natürlich nur meinem Freund Georg (hier auf dem Bild zu sehen), der ein halber Engländer ist, und der uns vor Jahrzehnten das Spiel beigebracht hat. Georg ist in diesem Blog immer wieder erwähnt worden, unter anderem, weil sein Vater Kiplings Gedicht Mandalay ins Plattdeutsche übersetzt hat. Wenn man einmal richtig Cricket gespielt hat, dann bekommt man so etwas leicht Fanatisches, dass man allen zeigen will, was das für ein tolles Spiel ist. Sozusagen eine Art von sportlicher Proselytenmacherei. Ich habe mal versucht, meinen Klassenkameradeen Charlie Kottkamp, der bei der ARD ein großes Tier geworden war, dafür zu gewinnen, eine Sendung über Cricket zu machen; aber ich konnte ihn nicht überreden. Mein Freund Georg hatte beim NDR mehr Erfolg. Die haben mit seiner Hilfe einen kleinen Film gedreht. Als er gesendet werden sollte, wurde er nicht gesendet. Weil Sepp Herberger an dem Tag gestorben war. Sepp Herberger ist wichtiger als Cricket.
Der größte Fehler, den ich mit einer Mannschaft von Studenten gemacht habe, war, eine Einladung eines englischen Kriegsschiffes anzunehmen. Die lagen während der Kieler Woche hier in der Förde und hatten gehört, dass es am Englischen Seminar der Uni eine Cricketmannschaft geben solle.
Ich selbst habe an dem Tag nicht mitgespielt, weil ich den grässlichen Heuschnupfen hatte. Ein weinender und niesender batsman, das geht nun wirklich nicht (aber hier gibt es ein Photo von mir aus dem Vorjahr). Als ich die Limeys kommen sah, wußte ich, dass wir ganz gewaltig verlieren würden. Die hatten Cricketschläger der neuesten Generation, nicht das, womit wir spielen. Ihr einziger Schwachpunkt war der Schiffsarzt. Doctor, are you paid by the Germans? schallte es über das Feld, als der wieder einmal etwas versiebte. Abends gab es dann auf der HMS Fearless noch eine Party. Und ich bekam Monate später vom Captain noch einen Brief in erstklassigem Deutsch, der mit dem köstlichen Satz endete: Ich würde mich freuen, wenn beim nächsten Besuch eines britischen Schiffes einige Ihrer schönen, jungen Studentinnen mit an Bord kommen könnten, um ihre englischen Sprachkenntnisse anzuwenden. Das würde auch zur angenehmen Unterhaltung der Offiziere beitragen! Von unseren Cricketkünsten war höflicherweise überhaupt nicht mehr die Rede.
Also das hier, das ist natürlich das richtige Photo, um Cricket zu vermitteln (die junge Dame da ganz oben zieht aber mehr Leser an). Es zeigt den vielleicht berühmtesten englischen Cricktspieler, W.G. Grace. Oder genauer, um genau zu sein: Dr William Gilbert Grace. Er war auch jahrelang auf der 3 Pence Briefmarke, und selbst wenn er schon beinahe hundert Jahre tot ist, lebt er für Cricket Enthusiasten immer noch. Dieser viktorianische Gentleman hätte auch niemals einen Teletubbyanzug angezogen.
Dieses Bild von Sir Edward Ponsonby Staples, das im Cricketheiligtum, dem Pavillion des MCC hängt, zeigt ein test match England gegen Australien, das in dieser Besetzung so nie stattgefunden hat. Auf englischer Seite sind W.G. Grace und der erste fast bowler der Geschichte des Cricket, F.R. Spofforth, zu erkennen. Der hatte den Beinamen The Demon. Der Kapitän der englischen Nationalmannschaft, Lord Harris, steht vorne links. Er trägt einen bunten Blazer (eigentlich ist es eher eine Strickjacke), wie es jetzt unter sportbegeisterten Gentlemen Mode ist. Lord Harris ist ein Freund des Prinzen von Wales. Als George Harris einmal ein gerade für die Mode frisch erfundenes Tweedjackett getragen hat, sagte Edward Na, Harris, geht's zur Rattenjagd? Edward ist der unangefochtene arbiter elegantiarum in dieser Zeit, er bestimmt, was in der Herrenmode angesagt ist, nicht Lord Harris. Später wird er auch Tweedjacketts tragen.
Edward, der Sohn Viktorias ist auf diesem Bild, rechts auf dem Spielfeld stehend, in schwarzem Gehrock mit Zylinder. Seine Gattin ist ganz in weiß und rosa, die mit dem Sonnenschirm. Der Prinz von Wales scheint uns anzugucken, in Wirklichkeit guckt er nur die Dame im gelben Kleid (die uns auch anzuschauen scheint) vorne rechts an. Das ist Lillie Langtry, auch genannt the Jersey Lily. Sie ist die Geliebte des Prinzen von Wales - und der zwölfte Baronet Staples (ein liebenswerter Exzentriker, der niemals Schuhe und Strümpfe trug) hat das in diesem Bild auch jedem Betrachter, der das vielleicht noch nicht wusste, deutlich gemacht.
Mein heutiges Gedicht stammt auch dieser Zeit, es wurde 1897 veröffentlicht. Da feiert Victoria ihr goldenes Thronjubiläum. Das Gedicht stammt von (Sir) Henry Newbolt und heißt Vitai Lampada. Das ist Lateinisch und heißt Fackel des Lebens, ist eine Zeile in Lukrez' De rerum natura. Liest heute keiner mehr, gab es aber vor Jahrzehnten in der Reihe von Fischers Exempla Classica. Was waren das für Zeiten, als es Klassiker der Philosophiegeschichte noch in einer Taschenbuchreihe gab!
There's a breathless hush in the close tonight
Ten to make and the match to win -
A bumping pitch and a blinding light,
An hour to play and the last man in.
And it's not for the sake of a ribboned coat
Or the selfish hope of a season's fame,
But his captain's hand on his shoulder smote.
"Play Up! Play up! And play the game!"
The sand of the desert is sodden red -
Red with the wreck of the square that broke;
The gatling's jammed and the colonel dead,
And the regiment blind with dust and smoke.
The river of death has brimmed its banks,
And England's far and Honour a name,
But the voice of a schoolboy rallies the ranks.
"Play up! Play up! And play the game!"
This is the word that year by year
While in her place the school is set
Every one of her sons must hear,
And none that hears it dare forget.
This they all with joyful mind
Bear through life like a torch in flame,
And falling fling to the host behind.
"Play up! Play up! And play the game!"
Das Paradestück des englischen Imperialismus, der Zögling der Public School, der sich in einer beinahe ausweglosen Situation im Cricket bewährt, wird sich auch für die Sache Englands im Krieg bewähren. Wenn der Wüstensand (Afghanistan?) schon rot vom Blut der Soldaten ist. Wellington wird der Satz zugeschrieben, dass die Schlacht von Waterloo auf den playing fields of Eton gewonnen wurde; er hat das wohl nicht gesagt, so etwas klingt aber immer gut. Gegen dieses Gedicht klingt Rudyard Kipling, den man immer für einen Apologeten des Imperialismus hält, im gleichen Jahr mit seinem Gedicht Recessional ja wie ein Linksliberaler. Sein Gedicht warnt (lest we forget, lest we forget) vor dem Zusammenbruch des riesigen Weltreiches. Newbolts Gedicht wurde im Ersten Weltkrieg von der englischen Propaganda als Durchhaltelyrik gebraucht, und viel mehr ist es ja auch nicht. Sir Henry Newbolt hat auf einer Lesereise in Kanada 1923, als er immer wieder aufgefordert wurde, dies Gedicht zu rezitieren, gesagt, dass er das Gedicht hasse: It's a kind of Frankenstein's monster that I created thirty years ago. Aber Frankensteins Monster ist immer noch in den Gedichtsammlungen und heimlich in vielen Köpfen.
Als Gegenmittel gibt es zum Ausklang noch ein kleines charmantes und überhaupt nicht martialisches Gedicht von John Arlott, dem berühmtesten Cricketkommentator Englands. Es klingt ein wenig nach der Lyrik von John Betjeman. Das ist kein Zufall, Betjeman ist der dichterische Mentor seines Freund John Arlott gewesen.
Like rattle of dry seeds in pods
The warm crowd faintly clapped;
The boys who came to watch their gods,
The tired old men who napped.
The members sat in their strong deckchairs,
And sometimes glanced at the play,
They smoked and talked of stocks and shares,
And the bar stayed open all day.
Like rattle of dry seeds in pods
The warm crowd faintly clapped;
The boys who came to watch their gods,
The tired old men who napped.
The members sat in their strong deckchairs,
And sometimes glanced at the play,
They smoked and talked of stocks and shares,
And the bar stayed open all day.
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