Als Helmut Schmidt einmal ein Goethezitat für eine Rede suchte (das war in den Tagen vor Internet und Google), rief er Erich Trunz in Kiel an, der nirgendwo nachgucken musste, sondern dem Politiker sofort sagte, wo das Zitat stand. Denn Professor Trunz war der Goethe-Trunz, der Mann, der die Hamburger Ausgabe von Goethes Werken beinahe eigenhändig gemacht hatte. Ich habe drei Vorlesungen bei ihm gehört, und er hat mir nach der Doktorprüfung die Hand geschüttelt. Damals war er schon emeritiert, aber es war noch Sitte, dass alle Professoren der Fakultät zu Doktorprüfungen erschienen. Wenig später gab es das nicht mehr. Trunz hat nach seiner Emeritierung noch eine Vielzahl von Büchern geschrieben. Ein Tag aus Goethes Leben, das er mit vierundneunzig Jahren veröffentlichte, wurde ein kleiner Bestseller.
Damals war es noch eine normale Sache, dass man jemanden anrief, von dem man annahm, dass er das wusste, was man selbst suchte. Ich hatte dieses Zitat im Kopf, in dem der Südstaatengeneral Pickett
with his long oiled ringlets vorkam. Ich wusste, dass das bei
Faulkner stand, wusste aber nicht wo. Ich rief meinen Freund
Jimmy in Berlin an. Der war Jurist, kein Literaturwissenschaftler, aber den ganzen Faulkner hatte er drauf. Goethe auch, Helmut Schmidt hätte auch ihn anrufen können. Ich sagte Jimmy, was ich suchte, und er sagte mir
Intruder in the Dust. Und richtig: da stand die Stelle, die ich suchte, der Augenblick des Beginns der Schlacht von
Gettysburg:
For every Southern boy fourteen years old, not once but whenever he wants it, there is the instant when it's still not yet two o'clock on that July afternoon in 1863, the brigades are in position behind the rail fence, the guns are laid and ready in the woods and the furled flags are already loosened to break out and Pickett himself with his long oiled ringlets and his hat in one hand probably and his sword in the other looking up the hill waiting for Longstreet to give the word and it's all in the balance, it hasn't happened yet, it hasn't even begun yet, it not only hasn't begun yet but there is still time for it not to begin against that position and those circumstances which made more men than Garnett and Kemper and Armistead and Wilcox look grave yet it's going to begin, we all know that, we have come too far with too much at stake and that moment doesn't need even a fourteen-year-old boy to think This time. Maybe this time with all this much to lose than all this much to gain: Pennsylvania, Maryland, the world, the golden dome of Washington itself to crown with desperate and unbelievable victory the desperate gamble, the cast made two years ago. Heute ist der Roman 🔎
Intruder in the Dust im Internet, wenn man
Pickett oder
with his long oiled ringlets eingibt, findet man die Romanstelle sofort.
Das ist etwas, das ich am Internet wirklich bewundere: durchsuchbare Volltexte. Was hätte ich 1976 dafür gegeben, als ich mit dem Direktor des Schleswig-Holsteinischen Landesmuseums Joachim Kruse die
Moby-Dick Ausstellung vorbereitete, wenn es eine 🔎
Power Moby-Dick Online Edition gegeben hätte. Aber die gab es nicht. Ich musste in dem Jahr Herman Melvilles
Moby-Dick ein halbes Dutzend mal lesen. Ich habe dann in dem nächstfolgenden Semester ein
Moby-Dick Seminar gemacht, weil ich ziemlich fit in dem Roman war. Heute kann man
Zeno, dem Projekt Gutenberg, dem
Internet Archive und den
Hypertexts der University of Virginia dankbar sein, weil sie durchsuchbare Texte von Klassikern der Literatur anbieten. Die University of Virginia präsentiert beinahe die ganze amerikanische Literatur, allerdings gibt es dort keinen Text von Faulkner. Das wird irgendwelche juristische Gründe haben.
Als ich letztens den Post
Nobelpreisträger schrieb, habe ich durch Zufall (und ein bisschen Recherche) erfahren, dass
Arno Schmidt auch im Netz ist. Die ganze Bargfelder Ausgabe ist da online durchsuchbar drin, klicken Sie 🔎
hier. Deshalb konnte ich in dem Post auch alles zitieren, was Arno Schmidt über den Nobelpreis gesagt hatte. Das Gefährliche an der Sache ist nur: man findet, was man sucht, aber man findet soviel mehr. Und liest und liest. Und dann merkt man, wie gut der Arno war. Und dass er mit seiner unübersetzbaren Sprache auch für das schwedische Gremium unverständlich sein musste. Einer meiner Leser, der mit einer Französin verheiratet ist, hat mir geschrieben, dass er seiner Gemahlin einen Band Arno Schmidt in französischer Übersetzung zum Geburtstg geschenkt hätte. Ein Flakon ihres Lieblingsparfüms wäre wohl die bessere Wahl gewesen.
In dem ersten Monat meiner Tätigkeit im Internet schrieb ich den Post
Vollmond, ein Post, in dem sich allerdings nicht dieses schöne Bild einer Mordnacht auf der Kieler Förde von Julius Fürst findet. Das findet sich in dem Post
Mondnacht,
Mond und Mondnächte kommen häufig in meinem Blog vor. Ich schrieb damals über Arno Schmidt:
Unsere deutsche Romantik hat es ja mit dem Mond, überall ist er, obgleich er an dem Tag gar nicht da sein konnte oder in der Himmelsrichtung nicht auf- oder untergehen konnte. Sagt Arno Schmidt, der mal die Monde seiner mondsüchtigen Kollegen untersucht hat. Arno Schmidt wäre ja am liebsten Astronom geworden. Er ist auch einer der wenigen deutschen Schriftsteller, der immer wieder Wilhelm Olbers aus Lilienthal bei Bremen erwähnt. Der war seinerzeit so berühmt, dass ihn sogar Napoleon kannte. Arno Schmidt hat auch schöne Mondbeschreibungen in seinem Werk untergebracht. Hier findet sich unter dem Titel 'Arno Schmidts Monde' eine hübsche Sammlung.
Es gibt natürlich noch viel mehr als diese kleine hübsche Sammlung. Ich gab in dem elektronischen Findmittel das Wort 🔎
Vollmond ein und fand ganz viele Vollmonde. Vierunddreißig Stellen aus dem Schmidtschen Werk (und 1.025 Belege für das Wort Mond). Das, woran ich mich erinnerte, war natürlich auch dabei. Das Schriftbild ist relativ klein, das betrifft vor allem die großformatigen Bücher wie
Zettels Traum, aber man kann die Fundstellen vergrößern. Das ist eine tolle Sache. Der Titel dieser CD
Mond, Nebel & Regen erste Qualität findet sich natürlich auch im elektronischen Werk.
Seit vier Jahren ist Schmids Werk im Netz, seit dem Tag, an dem er hundertfünf Jahre alt geworden wäre:
Zu diesem Anlass stellt die Arno Schmidt Stiftung ein neues Portal zur Verfügung, welches das Werk Arno Schmidts elektronisch erschließt. Alle Bände der Bargfelder Ausgabe der Werke Arno Schmidts, inklusive des Spätwerks und der Supplementbände, sind mit dem »Elektronischen Findmittel« online durchsuchbar. Die Briefbände 1, 2, 3 und 5 sind ebenfalls Bestandteil des Korpus. Insgesamt stehen hier derzeit siebzehn Bände der Bargfelder Ausgabe und vier Briefbände für die Suche zur Verfügung. Das Photo hier zeigt Arno Schmidts Zettelkästen, über die er in
Zettels Traum sagt:
Zettels Traum – der Titel natürlich – zunächst Shakespeare. – – Das ist Bottom, der große Weber, und ein Buch ist ja schließlich auch eine Art – Teppich oder Gobelin wenn Sie so wollen. Es deutet natürlich auch auf die Entstehung aus lauter Zetteln hin. Es ist meine Art, viele in diesem Fall waren’s 120.000 Zettel zu sammeln – dann sorgfältig genau hintereinander zu passen zu montieren – und dann das Buch zu schreiben.
Man wagt nicht, sich vorzustellen, was aus Arno Schmidt geworden wäre, wenn er statt seiner Zettelkästen einen Computer gehabt hätte. Dies Bild von Ansel Adams,
Moonrise, Hernandez, New Mexico, hat der
Amateurphotograph Schmidt nicht gekannt, sonst hätte er es in sein Werk geschrieben. Das Bild hängt bei mir im Flur, kein Original aber eine teure Reproduktion. Hing in jeder Wöhnung, in der ich wohnte. Man braucht diesen Mond. Der auch auf jeder Reproduktion ein bisschen anders aussieht. Das Bild wird schon in den Posts
Eureka und
Photos ungeordnet erwähnt. Und in meinem Blog
Silverscreen habe ich es auch untergebracht.
Ich habe zum Schluss für Arno Schmidt Fans noch ein Gedicht aus den fünfziger Jahren, in dem auch der Mond vorkommt:
Der goldgetränkte Himmel über mir
und das mänadische Gesöff in mir. –
Denn man zünde seine Kerze an beiden Enden an,
und werfe eine Handvoll Salz in den Wasserkrug,
oder steige früh um 4 in unbekannten Mietshäusern :
so ist das Leben!
Nachts schlitzen goldene Messer im Himmel;
Regen trabt, trollt, trabt. Dann wieder :
Maschensilber der Gestirne;
hakiger Mond verfangen im nachlässig hängenden.
Gegen 5 johlt der Zug durch Cordingen.
(Amtlich Bemützte und schwenken die Schranken.)
(Wenn Sprenkmann Bücher nimmt, reichts wieder Wochen.)
Verbreitet am Morgen Brandmale der Wolken :
wieder versah sich der Äther am Irdenen. Oder auch :
riemenschmal in olivne Himmelshaut gepeitscht.
Rauch beginnt krautig und wachsgelb : aus jenem Dach!
Der Mond erscheint ernst und blechern
in Gestalt eines Menschenauges
im Kalkblauen über Stellichte. Schwarzweiße Kühe.
Wir
hantieren nach Beeren und Pilzen im dampfenden Wald,
Champignonweg, Täublingslichtung, Kleinhaide, Ostermoor :
»Wollen wir noch bis zur Schneise gehen,
Alice?«
Wenn Sie eine 🔎
Interpretation zu dem Gedicht brauchen, auch damit kann ich dienen. Und der nächste Vollmond ist in vier Tagen. Und noch mehr Mond gibt es in den Posts:
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