Donnerstag, 5. September 2024

Raketen


Da fieng das fürchterliche Gericht an, das über diese arme Stadt im Schicksal beschlossen war. Denn von Abends um 7 Uhr an hörte das Schiessen auf Koppenhagen, mit 72 Mörsern und schweren Kanonen, die ganze Nacht hindurch 12 Stunden lang nimmer auf; und ein Satan, Namens Congreve, war dabey, der hatte ein neues Zerstörungsmittel erfunden, nemlich die sogenannten Brand-Raketen. Das war ungefähr eine Art von Röhren, die mit brennbaren Materien angefüllt wurden, und vorne mit einem kurzen spitzigen Pfeil versehen waren. Im Schuß entzündete sich die Materie, und, wenn nun der Pfeil an etwas hinfuhr, wo er Habung hatte, so blieb er stecken, manchmal, wo niemand zukommen konnte, und die Feuermaterie zündete an, was brennen konnte. Auch diese Brand-Raketen flogen die ganze Nacht in das arme Koppenhagen hinein. Koppenhagen hatte damals 4000 Häuser, 85,965 Einwohner, 22 Kirchen, 4 königliche Schlösser, 22 Krankenspitäler, 30 Armenhäuser, einen reichen Handel und viele Fabriken. Da kann man denken, wie mancher schöne Dachstuhl in dieser angstvollen Nacht zerschmettert wurde, wie manches bange Mutterherz sich nicht zu helfen wußte, wie manche Wunde blutete, und wie die Stimme des Gebets und der Verzweiflung, das Sturmgeläute und der Kanonendonner durch einander gieng ... 

Im Land selbst und auf den Schiffen hausten die Engländer als böse Feinde, denn der Soldat weiß nicht, was er thut, sondern denkt: Wenn sie es nicht verdient hätten, so führte man keinen Krieg mit ihnen. Zum Glück dauerte ihr Aufenthalt nicht lange; denn sie schifften sich am 19. Oktober wieder ein, und fuhren am 21. mit der dänischen Flotte und dem Raub davon; und der Congreve ist unterwegs ertrunken und hat Frau und Kinder nimmer gesehen. Von dem an hielten die Dänen gemeinschaftlich mit den Franzosen, und Kayser Napoleon will nicht eher mit den Engländern Friede machen, als bis sie die Schiffe wieder zurückgegeben, und Koppenhagen bezahlt haben. Dieß ist das Schicksal von Dänemark, und die Freunde der Engländer sagen: es sey nicht so schlimm gemeynt gewesen. Andre aber sagen, es hätte nicht können schlimmer seyn, und die Dänen meynens auch. Das schreibt Johann Peter Hebel über das englische Bombardement von Kopenhagen vom zweiten bis zum fünften September 1807. Er ist kein zuverlässiger Zeitzeuge, er war auch nie in Kopenhagen. Eigentlich schreibt er nur Zeitungsartikel ab und peppt die ein wenig emotional auf.

Wenn er dem Leser versichert, 
der Congreve ist unterwegs ertrunken und hat Frau und Kinder nimmer gesehen, dann täuscht er sich. Der Satan Sir William Congreve wird noch bis 1828 leben. Auf diesem Bild sehen wir ihn im Jahre 1807 in Kopenhagen, während im Hintergrund eine seiner Raketen in den Himmel zischt. Er soll nach der Bombardierung durch Kopenhagen gewandert sein und alle größeren Schäden als sein Verdienst reklamiert haben. Der dänische General Heinrich Ernst von Peymann, der die Stadt und die Flotte übergeben muss, klagte: Die Engländer warfen eine Art Raketen, die sonst von policirten Nationen nicht verwandt werden. Das Adjektiv policirt bedeutet im 18. Jahrhundert: gebildet, gesittet, civilisiert

Die Erfindung der Congreve rockets ist noch nicht so ganz ausgereift. In der Schlacht von Quatre Bras verbietet Wellington dem Captain Whinyates den Einsatz seiner achthundert Raketen: the Duke, who looked upon rockets as nonsense, ordered that they should be put into store, and the troops supplied with guns instead. Dabei hätte Wellington wissen können, was die Raketen anrichten können. Er hatte sie in Indien schon kennengelernt. In der Völkerschlacht von Leipzig, an der ein kleiner englischer Racket Troop teilnimmt, hatten sie eine große Wirkung. Sie können alles über Congreves Raketen in dem Post the rockets' red glare: Leipzig 1813 lesen. 

Und was in Kopenhagen im Jahre 1807 passierte, das wusste Wellington auch. So wie auf diesem Bild sah es auf dem Kongens Nytorv in der Nacht vom vierten auf den fünften September aus, der schlimmsten Nacht des Bombardements. Wellington (damals noch Arthur Wellesley) war in der Nähe, 
denn er hatte gerade mit seinen sechstausend Mann am 29. August 1807 bei Køge die dänische Armee geschlagen. Er hat sein Lieblingspferd später Copenhagen genannt. Aber die Raketen waren für ihn Nonsens. Sie sind es nicht, jeden Tag können wir in den Fernsehnachrichten sehen, was Raketenangriffe bewirken. Von 
policirten Nationen ist nicht mehr die Rede.

Johann Peter Hebel hat 1809 unter dem Titel Unglück in Kopenhagen noch eine andere Geschichte parat: Das sollte man nicht glauben, daß eine Granade, die in den unglücklichen Septembertagen 1807 nach Kopenhagen geworfen wurde, noch im Juli 1808 losgehen werde. Zwei Knaben fanden sie unter der Erde. Einer von ihnen wollte sie mit einem Nagel von dem anhängenden Grunde reinigen. Plötzlich geriet sie in Brand, zersprang, tötete den einen auf der Stelle, nahm dem andern die Beine weg, und zerquetschte der Mutter, die mit einem Säugling an der Brust sorglos zusah, den Arm. Dies lehrt vorsichtig sein mit alten Granaden und Bombenkugeln

Es wurde spekuliert, dass während des Bombardements Tausende oder auch Zehntausende von Congreves Raketen die Stadt erreicht hätten. In Wirklichkeit wurden nur dreihundert Raketen abgefeuert, mehr hatten die Engländer nicht mitgenommen, sie trauten dieser neuen Waffe noch nicht. Und sicherlich können einige Raketen liegengeblieben sein und spielende Kinder getötet haben. Was Hebel aber nicht weiß, ist, dass der dänische Ingenieuroffizier Andreas Anton Frederik Schumacher sich in der Stadt auf die Suche nach nicht explodierten Raketen macht. Er studierte die Raketen genau und baute sie nach. Der dänische König, der die Experimente vonSchumacher mit großem Interesse verfolgte, wird den Secondelieutenant Schumacher zum Kaptain ernennen. Er darf auch ein kleines Raketen Korps kommandieren. Zu Einsatz im Krieg kommen Schumachers Raketen nicht. Sie werden allerdings einem friedlichen Zweck dienen, man kann sie auch für die Wissenschaft gebrauchen. 

Sein Bruder, der Astronom und Geodät Heinrich Christian Schumacher (Bild), der ganz Dänemark vermessen wird, wird später schreiben: Bekanntlich hat mein Bruder schon 1816 die Racketen zu Längenbestimmungen angewendet. Er reisete nach Hielm, einer Insel bei Ebeltoft in Jütland, und ich beobachtete in Copenhagen auf der Sternwarte das Springen der Leuchtkugeln auf seinen Racketen. Die Entfernung ist über 16 geographische Meilen. Es war, nachdem diese Versuche die Möglichkeit gezeigt hatten, Längengrade von Copenhagen nach der Westküste von Jütland, durch ein in der Mitte gegebenes Signal zu messen. dass Seine Majestät der König die Messung dieser Längengrade in Verbindung mit den Breitengraden von Skagen nach Lauen­burg zu befehlen geruhten. Die Beobachtungskunst hat in den lezten Zeiten so bedeutende Fortschritte gemacht, dass Elemente, die noch vor wenigen Jahren als sicher angesehen wurden, jezt einer Bestätigung bedürfen. Ich bitte daher alle Her­ren Vorsteher der Sternwarten, mir die Längen und Breiten mitzutheilen, die sie jezt für die richtigsten halten. 

Dem Köng Frederik gefällt, was die beiden Schuhmachers tun, auch wenn der Astronom nach Altona in die Palmaille zieht, aber das damals ja dänisch.war Er wird dort den Altonaer Meridian festlegen. Den Kaptain Schumacher ernennt er 1814 noch zum Kammerjunker, das ist in der dänischen Klassengesellschaft ziemlich weit oben. Den Altonaer Null Meridian gibt es heute noch, der hat aber seine Bedeutung gegen die grüne Leuchtstoffröhre (die den Nullmeridian markiert) vor Flamsteed House in Greenwich verloren. In diesem Blog kommen Observatorien immer wieder vor. Insgesamt sind es fünfundzwanzig Posts. Der erste hieß 2010 Observatorium. In dem Post Astronomie können Sie sehen, dass es auf dem Dach meines Gymansiums ein kleines Observatorium gab.

Dieses Historienbild von Percy Moran, das hundert Jahre nach dem Ereignis gemalt wurde, zeigt den jungen Rechtsanwalt Francis Scott Key auf einem englischen Kriegsschiff, das gerade das Fort McHenry bombardiert. Wir sind im Jahre 1812, die Engländer haben offenbar nicht genug damit zu tun, gegen Napoleon zu kämpfen. Sie greifen auch noch die USA an. In diesem kleinen Krieg werden sie das Weiße Haus niederbrennen. Die ganze Nacht haben die Engländer mit Mörsergranaten und ihren Congreve rockets das Fort McHenry beschossen. Den Feuerstrahl der Raketen hat Francis Scott Key die ganze Nacht gesehen. Jetzt will er im Morgengrauen wissen, ob das Fort noch steht. Ob die Flagge noch weht. Sie weht noch. Ein Jahr später wird der Kommmandant des Forts George Armistead (der der Onkel des Generals Armistead war, der bei Gettysburg fällt) eine neue Flagge aufziehen lassen. Eine riesige Flagge, a flag so large that the British would have no difficulty seeing it from a distance. Das Bombardement in der Nacht bringt Francis Scott Key dazu, ein vierstrophiges Gedicht auf die Rückseite eines Briefumschlags zu schreiben. Ein Gedicht, das heute alle Amerikaner kennen, auf jeden Fall die erste Strophe:

O! say can you see
by the dawn’s early light,
What so proudly we hailed
at the twilight’s last gleaming,
Whose broad stripes and bright stars
through the perilous fight,
O’er the ramparts we watched,
were so gallantly streaming?
And the rockets’ red glare,
the bombs bursting in air,
Gave proof through the night
that our flag was still there;
O! say does that star-spangled
banner yet wave,
O’er the land of the free
and the home of the brave?

Die Raketen von Sir William Congreve sind mit dem the rockets’ red glare auch in das Gedicht gekommen. Es ist die amerikanische Nationalhymne geworden, jeder in Amerika kann sie singen. Nur  Donald Trump nicht.

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