Dienstag, 10. September 2024

Quarzuhren (II)


'Siehst du,' sprach er zu Victor, 'es ist genau so, wie ich dir neulich sagte. Der Sand ist beinahe troken und in einer Stunde wird man sehr bequem auf ihm herum gehen können. Es ist eine Eigenschaft des hiesigen Quarzbodens, der nur locker auf dem Felsengrunde aufliegt, daß er den Plazregen einschlukt, wie ein Sieb. Darum muß ich bei den Blumen immer so viel Humus nachführen lassen, und darum vergehen die Obstbäume der Mönche so gerne, während die Rüstern, die Eichen, die Buchen und die andern unserer Bergbäume so gedeihen, weil sie den Felsen suchen, dort Spalten treiben und in sie eindringen.' Hier haben wir den Quarz in der Natur, das Zitat findet sich in der Erzählung Der Hagestolz von Adalbert Stifter. Bei Stifter gibt es viel Quarz in den Erzählungen, denn der Bergkristall (der sich in Bunte Steine findet) über den er schreibt, ist nur ein anderer Name für das Mineral Quarz. Niemand hat sich zu Stifters Zeiten vorstellen könnten, dass man Quarze eines Tages zur Zeitmessung verwenden würde.

Ich habe zwar letztens in dem Post Weltzeituhren gesagt: Mit dieser Uhr ist bei mir für Quarzuhren erst einmal Schluss, aber ich muss da noch etwas anfügen, was ich gerade mit dem neuen Computer gefunden habe. Ein begonnener und nicht zu Ende geschriebener Post über Quarzuhren. In dem sich dieses Bild findet, eine Quarzuhr, die mir meine Schwägerin Sabine mal geschenkt hat. Die rechte Hälfte ist das Zifferblatt, da ist schattenhaft auch noch ein Fußballspieler drauf. Ich weiß nicht, ob das Rahn oder Fritz Walter sein soll. Unsere Helden von Bern kannte ich damals alle, weil ich sie vier Wochen vor der WM in Hamburg gesehen habe, als sie gegen Hannover 96 fünf zu eins verloren. Was da links zu sehen ist, sind kleine Bröckchen von Steinen vom Abriss des Wankdorf Stadions in Bern. Da wo wir Weltmeister wurden. Steht auch noch Das Wunder von Bern drauf. 

Ich finde die Weltmeisterschafts Uhr sehr witzig, aber ständig tragen würde ich sie nicht. Sie war auch schon vor Jahren in dem Post 1954 einmal zu sehen gewesen. Sie liegt bei mir in einer Schublade mit vielen kleinen bunten Quarzuhren, die ich mal geschenkt bekam. Eine hat das Bremer Rathaus auf dem Zifferblatt, eine andere die Blaue Mauritius. Die quietscherote Plastikuhr zum Welttag des Buches habe ich schon in dem Post Blankvers erwähnt. Bei der Gestaltung der Zifferblätter sind diesen bunten Dingern, die häufig Werbeuhren sind, geschmacklich keine Grenzen gesetzt. Alles irgendwie originell, aber sind das wirklich richtige Uhren? Zu diesen Spielzeugartikeln zählt sicher auch die Omega X Swatch Bioceramic MoonSwatch Mission To Mercury, aber die ist richtig teuer.

Ich habe Freunde, die deshalb Quarzuhren tragen, weil die sehr flach sind und ein cooles Design haben. Wie zum Beispiel die Braun AW10, die Dietrich Lubs und Dieter Rams 1989 auf den Markt brachten. Der Designer Dieter Rams ist hier schon in den Posts Elektrorasierer und Schneewittchensarg erwähnt worden. Zu dem Design kommt die Werbesprache, ohne die geht es nicht: Dietrich Lubs und Dieter Rams wollten mit der AW10 ihre Vision einer Uhr verwirklichen, die die Zeit auf möglichst funktionale Weise anzeigt und alle ihre Designprinzipien verkörpert. Wenn es für eine Uhr einen bekannten Designer gibt, kann man das gut vermarkten. Die Firma Junghans lebt heute davon, dass Max Bill für sie mal ein paar Zifferblätter entworfen hat. Heute nennen sie alles Max Bill und bieten das zu überhöhten Preisen an.

Das mit den Designprinzipien von Dieter Rams kann man natürlich noch dicker auftragen. In einem Manufactum Katalog fand sich neben dieser Uhr von Ole Mathiesen ein Text, in dem einem versichert wurde, dass die Uhr nicht aufträgt, sie wird praktisch eins mit ihrem Träger. Die gesamte Gestaltung geht auf die Abwesenheit jeglicher Aufdringlichkeiten hin. Ist das nicht schön? Die Uhren sind nicht aufdringlich, die Texte schon. In den Swiss Made Uhren von Ole Mathiesen sind Schweizer ETA Quarzwerke, aber so etwas kostet auch schon vierstellig, kalte Schönheit hat ihren Preis. Preiswerteres dänisches Design findet man bei der Firma Skagen. Und die Braun AW10 kann man ab 119,95 € bei Amazon finden.

Als Seiko 1969 die erste kommerzielle Quarzuhr namens Astron in einem Goldgehäuse auf den Markt brachte (von der wahrscheinlich nur hundert Stück produziert wurden), stürzte das die Schweizer Uhrenindustrie in eine tiefe Krise. Nicht nur die Schweizer Uhrenindustrie war in der Krise, die Quarzuhr bedeutete auch den Tod der amerikanischen Uhrenindustrie. Die Firma Elgin, die als einzige amerikanische Firma eine Automatik gebaut hatte, schloß ihre Tore und verkauft ihre Namensrechte an einen Unternehmer, der Uhren in China herstellen lässt. Die Firma Hamilton ist heute eine Schweizer Firma, sie hat nichts mehr mit der Firma zu tun, die man einmal die Patek Philippe Amerikas nannte. Der Bestseller von Hamilton (Schweiz) ist jetzt die Khaki Field, eine Militäruhr, die aussieht, als sei sie im Vietnamkrieg gewesen. Allerdings war Hamilton damals überhaupt kein Lieferant der US Army. Es wird nirgendwo so viel gelogen, wie in der Uhrenwelt.

Die Quarzkrise trifft nicht nur die Schweiz und Amerika, sie trifft auch Frankreich. 1973 hat die Firma Lip in Besançon, die in den 1930er Jahren Uhren nach Russland geliefert hatte, ihr erstes Quarzwerk vorgestellt. Wenige Monate später musste sie Konkurs anmelden. Man dachte in Frankreich, dass man die Mai Unruhen von 1968 hinter sich hätte, jetzt fängt hier alles wieder an. Jahrelange Arbeitskämpfe, die Arbeiter besetzen die Fabrik und verkaufen alles, was sie im Lager finden, zu Billigpreisen. Das alles könnte die Schweiz kalt lassen, wieder ein Konkurrent weniger, könnte man sagen. Aber so ist es nicht. Die ASUAG Holding, in die sich viele marode Schweizer Firmen geflüchtet hatten, ist durch ihre Tochterfirma Ebauches SA Hauptaktionär der Lip SA. 

Das alles betrifft die Japaner nicht, sie bauen ihren Vorsprung bei den Quarzuhren aus. Am Anfang waren diese Uhren sehr teuer, die Junghans Astro Quarz, die 1971 auf den Markt kam, kostete stolze achthundert Mark. Das kostet die Uhr den Sammler, wenn sie in einem guten Zustand ist, heute immer noch. Aber die Uhren wurden in den nächsten Jahren immer billiger. Irgendwann bekam man sie schon als Werbegeschenke in die Hand gedrückt. Quarzuhren waren billige Massenware geworden. Das wissen wir alle, das stand auch schon in dem Post Quarzuhren. Heute kann man dank der chinesischen Firmen wie Temu, Shein und AliExpress Quarzuhren für beinahe geschenkt bekommen. Die Firmen überschwemmen den Markt, sagt die SPD und will gegen die chinesischen Online Händler vorgehen. Ich weiß nicht, ob der Partei das gelingt. Man weiß ja nicht, ob der Partei überhaupt noch etwas gelingt.

Seiko wollte mehr als nur Quarzuhren bauen, sie wollten genauere Quarzuhren als der Rest der Welt bauen. Das beginnt 1975 mit dem Quarzkaliber 4843, das sich in den King Seiko Modellen findet. Das ging plus-minus zehn Sekunden im Monat falsch. Das war der Firma nicht genug, sie wird jetzt in rascher Folge Quarzuhrwerke für die Modellreihen King Seiko, Grand Seiko und Superior auf den Markt bringen. Sie beginnen erst einmal mit der Seiko Type II, die ist preiswerter als ihre Luxuslinien, erreicht aber die Gangwerte der 48er Kaliber. Doch dann kommt das Twin Quarz Werk, das zwei Quarze hat. Die beiden kleinen silbernen Stäbe kann man hier sehen. Der eine ist für Zeit zuständig, der andere für die Temperaturkompensation. Mit diesem Werk konnte man eine Genauigkeit von +/- 10 Sekunden im Jahr garantieren. Mehr schafft die neueste Grand Seiko mit dem Kaliber 9F auch nicht.

Nachdem ich mir in diesem Jahr zu den drei Seikos, die ich seit Jahrzehnten besitze, noch eine King Seiko von 1974 und eine Grand Seiko von 1978 gekauft hatte, habe ich viel über Seiko und die Entwicklung ihrer Werke gelesen. Interessant ist, dass  Werke nur wenige Jahre im Programm bleiben. Die Skyliner wird nur von 1968 bis 1973 produziert, man hätte sie ewig bauen können. Sollte ich über meine Type II mit dem aufwendigen Zifferblatt und dem erstklassigen Band noch hinausgehen? Die Händler von Tokei Japan, mit denen ich mich gut verstehe (und die auch meinen Blog lasen), hatten da noch etwas ganz Luxuriöses im Angebot. Das eine war eine Superior, die bei ihrer Markteinführung soviel kostete wie ein kleiner Toyota. Die Superior mochte ich nicht, ich mochte auch das Band nicht. Aber sie hatten auch noch eine Seiko Grand Quartz aus dem Jahre 1978 mit dem Twin Quartz Werk im Programm. Musste ich so etwas haben? 

Ich guckte mir jede Woche bei kleinanzeigen das Angebot an. Nach einigen Wochen dachte ich mir, das könnte auch meine Uhr werden, obgleich der nette Herr Wong mir gesagt hatte, sie sei ein bisschen langweilig. Die Uhr wurde mit tollem strukturierten Dial angeboten, bei der Zifferblattgestaltung sind die Japaner ja Weltmeister. Sie sieht auf diesem Photo anders aus als auf dem Photo oben. Was am Arm und im wirklichen Leben wie ein knallig weißes Zifferblatt wirkt, ist in Wirklichkeit ganz fein strukturiert. Deshalb sieht das Zifferblatt auf diesem Photo so ein bisschen milchig-karamellig aus. Man braucht allerdings eine sehr starke Lupe (meine kam von Temu, war mal ein Geschenk), um das zu sehen. Nach langem Überlegen habe ich die Uhr doch gekauft. Weil man mir ein Angebot machte, das ich nicht ablehnen konnte. Und weil ich wusste, dass ich so etwas ich nie wieder bekommen würde. So viele Uhren mit diesem Werk wird es nicht mehr geben, denn das Kaliber 9943 ist nur sechs Jahre lang gebaut worden. Ich habe das elegante flache schwarze Krokoband abgenommen, die Grand Quartz hat jetzt ein dickes weißes Straußenband. Damit sieht dieses coole siebziger Jahre Designerteil jetzt affengeil aus. Ist aber wirklich meine letzte Quarzuhr.



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