Montag, 1. März 2010

Benjamin Wests 'Thaddäus Kosciuszko'


Anfang Juni 1797 macht der Präsident der Royal Academy Benjamin West einen Höflichkeitsbesuch bei dem berühmtesten Mann Europas, der seit einer Woche in London weilt. Das Hotel im Leicester Square ist vorher das Haus des Malers William Hogarth gewesen, der Maler West kommt also in das Haus eines anderen Malers. Er möchte den berühmten Mann malen. West ist in Begleitung von zwei Amerikanern, Dr. Edward Bancroft und John Trumbull. John Trumbull ist auch Maler, er war ein Schüler von West gewesen, jetzt ist er amerikanischer Diplomat. Während des Unabhängigkeitskrieges war er einmal Adjutant von George Washington, er zieht es sein Leben lang vor, als Colonel Trumbull angesprochen zu werden. Der berühmteste Mann Europas ist ein Pole, der gerade aus der russischen Gefangenschaft kommt und nach Amerika weiter reisen will, wo er Frieden zu finden hofft und seine Wunden auskurieren will. Denn in Amerika ist der Pole auch berühmt. Als er das Land vor Jahrzehnten verließ, hat ihm der Kongress eine stattliche Pension bewilligt, riesige Ländereien geschenkt und ihm den Titel General verliehen. Amerikanischer Staatsbürger ist er auch und (neben Steuben und Lafayette) eins der wenigen ausländischen Mitglieder der Society of the Cincinnati. Deren Präsident ist kein Geringerer als George Washington.

Der polnische Edelmann, den West so gerne malen möchte, heißt Thaddäus Kosciuszko. Man scheint hierzulande den Oberfeldherrn Polens im Freiheitskampf gegen die Russen heute vergessen zu haben. Kosciuszko empfängt die kleine amerikanische Delegation mit der gebotenen Höflichkeit, plaudert auch mit Trumbull über die Tage, als sie beide Colonels in der Kontinentalarmee waren (obgleich sie sich wohl damals nicht getroffen haben), aber malen lassen möchte er sich nicht. Doch dazu ist West entschlossen, noch in der Hotelhalle fängt er mit ersten Skizzen an und zu Hause in der Newman Street beginnt er sofort zu malen. Er ist drei Tage später wieder bei Kosciuszko, um ihm ein Bild zu schenken. Wahrscheinlich auch, um sich den General und das Zimmer noch einmal genau einzuprägen. Das Bild von Hector und Andromache (Katalognummer 165 bei v.Erffa/Staley) wird Kosciuszko nicht behalten, er wird es eines Tages Thomas Jefferson schenken. Heute hängt es im Getty Museum in Malibu.

Für den amerikanischen Quäker Benjamin West ist der Pole ein amerikanischer Held. Und das ist er sicherlich auch gewesen. Er ist nach Amerika gekommen, weil er als Offizier in der polnischen Armee keine Zukunft hatte. Und die amerikanische Kontinentalarmee ist ja auch dankbar für gut ausgebildete Offiziere aus Europa, vor allem, wenn die adlig sind. Wenn auch in manchen Fällen, wie bei dem Baron von Steuben und dem Baron de Kalb, die Adelstitel reine Fiktion sind. Kosciuszko ist in Warschau und Paris ausgebildet worden, ein Ingenieur, der Festungsanlagen bauen kann. Solche Leute braucht man jetzt in Amerika, man macht ihn sofort zum Colonel und wird ihm im Laufe des Krieges auch kleine Armeen anvertrauen. Er rechtfertigt das Vertrauen. Er wird West Point so anlegen, dass die Engländer es nie einnehmen können. Da müssen wie schon darauf hoffen, dass der Verräter Benedict Arnold ihnen die Pläne verkauft. Die Schlacht von Saratoga, in der die Engländer eine ganze Armee unter Gentleman Johnny Burgoyne verlieren, wird auch deshalb gewonnen, weil der adlige Colonel aus Polen so geschickt Festungsanlagen um Bemis Heights plaziert hat. Burgoyne, der Lebemann, Dandy und Theaterautor, muss sich in die Kapitulation fügen. Eine Militärkapelle spielt The world turned upside down.

Das Bild, das West malen wird, ist erstaunlich. Kleinformatig (31,5 mal 44 Zentimeter) und intim, scheint es die romantische Malerei vorweg zu nehmen. Der von seinen bei der Schlacht von Maciejowice vor zwei Jahren erlittenen Verwundungen gezeichnete General, liegt auf einer Chaiselongue, ein Fenster gibt den Ausblick auf die St. Pauls Cathedral frei. Mit der linken Hand berührt er den schwarzen Seidenverband über seiner Stirn (eine Krücke neben dem Sofa deutet an, dass er durch eine Kanonenkugel halbseitig gelähmt ist). Aber diese Bewegung der Hand zum Kopf scheint hier auch eher eine Bewegung eines nachdenklichen Dichters zu sein. Zwei Jahrzehnte später werden Maler unter dem Einfluss von Lord Byrons Dichtung ihre Objekte so malen, voller Träumerei, Melancholie und Weltschmerz. Kosciuszko wird zu einem Byronic hero, obgleich es den noch gar nicht gibt. Die auf dem Boden verstreuten Skizzen (West fand den General bei Aquarellieren vor) zeigen, dass der Edelmann auch ein Künstler ist. Natürlich fehlen die militärischen Beigaben nicht, wie die polnische Offiziersmütze oder der gerade in London überreichte Prunksäbel. Die Aussicht aus dem Fenster auf St. Pauls und die Themse ist ein meisterhaftes kleines Bild im Bild. Für dieses Portrait, das den Beginn einer Sturm und Drang Phase in Wests Werk markiert, hat West seine etwas langweilige akademische Malerei in stumpfen Farben aufgegeben. Hier haben wir brillante Farben und eine ungekünstelte Spontanität der Darstellung, als hätten wir den jugendlich wirkenden General (der eigentlich schon fünfzig ist, hier aber eher wie ein Zwanzigjähriger aussieht) gerade in diesem nachdenklichen Moment überrascht.

Benjamin West wird das Bild behalten, er weiß, dass es vielleicht das Beste ist, was er gemacht hat. Sein Sohn wird es nach seinem Tode den Vereinigten Staaten anbieten (er hofft, dass es der Grundstock für eine amerikanische Nationalgalerie wird), aber diese Barbaren verkaufen es gleich weiter. Es hat danach verschiedene Besitzer, bis es 1946 in die Vereinigten Staaten zurückkehrt. Es ist heute Bestandteil der Kunstsammlung des Allen Memorial Art Museum des Oberlin College. Der Portraitierte ist bei seiner Ankunft in Amerika 1797 wie ein Nationalheld gefeiert worden. Sein Haus in Philadelphia ist heute noch Nationaldenkmal. Er wird seinen Lebensabend in der Schweiz verbringen. Aber zuvor hat der Mann, den die Polen einst zu ihrem König machen wollten und der die Worte Freiheit, Integrität und Unabhängigkeit auf seinem Wappenschild hatte, noch etwas Erstaunliches getan. Er hat seinen ganzen amerikanischen Besitz verkauft und mit dem Geld Sklaven gekauft. Und ihnen die Freiheit gegeben (seinen polnischen Leibeigenen hatte er schon vorher die Freiheit gegeben), ein einmaliger Akt. Zu dem die Amerikaner, die den schönen Satz that all men are created equal in ihrer Declaration of Indepedence hatten (wie zum Beispiel Thomas Jefferson), nicht fähig waren. Vielleicht sollten wir uns den Namen Thaddäus Kosciuszko doch einmal merken, auch wenn er schwer auszusprechen ist.

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