Mittwoch, 21. März 2012

Henry Kirk White


Muss man ihn kennen? Ich weiß es nicht. Aber der Vollständigkeit halber sollte hier einmal an Henry Kirke White erinnert werden, der heute vor 227 Jahren geboren wurde. In diesem Blog ist Platz für große und kleine Lichter der Literatur, von den Irrlichtern ganz zu schweigen. Henry Kirk White war ein englischer Dichter, der jung starb. Jung zu sterben ist für den Nachruhm eines Dichters in dieser Zeit immer gut, man denke an Thomas Chatterton oder John Keats. John Hoppner (der erstaunlicherweise in diesem Blog noch nie vorkam, obgleich er ein sehr guter Maler sein kann) hat White auf dem Höhepunkt seines Ruhms gemalt. Das Bild hängt heute in Whites Geburtsstadt Nottingham, wo man es nicht so gern hört, dass immer wieder Zweifel an dem Bild geäußert werden. Nicht dass man bezweifelte, dass dies ein echter Hoppner ist, aber man bezweifelt, dass dies den jungen Dichter darstellt.

Er ist so jung gestorben, weil er sich mit seinem Studium übernommen hat. I have been for the last three months busily engaged in preparing a volume of poems for the press. To this undertaking every moment which I could snatch from business and sleep has been devoted ... perhaps you will deem me presumptuous that I venture to appear before the public at so early an age but I have been encouraged by ... men of eminence in the literary world ... I have not the capacity to pursue my studies as I would wish from a narrowness of income, this book if successful will be a material health to me.

Von klein auf wollte er alles wissen, er kam von ganz unten, hat sich Griechisch und Latein schwer erarbeitet. Dass sich jemand zu Tode studiert, kommt ja nicht so häufig vor. Als ich studierte, war das kaum möglich, weil wir alle noch ein wirkliches Leben neben dem Studium hatten. Für die jetzige Generation, die nach diesen völlig bescheuerten Bachelor Studiengängen studieren muss, bin ich mir da nicht so sicher. Die Nervenzusammenbrüche häufen sich da schon, aber die Schavan grinst uns trotzdem selbstzufrieden vom Bildschirm aus an. Und es ist alles, alles gut. Glücklicherweise sind ja schon Bücher wie Bachelor statt Burnout: Entspannt studieren - Wie geht das? auf dem Markt.

Ich weiß nicht, wie gut Henry Kirk White als Dichter ist. Das, was ich von ihm gelesen habe, hat mich nicht dazu gebracht, mehr von ihm zu lesen. Seine Zeitgenossen sind sehr unterschiedlicher Meinung über sein dichterisches ➱Werk. So sagt William Wordsworth (links) im Gespräch (wiedergegeben von Henry Crabb Robinson): Wordsworth talked at ease, having confidence in his audience.... He spoke of Kirke White. Both he and Rough agreed in considering him as a man of more talents than genius, and that the great correctness of his early writings was a symptom unpromising as to his future works. He would probably have been rather a man of great learning than a great poet. He would not have been more than a Southey, said Rough. "And that would have been nothing after all," said Wordsworth," — "when speaking of the highest excellence," he added.

Robert Southey (links), über den gerade das Fallbeil der Literaturkritik fällt, ist einer der ersten, der Whites Lyrik hoch einschätzt. Lord Byron mag den jungen Dichter aus Nottingham erstaunlicherweise auch. So schreibt er an seinen Verwandten Alexander Charles Robert Dallas: I am sorry you don't like Harry White: with a great deal of cant, which in him was sincere (indeed it killed him as you killed Joe Blackett), certes there is poesy and genius. I don't say this on account of my simile and rhymes; but surely he was beyond all the Bloomfields and Blacketts, and their collateral cobblers, whom Lofft and Pratt have or will kidnap from their calling into the service of the trade. You must excuse my flippancy, for I am writing I know not what, to escape from myself.

Und er geht noch weiter, er schreibt White in seine Verssatire ➱English Bards and Scotch Reviewers hinein:

Unhappy WHITE! while life was in its spring,
And thy young Muse just waved her joyous wing,
The Spoiler swept that soaring Lyre away,
Which else had sounded an immortal lay.
Oh! what a noble heart was here undone,
When Science' self destroyed her favourite son!
Yes, she too much indulged thy fond pursuit,
She sowed the seeds, but Death has reaped the fruit.
'Twas thine own Genius gave the final blow,
And helped to plant the wound that laid thee low:
So the struck Eagle, stretched upon the plain,
No more through rolling clouds to soar again,
Viewed his own feather on the fatal dart,
And winged the shaft that quivered in his heart;
Keen were his pangs, but keener far to feel
He nursed the pinion which impelled the steel;
While the same plumage that had warmed his nest
Drank the last life-drop of his bleeding breast.


English Bards and Scotch Reviewers, herausgegeben von Alexander C.R. Dallas, erschien anonym. Aber jeder wusste, wer der Verfasser war. Viele Schriftsteller waren beleidigt, manche waren aber auch glücklich, dass sie überhaupt von Byron erwähnt und beleidigt wurden. Nicht in dem Werk enthalten war Joseph Blackett (der auch eine Monody to the Memory of H K White geschrieben hat), den Byron in seinem Brief an Dallas erwähnt. Aber Lord Byron hat auch für diesen kleinen Dichter und Schuhmacher (der auch nur fünfundzwanzig Jahre alt wurde) ein liebevoll-ironisches Gedicht geschrieben - so verletzend er in seiner Kritik an Kollegen sein kann, es ist immer wieder erstaunlich, wie generös er gegenüber kleineren Poeten sein kann. Das Gedicht ist natürlich auch ein klein wenig bösartig, anders könnte Byron nicht.

Epitaph For Joseph Blackett, Late Poet And Shoemaker

Stranger! behold, interr'd together,
The souls of learning and of leather.
Poor Joe is gone, but left his all:
You'll find his relics in a stall.
His works were neat, and often found
Well stitch'd, and with morocco bound.
Tread lightly -- where the bard is laid
He cannot mend the shoe he made;
Yet is he happy in his hole,
With verse immortal as his sole.
But still to business he held fast,
And stuck to Phobus to the last.
Then who shall say so good a fellow
Was only 'leather and prunella?'
For character - he did not lack it
And if he did, 'twere shame to 'Black it.


Ich bin jetzt natürlich eine Probe von der Verskunst des jungen Henry Kirk White schuldig geblieben. Aber auch das gibt es heute noch, etwas aus seinem berühmtesten Gedichtband Clifton Grove: A Sketch in Verse and Other Poems. Und da nehme ich doch gleich Clifton Grove, weil ich dazu auch eine zeitgenössische Abbildung habe, die die Allee nach Clifton Hall sehr schön zeigt.

Lo! in the west, fast fades the lingering light,
And day’s last vestige takes its silent flight. 
No more is heard the woodman’s measured stroke, 
Which with the dawn from yonder dingle broke; 
No more, hoarse clamouring o’er the uplifted head, 
The crows assembling seek their wind-rock’d bed; 
Still’d is the village hum—the woodland sounds 
Have ceased to echo o’er the dewy grounds, 
And general silence reigns, save when below 
The murmuring Trent is scarcely heard to flow; 
And save when, swung by ‘nighted rustic late, 
Oft, on its hinge, rebounds the jarring gate; 
Or when the sheep-bell, in the distant vale, 
Breathes its wild music on the downy gale. 

Das geht jetzt noch lange so ➱weiter, aber ich lasse das mal. Seit Thomas Gray seine Elegy (nach der dieses Gedicht doch sehr schmeckt) veröffentlicht hat, sitzt ja jeder zweite Dichter in der Dunkelheit in der Natur - Henry Kirk White an dieser Stelle am Trent - und wartet auf den Musenkuss. Lord Byron tut das natürlich nicht, der bekommt richtige Küsse von schmachtenden Frauen. Irgendwie sind die kleinen Dichter benachteiligt. Obgleich manche heute immer noch ihren Fanclub haben, in Nottingham und Umgebung wird ➱Henry Kirk White immer noch verehrt. Nur der arme Joe Blackett, Schuhmacher (für Damenschuhe) und Dichter, der nur vier Jahre älter wird als White, der hat immer noch keinen Wikipedia Artikel. Ganz im Gegensatz zu Robert Bloomfield (unten), dem anderen dichtenden Damenschuhmacher in dieser Zeit.

Wenn Byron in seinem Brief von all the Bloomfields and Blacketts, and their collateral cobblers spricht, dann hat er mit dem Plural schon Recht. Denn da gäbe es noch diesen John Foster, der aber hauptsächlich religiöse Lyrik schreibt. Ich höre jetzt mal auf, sonst wird das hier noch eine Dissertation über schreibende Schuhmacher von Hans Sachs und Jacob Böhme bis zu dem Mann aus Nexö, der Pelle der Eroberer geschrieben hat. Aber es bleiben natürlich diese bohrenden Fragen: haben ➱Schuhmacher ein anderes Verhältnis zu Vers-Füssen? Wird Manolo Blahnik eines Tages noch Gedichte schreiben?

I am writing I know not what, to escape from myself, schreibt Byron in dem oben zitierten Brief. Manchmal tue ich das, glaube ich, auch.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen