Donnerstag, 28. April 2022

arrivederci Roma


Am 28. April 1937 hat Benito Mussolini die Filmstadt Cinecittà eingeweiht. Das Hollywood on the Tiber hat hier schon mit Cinecittà und die Mode einen schönen kulturhistorischen Post. Deshalb lassen wir Cinecittà mal weg. Mussolini auch, obgleich der erstaunlicherweise in der deutschen Literatur belesen war. Bei der deutschen Literatur wollen wir heute einmal bleiben. Ich habe zwei Gedichte, die Schriftsteller nach ihrem Besuch der ewigen Stadt geschrieben haben. Wir sind bei dem Thema der deutschen Italiensehnsucht, eine Sehnsucht, die sich immer wandelt. Wandlungen der Italiensehnsucht war der Untertitel des Buches Das Klassische Land des Kunsthistorikers Wilhelm Waetzoldt. Der 1927 schon konstatierte, dass das Italien, von dem die Väter träumten, nicht mehr existiere: Es ist zu nah gerückt, zu bekannt und zu verwandt geworden. Distanz und Pathos sind aus dem Verhältnis der nordischen Menschen zum Süden verschwunden. Ja, das Erlebnis der Italienreise ist banalisiert worden.

Es ist ein langer Weg zwischen Goethes italienischer Reise und den fünfziger Jahren, als Carl Borgward in Bremen seine Automodelle Isabella und Arabella nennt, und die Nation die Caprifischer oder Komm' ein bisschen mit nach Italien singt. Es gibt heute nichts aus Goethes italienischer Reise, und die Römischen Schlendertage von Hermann Allmers sind auch nicht dabei. Und auch den Hass von Rolf Dieter Brinkmann auf Rom lasse ich mal weg: Dieses Arkadien ist die reinste Lumpenschau. Seien es die modischen Lumpen oder die antiken Lumpen, ein Mischmasch, das so weit von Vitalität entfernt ist. Tatsächlich, das Abendland geht nicht nur unter – es ist bereits untergegangen, und nur einer dieser kulturellen Fabrikanten taumelt noch gefräßig und unbedarft herum, berauscht sich an dem Schrott.

Ich beginne einmal mit einem Gedicht, das vielleicht das älteste deutsche Romgedicht ist. Es wurde und von dem Barockdichter Andreas Gryphius 1650, drei Jahre nach seiner Rückkehr aus Italien, veröffentlicht:

Als Er auß Rom geschieden​

Ade' begriff der welt' Stadt der nichts gleich gewesen /
Vnd nichts zu gleichen ist / In der man alles siht
Was zwischen Ost vnd West / vnd Nord vnd Suden blüht,
Was die Natur erdacht / was je ein Mensch gelesen.
Du / deren Aschen man / nur nicht vorhin mit Bäsen
Auff einen hauffen kährt / in der man sich bemüht
Zu suchen wo dein grauß / (fliht trüben Jahre! fliht /)
Bist nach dem fall erhöht / nach langem Ach / genäsen.​

Ihr Wunder der gemäld / ihr prächtigen Palläst /
Ob den die kunst erstarrt / du starck bewehrte Fest /
Du Herrlichs Vatikan / dem man nichts gleich kan bawen;
Ihr Bücher, / Gärten / grüfft; Ihr Bilder / Nadeln / Stein /
Ihr / die dies vnd noch mehr schliß't in die Sinnen eyn /
Ade! Man kan euch nicht / satt mit zwey Augen schawen.​

Gryphius hatte 1644 als Hofmeister den jungen pommerschen Adligen Wilhelm Schlegel auf seiner Kavalierstour, also dem, was man im 18. Jahrhundert die Grand Tour nennen wird, durch halb Europa begleitet. 1645 ist die Gruppe in Rom, vielleicht kehren sie noch ein zweites Mal dahin zurück. Das weiß man nicht so genau, das Reisetagebuch der dreijährigen Reise, das Gryphius geführt hatte, ist verloren gegangen. Ich habe zu dem Romgedicht von Gryphius hier einen interessanten Aufsatz von Jörg Robert, der den Titel Leichenwissen und Katakombenpoesie: Andreas Gryphius und die Roma sotterranea hat.

Im nächsten Jahrhundert wird jedermann in Rom sein, Schriftsteller und Maler. Goethe wird eine ganze Epoche der Italienbegeisterung prägen. Eine deutsche Malergruppe in Rom wird man die Deutschrömer nennen. Es sind auch große Mengen von Engländern in Rom, aber die haben nicht die Krankheit der Italiensehnsucht, die offenbar nur Deutsche befällt. Die sind da, um sich von Batoni oder Mengs malen zu lassen. Um Gemälde von Claude Lorrain (es ist kein Zufall, dass Lorrains Tiberbrücke im ersten Absatz in englischem Besitz ist) zu kaufen. Und natürlich, um antike Statuen zu erwerben, die man zuhause in den Landschaftsgarten stellen kann. Goethe verspottet die Reiselust der Engländer ein wenig, wenn er Mephisto sagen läßt:

Sind Briten hier? Sie reisen sonst so viel,
Schlachtfeldern nachzuspüren, Wasserfällen,
Gestürzten Mauern, klassisch-dumpfen Stellen;
Das wäre hier für sie ein würdig Ziel.

Die Eisenbahn wird den Romtourismus verändern, Italien ist nah gerückt. Niemand geht mehr zu Fuß über die Alpen wie der romantische Maler Carl Philipp Fohr, der beim Baden im Tiber ertrinken wird. Nur der Romantiker Eichendorff, der immer wieder Italien heraufbeschwört, wird nie dort gewesen sein. Die Engländer wenden sich von Rom ab, die entdecken die Rheinromantik oder fahren nach Venedig. Aber die Deutschen, die kommen immer wieder nach Rom. Auch Theodor Fontane, der 1874 in Rom mit seiner Frau die Silberhochzeit feiern will. Die Gattin muss er allerdings erst von der Reise überzeugen: Ich rechne auf Deine Zustimmung und während der Reise selbst auf Deine Entschlossenheit und gute Laune. […] Ich rechne also auf Dein Ja-Wort, wie am Altar. Emilie Fontane wird wie ihr Mann ein Reisetagebuch führen, aber sie fühlt sich bei den vielen Besichtigungen nicht glücklich: Auf, morgen nach Rom, der ewigen Stadt. Eigentlich ginge ich nun gern wieder ein bischen 'heeme' denn mein armer Grips reicht nirgends aus. Fontane gefällt Italien auch nicht wirklich. Selbst Venedig nicht: Es ist interessant von Schritt zu Schritt, landschaftlich zauberhaft, poetisch durch und durch, aber es repräsentirt doch nicht die Form der Schönheit, die ich dauernd vor Augen haben möchte. Dazu ist mir, rund heraus gesagt, die ganze Geschichte doch zu schmutzig.

Man kann die Spuren der Italienreise noch in dem Stechlin spüren, wo er den Adligen Gnewkow sagen lässt: 'Ja', nahm Gnewkow, der aus Langerweile viel gereist war, seinen Urgedanken, daß solcher Park eigentlich ein Glück sei, wieder auf. 'Ich finde, was Molchow da gesagt hat, ganz richtig; es kommt drauf an, daß man reingezwungen wird, sonst weiß man überhaupt gar nichts. Wenn ich so bloß an Italien zurückdenke. Sehen Sie, da läuft man nu so rum, was einen doch am Ende strapziert, und dabei dieser ewige pralle Sonnenschein. Ein paar Stunden geht es; aber wenn man nu schon zweimal Kaffee getrunken und Granito gegessen hat, und es ist noch nicht mal Mittag, ja, ich bitte Sie, was hat man da? Was fängt man da an? Gradezu schrecklich. Und da kann ich Ihnen bloß sagen, da bin ich ein kirchlicher Mensch geworden. Und wenn man dann so von der Seite her still eintritt und hat mit einem Male die Kühle um sich rum, ja, da will man gar nicht wieder raus und sieht sich so seine funfzig Bilder an, man weiß nicht wie. Is doch immer noch besser als draußen. Und die Zeit vergeht, und die Stunde, wo man was Reguläres kriegt, läppert sich so heran'.

Literarisch trägt Fontanes fünfzigtägige Reise wenig Früchte, nur ein Artikel mit dem Titel Ein letzter Tag in Italien ist 1874 in der Vossischen Zeitung erschienen. Der fängt mit den Sätzen an: Es ging wieder heim. Der 'ewig blaue Himmel Italiens' lag unverändert über der Landschaft, aber diese Landschaft selber lag im Schnee. Eine tiefe Sehnsucht nach Teppich und Doppelfenster fröstelte mir durchs Herz ... Und dann gibt es neben den vielen Briefen und dem Reisetagebuch noch eine Ballade über den Markuslöwen und dies wunderbare kleine Gedicht:

Welches von beiden

Rom im Siebenhügelkranz, –
Cremmen, Schwante, Vehlefanz.

Nemi-See, Genzano-Sträußchen, –
Stralau, Treptow, Eierhäuschen.

Blick auf Forum, Ara Celi, –
Tasse Kaffee bei Stehely,

Lockt auch Fremde, Schönheit, Pracht, –
Glücklicher hat mich die Heimat gemacht.

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