Montag, 4. April 2022

dünner Regen


Ich habe Kierkegaard, Hans Christian Andersen und Jens Peter Jacobsen gelesen, aber das sind dänische Autoren des 19. Jahrhunderts. Von der neueren dänischen Literatur weiß ich wenig. Dänische Lyrik erschien Hans Magnus Enzensberger 1963 in seinem Aufsatz Gulliver in Kopemhagen in der Zeitschrift Akzente als wenig bemerkenswert. Mit einer Ausnahme, und das war Klaus Rifbjerg. Der am 4. April 2015 verstorbene Dichter sagt selbst mir etwas. Ich besitze nämlich einen Band seiner Gedichte, Uhrenschlag der aufgelösten Zeit, 1991 im Berliner Verlag Volk und Welt erschienen. Übersetzt und herausgegeben von Lutz Volke, der auch das Nachwort zu disem schönen bibliophilen Band geschrieben hat, der Gedichte von 1956 bis 1988 enthält. Klaus Rifbjerg ist auch schon mehrmals in diesem Blog gewesen, zum Beispiel in den Posts Anna Ancher, Dänische Kunst und Des Königs Jaguar.

Der Skandinavist Thomas Fechner-Smarsly hat Rifbjergs Werk mit der dänischen Fußball Nationalmannschaft assoziiert: Rifbjerg, Klaus, geb. 1931, ist in der dänischen Literatur-Oberliga eine Institution. Rifbjerg schreibt alles: Romane, Theaterstücke, Essays, Drehbücher, Feuilletons. Und Gedichte, immer wieder Gedichte. Sie bilden beinahe so etwas wie seine heimliche Autobiographie. Und Rifbjerg schreibt, wie die dänische Mannschaft spielt: ein bißchen verschmitzt, voller Witz, mal mit Tempo, mal mit der nötigen Ruhe, die man braucht, um einen gekonnten Angriff über mehrere Stationen hinweg vorzutragen. Er läßt den Ball ein wenig in den eigenen Reihen laufen, um dann mit einem geschickten Steilpaß die Lücke zu finden: in den alltäglichen Beobachtungen, in den bruchstückhaften Erinnerungen, in der biegsamen Sprache seiner Gedichte. Und plötzlich zappelt der Ball im Kopf des Lesers! Das fand ich sehr witzig. Da es draußen regnet und regnet, nehme ich heute mal das Gedicht Soviel Sorten Regen von dem Dichter:

Es regnet es regnet dünn
wie das ja möglich ist
es regnet ohne Säure
und Vorbehalt
aber gerade darum
gerade darum
es regnet gleichmäßig und alles ist schief
seicht kantig schräg
eng unberechenbar
soviel Sorten Regen

auch der in dem man nach draußen geht
der in dem man nach draußen geht
der in dem sie steht
einen Augenblick lang lauschend als
wolle sie ineins hören
das rieselnde gluckernde
schief und scharf fallende
in alle Spalten berstende
direkt vom Himmel nieder-
stürzende Wasser

ehe sie den Fuß aufsetzt
ehe sie den Fuß aufsetzt
ehe sie ihren Körper wieder bewegt
ehe sie wachzuwerden scheint
ehe sie sich für einen Augenblick an ihr Geschlecht erinnert
ehe sie den Regenschirm aufspannt
und draußen in den Regen tritt

Der dünn fällt
und ohne Vorbehalt
gebrochen unvorhersehbar wegen der
vielen Winkel
aber genormt rund und harmonisch
überm Regenschirm
unter dem sie geht
bis sie verschwindet

Es regnet dünn.


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