Die Uhr, die ich zurzeit am Arm trage, ist ziemlich selten. Es gibt kein einziges Bild meiner Uhr im Internet. Nur eins von dem Uhrwerk, das in ihr tickt. Sie ist über sechzig Jahre alt und hat ein Edelstahlgehäuse. Mit einer Gehäusenummer auf dem Schraubboden. Wenn Uhren eine Gehäusenummer besitzen, dann sind sie etwas Besseres. Wenn dann auch noch Genève auf dem Zifferblatt steht, dann ist es bestimmt eine Qualitätsuhr. Das Genève steht nicht nur auf dem Zifferblatt, es steht auch auf dem Rotor des Automatikwerks. Das ist ein berühmtes Werk. Der Felsa Bidynator war das erste Automatikwerk, das in beide Richtung aufzog. Die Firma Felsa wurde sofort von Rolex verklagt, die sich schon Anfang der 1930er Jahre die von Aegler gebaute Rotorautomatik für ihre bubblebacks patentieren ließ. Aber Rolex musste sich von den Richtern belehren lassen, dass eine Automatik, die in zwei Richtungen aufzieht, etwas ganz anderes ist, als eine Automatik, die nur in einer Richtung wirkt.
Die Firma JeanRichard, die meine Armbanduhr gebaut hat, trägt einen berühmten Namen. Es gibt sie nicht mehr, aber es gibt seit 1988 wieder JeanRichard Uhren, weil die Firma Girard-Perregaux den Namen gekauft hat. Der Name JeanRichard ist deshalb von Bedeutung, weil Daniel JeanRichard vielleicht der Vater der ganzen schweizer Uhrenindustrie gewesen ist. Er lebte von 1672 bis 1741, man nannte ihn sein Leben lang Bressel, weil er aus dem Ort Les Bressels kam. Und er soll als junger Mann in einer Nacht die Taschenuhr eines durchreisenden Engländers repariert haben. Er hat sich alle Teile gut gemerkt, hatte sich eine Zeichnung gemacht und beschlossen, diese Uhr nachzubauen. Er wird anderthalb Jahre dafür brauchen. Ein Jahr für das Anfertigen der Werkzeuge, ein halbes Jahr fur die Uhr.
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts verlegte JeanRichard, der eigentlich Goldschmied war, sein Atelier nach Le Locle, wo heute ein Denkmal für ihn steht. Eine Sonderbriefmarke der schweizer Post hat es für ihn auch einmal gegeben. Sein Atelier bestand bis 1750, aber JeanRichard hatte für viele im Kanton Neuenburg den Anstoß gegeben, Uhrmacher zu werden. Er will nicht mit den Uhrmachern im calvinistischen Genf konkurrieren, die goldene Schmuckuhren bauen. Er will preiswerte Taschenuhren herstellen, und er hat auch schon neue Produktionsmethoden in Sicht. Deshalb ist er in einem Buch, das Swiss Pioneers of Industry and Technology heißt.
Kurz nach seinem Tod zählt man im Kanton Neuenburg schon achtzig Uhrmacher, vorher gab es da niemanden außer ihm. Hundert Jahre später sind fünfzehn Prozent der Einwohner von Neuenburg Uhrmacher. JeanRichards Firma ist von seinen fünf Söhnen unter dem Namen Daniel JeanRichard et Fils weitergeführt worden. Bei dieser JeanRichard Uhr aus dem Jahr 1950 hat die Legende über die Wirklichkeit gesiegt. Da ist nämlich unter dem Firmennamen ein kleiner Amboss zu sehen, weil JeanRichard ein Hufschmied gewesen sein soll. Diese Mär kommt im 19. Jahrhundert auf. Aber ein Hufschmied war er wohl nie. Es gibt über sein Leben mehr Legenden als Fakten, die besten Informationen findet man auf dieser →Internetseite.
Auch wenn das Atelier von Daniel JeanRichard 1750 schließt, hat es immer wieder Firmen gegeben, die den Namen JeanRichard getragen haben. Wie die Firma, die meinen Flohmarktfund gebaut hat. Wahrscheinlich war das die 1915 gegründete Firma Eduard JeanRichard. Die Uhr ist erste Qualität, steht einer Omega in nichts nach. Wir können an dem Werk oben sehen, dass es sogar eine Art von Schwanenhals Feinregulierung für den Rücker besitzt, das ist schon etwas Besonderes. Der Gehäuseboden ist innen perliert, die Platine des Werks hat auch eine Perlage, so etwas war noch gute schweizer Qualität.
Was der junge Daniel JeanRichard auf dem Denkmal in Le Locle in der Hand hält, sieht aus wie zwei Hälften eines Tennisballs. Aber so kugelig haben englische Spindeltaschenuhren um 1700 wirklich ausgesehen. Ich habe so etwas schon mehrfach in der Hand gehabt und immer wieder gestaunt, dass die Uhren noch liefen, wenn man sie aufzog. Bedenken Sie aber beim Aufziehen, dass man die linksherum aufziehen muss. Sind Engländer, die haben auch Linksverkehr.
Ich habe heute ein schönes Uhrengedicht, das schlicht The Watch heißt. Es ist von der Amerikanerin Danusha Laméris, einer Dichterin, die schon zahlreiche Preise gewonnen hat. Das Gedicht ist in dem Band Best American Poetry 2017 abgedruckt. Diese Anthologie wurde von Natasha Trethewey herausgegeben, die einmal den Pulitzer Preis gewonnen hatte und Poet Laureate der Vereinigten Staaten war. Es bedeutet für eine Dichterin wie Danusha Laméris schon etwas, in diese Sammlung aufgenommen zu werden. Der französische L'Observateur sagte ein klein wenig ironisch über Best American Poetry: For the small community of American poets, the Best American Poetry is the Michelin Guide, the Reader's Digest, and the Prix Goncourt.
The Watch
At night, my husband takes it off
puts it on the dresser beside his wallet and keys
laying down, for a moment, the accoutrements of manhood.
Sometimes, when he’s not looking, I pick it up
savor the weight, the dark face, ticked with silver
the brown, ostrich leather band with its little goosebumps
raised as the flesh is raised in pleasure.
He had wanted a watch and was pleased when I gave it to him.
And since we’ve been together ten years
it seemed like the occasion for the gift of a watch
a recognition of the intricate achievements
of marriage, its many negotiations and nameless triumphs.
But tonight, when I saw it lying there among
his crumpled receipts and scattered pennies
I thought of my brother’s wife coming home
from the coroner carrying his rings, his watch
in a clear, ziplock bag, and how we sat at the table
and emptied them into our palms
their slight pressure all that remained of him.
How odd the way a watch keeps going
even after the heart has stopped. My grandfather
was a watchmaker and spent his life in Holland
leaning over a clean, well-lit table, a surgeon of time
attending to the inner workings: spring,
escapement, balance wheel. I can’t take it back,
the way the man I love is already disappearing
into this mechanism of metal and hide,
this accountant of hours
that holds, with such precise indifference,
all the minutes of his life.
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