Freitag, 5. April 2024

Kinderhymne


Nationalhymnen haben häufig etwas Martialisches und Bedrohliches an sich. Das kann man ihnen nehmen, Graeme Allwright hat das in Frankreich getan. Als Nicolas Sarkozy im Jahre 2005 anordnen wollte, dass jedes Schulkind in Frankreich die Nationalhymne auswendig lernen sollte, fragte sich Allwright, ob kleine Kinder in der Schule wirklich diesen Text lernen sollten: Je me suis toujours demandé comment les Français peuvent continuer à chanter, comme chant national, un chant de guerre avec des paroles belliqueuses, sanguinaires et racistes. Und er fügte hinzu: Le jour où les politiques décideront de changer les paroles de La Marseillaise, ce sera un grand jour pour la France. Aber dieser jour de gloire ist nicht gekommen, Sarkozy interessierte das alles nicht. Und so schrieb Allwright eine neue, pazifistische ✺Marseillaise. Keinen chant de guerre avec des paroles belliqueuses, sanguinaires et racistes. In der in ersten Zeile ist von den Kindern die Rede. Eine Kinderhymne, wenn man so will:

Pour tous les enfants de la terre
Chantons amour et liberté.
Contre toutes les haines et les guerres
L’étendard d’espoir est levé
L’étendard de justice et de paix.
Rassemblons nos forces, notre courage
Pour vaincre la misère et la peur
Que règnent au fond de nos cœurs
L’amitié la joie et le partage.
La flamme qui nous éclaire,
Traverse les frontières
Partons, partons, amis, solidaires
Marchons vers la lumière.

Eine deutsche Kinderhymne hat es auch schon einmal gegeben, Bert Brecht hat sie 1950 geschrieben, Hanns Eisler hat sie vertont. Beinahe ein halbes Jahrhundert später hat es Wolf Biermann gesungen:

Kinderhymne

Anmut sparet nicht noch Mühe
Leidenschaft nicht noch Verstand
Daß ein gutes Deutschland blühe
Wie ein andres gutes Land.

Daß die Völker nicht erbleichen
Wie vor einer Räuberin
Sondern ihre Hände reichen
Uns wie andern Völkern hin.

Und nicht über und nicht unter
Andern Völkern wolln wir sein
Von der See bis zu den Alpen
Von der Oder bis zum Rhein.

Und weil wir dies Land verbessern
Lieben und beschirmen wir’s
Und das liebste mag’s uns scheinen
So wie andern Völkern ihrs.

Iring Fetscher hat dazu gesagt, dass Brechts Kinderhymne das schönste Deutschlandlied ist, das er kenne. Iring Fetscher war kein Literaturwissenschaftler, er war Philosoph. Sein Assistent Walter Euchnere hatte bei ihm seine Doktorarbeit über John Locke geschrieben, und Fetscher hat zu Euchners Büchern Vorworte beigetragen. Und er hat Alexandre Kojèves Buch über Hegel übersetzt. Das weiß ich, weil mein Freund Jimmy mir sein Exemplar geschenkt hat. Jimmy hatte eine vierhundertseitige Doktorarbeit über Hegel im Schreibtisch, die er nie abgegeben hat. Wenn Sie den Post Hegel gelesen haben, werden Sie sehen, dass dieser Philosoph nicht so meine Sache ist. Aber das Buch von Kojève habe ich gelesen. Wenn Sie Fetschers Interpretation der Kinderhymne lesen wollen, dann klicken Sie hier.

Nationalhymnen waren häufig ein Thema dieses Blogs. Der Post Silversteransprache handelt davon. Und an dem Post hängen unten ganz viele Links zu all den Posts, in denen von Nationalhymnen die Rede ist. Von German German Overalls bis zu den Schweizern, die an der Beresina das Schweizerlied singen.

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