Freitag, 19. April 2024

Friederike


Haben die beiden so ausgesehen, Goethe und seine Friederike? Dies ist ein Holzstich von Eugen Klimsch aus dem Jahr 1890, die Kolorierung ist später erfolgt. Ich komme auf die beiden, weil Friederike Elisabeth Brion wahrscheinlich an einem 19. April geboren wurde. Sie war neunzehn, als sie Goethe traf. Nach der Liebesaffaire, die vielleicht anderthalb Jahre dauerte, hat er sie schnöde verlassen. Der Goethe Biograph Nicholas Boyle schreibt dazu: Man muß sagen, daß die ganze Episode Goethe wenig Ehre macht. Der lange Aufenthalt in Sesenheim im Mai und Juni sowie der Umstand, daß er und Friederike mit ziemlicher Sicherheit bei dieser wie vielleicht schon bei früheren Gelegenheiten längere Zeit allein gelassen wurden, lassen vermuten, dass man ihn, süddeutscher Gepflogenheit entsprechend, zu diesem Zeitpunkt als den Verlobten Friederikes betrachtete. (...) Unter diesen Umständen bedeutete der Bruch mit Friederike eine schwerwiegende Kompromittierung ihrer gesellschaftlichen Stellung – von ihren Gefühlen ganz zu schweigen. Nicholas Boyles Goethe Biographie ist auf drei Bände geplant, die ersten beiden Bände erschienen 1991 und 2000. Den dritten Band hat er immer noch nicht fertig. Ob ich den Band noch zu lesen bekomme?

Hier hat Goethe gerade die Familie des elsässischen Pfarrers Brion kennengelernt, und da kommt sie zur Tür herein. Blond und schlank, Goethe ist hin und weg: In diesem Augenblick trat sie wirklich in die Türe; und da ging fürwahr an diesem ländlichen Himmel ein allerliebster Stern auf. […] Schlank und leicht, als wenn sie nichts an sich zu tragen hätte, schritt sie, und beinahe schien für die gewaltigen blonden Zöpfe des niedlichen Köpfchens der Hals zu zart. Aus heiteren blauen Augen blickte sie sehr deutlich umher, und das artige Stumpfnäschen forschte so frei in die Luft, als wenn es in der Welt keine Sorge geben könnte; der Strohhut hing am Arm, und so hatte ich das Vergnügen, sie beim ersten Blick auf einmal in ihrer ganzen Anmut und Lieblichkeit zu sehn und zu erkennen.

Theo Stemmler sagt in einem Interview dazu: Ich will mal so sagen: Goethe war ein Augenmensch. Deshalb darf ich das Visuelle erstmal in den Vordergrund stellen. Er besucht die Familie des Landpfarrers Brion, eines Freundes von Weyland, und spannend ist der Auftritt dann der Familie. Sukzessive treten wie auf einer Bühne auf: Der Vater, die Mutter, die ältere Schwester – später kommt auch der junge Sohn, der Christian, hinzu. So. Aber Spannung geriert er, nochmals – wie in einem Theaterstück, indem er ganz zum Schluss erst Friederike auftreten lässt, und das ist schon grandios, der Eindruck, den er vermittelt. Visuell. Sie ist ein überirdisch schönes Wesen. Ich sage es ein bisschen sarkastisch auch in meinem Buch: streng deutsch. Lange blonde Zöpfe, blaue Augen und so weiter. 

Theo Stemmler ist ein emeritierter Anglistikprofessor, der gerade das Buch Goethe und Friederike. Wahrheit und Dichtung veröffentlicht hat. Er war schon mal hier in diesem Blog, weil er auch ein Buch über Tennis geschrieben hat. Er hat witzige Dinge geschrieben, auch eine Geschichte des Fußballspiels. Jetzt nimmt er sich die Liebesaffaire des einundzwanzigjährigen Jurastudenten Goethe noch einmal vor: Von den zahllosen Interpretationen, Analysen und so weiter, wollte ich Goethe befreien, zurück zu den Originaltexten, die wir ja zur Verfügung haben. Wir haben seine Briefe. Wir haben seine Gedichte, wir haben ‚Dichtung und Wahrheit‘, wir haben Dokumente. Also mit anderen Worten: Ich wollte einfach Goethe mal sozusagen nackt präsentieren, fern von aller philologischen Ausdeutung

Gab es Sex? Nein, sagt der Psychoanalytiker Kurt Eisler in seiner 1.538 Seiten langen Studie Goethe: Eine psycholanalytische Studie zu dem Thema: Wenn Goethe in späteren Jahren absichtlich oder unabsichtlich den Mythos seiner ausgiebigen genitalen Erfahrungen kultivierte, muß er über etwas in seinem Sexualleben tief beschämt gewesen sein. Erst im Alter von neununddreißig Jahren hätte Goethe in Italien richtigen Sex gehabt. Wie immer die Liebesaffaire in der Wirklichkeit war, Friedrike hat ihn zum Dichten gebracht: Unter diesen Umgebungen trat unversehens die Lust, zu dichten, die ich lange nicht gefühlt hatte, wieder hervor. Ich legte für Friederiken manche Lieder bekannten Melodien unter. Sie hätten ein artiges Bändchen gegeben; wenige davon sind übriggeblieben, man wird sie leicht aus meinen übrigen herausfinden. Das sind die Gedichte, die man heute die Sesenheimer Lieder nennt. Und eins davon, Willkommen und Abschied, gibt es heute hier:

Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferde!
Es war getan fast eh gedacht.
Der Abend wiegte schon die Erde,
Und an den Bergen hing die Nacht;
Schon stand im Nebelkleid die Eiche,
Ein aufgetürmter Riese, da,
Wo Finsternis aus dem Gesträuche
Mit hundert schwarzen Augen sah.

Der Mond von einem Wolkenhügel
Sah kläglich aus dem Duft hervor,
Die Winde schwangen leise Flügel,
Umsausten schauerlich mein Ohr;
Die Nacht schuf tausend Ungeheuer,
Doch frisch und fröhlich war mein Mut:
In meinen Adern welches Feuer!
In meinem Herzen welche Glut!

Dich sah ich, und die milde Freude
Floß von dem süßen Blick auf mich;
Ganz war mein Herz an deiner Seite
Und jeder Atemzug für dich.
Ein rosenfarbnes Frühlingswetter
Umgab das liebliche Gesicht,
Und Zärtlichkeit für mich – ihr Götter!
Ich hofft es, ich verdient es nicht!

Doch ach, schon mit der Morgensonne
Verengt der Abschied mir das Herz:
In deinen Küssen welche Wonne!
In deinem Auge welcher Schmerz!
Ich ging, du standst und sahst zur Erden,
Und sahst mir nach mit nassem Blick:
Und doch, welch Glück! geliebt zu werden!
Und lieben, Götter, welch ein Glück!

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