Manchmal schwänzten mein Vater und ich sonntags die Kirche. Dann spielte er mit seinem Schachclub in kleinen Kneipen rund um den Ort, in Grohn, Aumund oder Blumenthal. Ich durfte mir immer eine Sinalco vom Wirt holen. Es war ein bisschen langweilig in den Kneipen, aber nicht so langweilig wie Kirche. Ich beobachtete die Spieler, wartete darauf, dass sie mit der Handfläche auf die Schachuhr schlugen. Ich lernte, wie man die Figuren auf das Brett stellt. Helmut Schmidt und Per Steinbrück wussten das für ein Pressephoto nicht, das sie beim Schachspiel zeigt. Ich lernte nicht nur, die Figuren richtig aufzustellen, mein Vater brachte mir mit den Jahren peu à peu das Schachspiel bei. Ich lernte, was eine Rochade und eine Bauernumwandlung ist; und was es bedeutet, einen Bauern en passant zu schlagen. Wir spielten jahrelang, ich habe ihn nur einmal geschlagen. Aber ich glaube, er hat mich gewinnen lassen. Mein Bruder hat meinen Vater zweimal geschlagen, aber der übte zu Hause mit einem Schachcomputer. Der hieß Mephisto, aber es gab auch einen, der Deep Blue hieß. Doch den konnte man nicht kaufen.
Viele Schriftsteller haben das Schachspiel in die Literatur gebracht, da fällt uns natürlich sofort Zweigs Schachnovelle ein. Aber das Spiel findet sich auch in Alice in Wonderland. Und wir finden es immer wieder bei Raymond Chandler. So zum Beispiel in The High Window:
It was night. I went home and put my old house clothes on and set the chessmen out and mixed a drink and played over another Capablanca. It went forty-nine moves. Beautiful and remorseless chess, almost creepy in its silent implacability. When it was done I listened at the open window for a while and smelled the night. Then I carried my glass out to the kitchen, and rinsed it and filled it with ice water and stood at the sink sipping it and looking at my face in the mirror.
'You and Capablanca,' I said.
It was night. I went home and put my old house clothes on and set the chessmen out and mixed a drink and played over another Capablanca. It went forty-nine moves. Beautiful and remorseless chess, almost creepy in its silent implacability. When it was done I listened at the open window for a while and smelled the night. Then I carried my glass out to the kitchen, and rinsed it and filled it with ice water and stood at the sink sipping it and looking at my face in the mirror.
'You and Capablanca,' I said.
Oder in The Big Sleep:
I set out the chess-board. I filled a pipe, paraded the chessmen and inspected them for French shaves and loose buttons, and played a championship tournament game between Gortchakoff and Meninkin, seventy-two moves to a draw, a price specimen of the irresistible force meeting the immovable object, a battle without armor, a war without blood, and as elaborate a waste of human intelligence as you could find anywhere outside an advertising agency.
Dass ich heute zufällig ein Gedicht zum Thema Schach habe, verdanke ich einem Geburtstagsgeschenk, einem Band aus der Reihe des Lyrikmagazins Dreizehn Gedichte. Und da fand ich das Gedicht deep blue (*1997) von Anja Kampman:
vielleicht weil man noch glaubte
an den ozean und seine alte kraft
oder die strömung des pazifiks
wie sie weitergeht von land zu land
der große geist und die bewegung
eines hirns
deep blue vielleicht nicht gerad bewusstsein
doch etwas rechnete hier spielte
schach kasparov unser held
wie war dir wohl als du verlorst
beim sechsten spiel und gegen welche
kraft? teichpumpe
gegen ozean die geisteskraft
des menschen seele, ha
was denkst du welches blau
wir heute sehen?
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