Mittwoch, 12. Februar 2025

Chronometer

Die Observatorien von Neuchâtel, Genf und Kew, die seit dem 18. Jahrhundert bestanden, haben neben dem Beobachten von Sternen auch Uhren getestet. Spätestens als John Harrison dem Board of Longitude die erste genaue Uhr der Welt lieferte (die Larcum Kendall nachbaute), wussten sie, dass sie in der Zukunft nicht nur Sterne beobachten würden. England brauchte genau gehende Marinechronometer, um die Seeherrschaft zu gewinnen. Das Britannia rule the waves verdankt England seinen Uhrmachern. Zuerst kamen nur Taschenuhren zur Prüfung, die als Marinechronometer bei der Flotte Einsatz fanden. Die hatten noch keine Ankerhemmung, die die Uhren heute haben, die hatten eine Chronometerhemmung. Wie diese Hemmung funktioniert, können Sie hier im Modell sehen. Nach den Uhren mit Chronometerhemmung kamen die sogenannten Halb-Chronometer. Das waren Uhren mit Schweizer Ankerhemmung und einer sehr großen Kompensationsunruhe, die in verschiedenen Lagen feingestellt waren. Der Begriff half-chronometer taucht in der Mitte des 19. Jahrhunderts auf.

In Deutschland wurden die Marinechronometer bei der 1874 gegründeten Deutschen Seewarte in Hamburg geprüft. Hier lieferten die Chronometermacher aus HamburgGlashütte und →Kiel ihre Uhren zur Prüfung an. Was die Firmen für die Prüfung einreichten, sah häufig nicht wie eine normale Uhr aus. Dies ist ein Movado Marinechronometer, der 1927 die höchste Genauigkeit erreichte. Werte, die meine beiden Movados nie erreichen werden, weder die 28-steinige Kingmatic noch der goldene alte Movado Celestograph.

Die Prüfung für Armbanduhren war für die Sternwarten lange Zeit kein Thema. Zwar ließen seit den 1920er Jahren immer wieder einzelne Hersteller, wie zum Beispiel Rolex, Einzelstücke und kleine Mengen von Uhren zu Werbezwecken testen, aber die umkämpften jährlichen Genauigkeitswettbewerbe in Neuchâtel begannen erst 1945. Zu diesen Wettbewerben reichten die Firmen nur kleine Zahlen von Uhren ein, häufig immer wieder dasselbe Werk. Max Studer, der Regleur und Technische Direktor von Patek hat diese Uhren einmal als hochgezüchtete Formel 1 Renner bezeichnet. Das war die große Zeit von Omega mit ihrem Omega 30 T2 und Zenith mit dem Kaliber 135, die belegten immer die ersten Plätze. Rolex war da nie zu sehen, Hans Wilsdorf war beleidigt und stieg aus den Wettbewerben aus. Sagte, dass er nur noch in Kew prüfen lassen würde. Solche in Kew geprüfte Uhren hat es zwar gegeben, aber es waren in den meisten Fällen Einzelstücke.

Die Wettbewerbe in Neuchâtel fanden 1968, kaum dass sie bgonnen hatten, ein Ende, niemand weiß so Recht warum. Es wurde geargwöhnt, dass die Schweiz befürchtete, dass Seiko, die ab 1963 an den Wettbewerben teilnahmen, die ersten Plätze einnehmen würde. 1965 hatten drei Seiko Werke den Titel Chronometer bekommen, es reichte nur für den 114. Rang. Allerdings konnte Daini Seikosha einen sechsten Platz in der Gesamtwertung aller Hersteller erringen. 1966 qualifizierten sich 32 Seiko Werke, von denen das beste auf Rang neun kam. Daini Seikosha belegte in der Herstellerwertung den dritten Platz. Ein Jahr später waren Daini Seikosha und Suwa Seikosha mit ihren Uhren auf den Plätzen zwei und drei. Dass sich die Schweiz jetzt vor den Japanern fürchtete, was nur berechtigt. Aber wahrscheinlich lag der Abbruch an einem anderen Grund. Und das waren die Quarzuhren, die man zugelassen hatte, die natürlich jeden mechanischen Chronometer schlagen würden. Einen solchen Wettbewerb führen zu wollen, hieße Äpfel mit Birnen zu vergleichen.
 
Die Japaner reisten nicht ab, sie glaubten an das per aspera ad astra. Und wechselten von Neuchâtel nach Genf, wo immer noch Chronometerwettbewerbe stattfanden. Die eigentlich nur für in Genf ansässige Firmen vorgesehen waren. Die kleine Sternwarte auf dem Rücken der Omega Constellation zeigt die Genfer Sternwarte, weil Omega damals eine Niederlassung in Genf hatte. Deshalb konnten sie auch eine Modell Geneve herausbringen. Wie Seiko es geschafft hat, in Genf zugelassen zu werden, weiß ich nicht. Aber der Wechsel von Neuchâtel nach Genf war eine gute Entscheidung, denn die Uhrmacherin Kyoko Nakayama wurde für das Werk, das sie einreguliert hatte, ausgezeichnet. Sie war die erste Frau, die an einem Schweizer Observatorium eine solche Auszeichnung erhalten hatte. Es war bisher eine Männerwelt gewesen, in der Regleure wie Alfred Jaccard (Omega), Ephrem Jobin (Zenith) und André Zibach  (Patek) einen Starstatus hatten. Nun sind auch Frauen dabei. Das japanische Arbeitsministerium verlieh Kyoko Nakayama 1971 den Titel Great Craftsperson in the Present World. Ihre Firma schenkte ihr eine Grand Seiko 62GS. Das fünfeckige Kaliber R-67 Uhrwerk, das sie 1968 einreguliert hatte, und all ihre Werkzeuge, mit denen sie gearbeitet hatte, sind heute im Seiko Museum zu besichtigen.

1968 war auch ein gutes Jahr für Daini Seikosha, die ihr neu entwickeltes Handaufzugswerk Kaliber 4500 (ein Verwandter des Kalibers 54 der Cronos) nach Genf brachten. Zwar erreichte ein Drittel der Uhren nicht die Bedingungen, aber der Rest bekam ein Zertifikat. Die Uhren wurden in Japan in Goldgehäuse eingeschalt und hatten Astronomical Chronometer Officially Certified auf dem Zifferblatt. Astronomisch war auch ihr Preis, die Uhren kosteten ein Mehrfaches einer Grand Seiko. Das Wort astronomisch stand deshalb auf der Uhr, weil Neuchâtel damals den Namen Observatoire Astronomique et Chronometrique de Neuchâtel führte. Die Uhren, die die Chronometernorm verfehlten, waren allerdings in Japan in hauseigenen Tests genau gegangen. Was war passiert? Wahrscheinlich hatten sich auf der langen Flugreise die Unruhspiralen magnetisiert, dieses Risiko bestand sogar bei den Nivarox Spiralen immer. Bei den neuen Nivachron Spiralen soll eine Magnetisierung ausgeschlossen sein. 

In dem Konkurrenzkampf der Seiko Töchter hatte jetzt Daini Seikosha die Nase vorn. Das begann mit der King Seiko 44-9990, die viele Sammler heute für die schönste und beste Seiko halten. Daini nahm dieses Werk als Basis und erhöhte die Zahl der Halbschwingungen der Unruhe auf 36.000. Normalerweise haben Schnellschwinger eine ganz kleine Unruhe, aber Daini behielt die Größe der Unruhe des Kalibers 44 bei und setzte stattdessen auf eine enorm starke Feder. Fachleute empfehlen dem Sammler daher, die Uhr nicht ganz aufzuziehen. Bei Schnellschwingern, die mit einem speziellen Öl versehen sind, besteht immer die Gefahr, dass die Federkraft Zacken aus den Zahnrädern heraushaut.

Daini Seikosha baute dieses Werk von 1968 bis 1974, es war das letzte Handaufzugswerk der Firma. Es war auch das letzte Werk der Firma, das von Hand gebaut worden war, danach kam die Automatisierung der Herstellung. Das Werk fand sich nicht nur in der King Seiko, sondern auch in der Grand Seiko 45GS. Das Werk gab es in verschiedenen Qualitätsstufen, manche hatten Chronometer oder VFA (Very Fine Adjusted) auf dem Zifferblatt. Da, wo Chronometer draufsteht, ist nach fünfzig Jahren auch noch Chronometer drin. Meine 45KS, die hier schon im Januar auftaucht, würde heute noch so ein Bulletin de Marche bekommen.

Ich sah die Uhr bei kleinanzeigen, wo sich manchmal interessante Uhren finden. Der Preis für die wirklich seltene Uhr war fair, aber ich wollte sie nicht kaufen. Ich schrieb aber den Verkäufer an und gab ihm die Adresse meines Uhrenblogs, in dem schon viele Seikos waren. Der Blog gefiel ihm, und wir kamen ins Gespräch. Ich wollte den Seiko Chronometer immer noch nicht kaufen, er war teurer als mein Zenith Chronometer oder der Eterna Chronometer. Ich hatte mir eine Obergrenze gesetzt, und ich wollte ja auch keine Uhren mehr kaufen. Der nette Verkäufer sah mein Dilemma. Und er machte etwas Erstaunliches, er setzte den Preis, der eigentlich schon viel zu niedrig für diese Seiko in einem erstklassigen Zustand war, noch einmal herunter.

Den Preis hätte er niemand anderem gemacht, aber nachdem er sich durch den halben Uhrenblog gelesen und auch SILVAE nicht ausgelassen hatte, wusste er, dass sie Uhr in guten Händen war. Das mit den guten Händen sagen sie bei dem blöden Horst Lichter auch immer, und wir wissen, dass es eine Lügenfloskel ist. Nirgends wird über Uhren so gelogen und soviel Unsinn erzählt wie bei Lichter. Die 45KS hat natürlich noch ein Goldplättchen auf dem Boden, manche von den späteren 45KS haben das nicht mehr. Die Uhr ist jetzt an einem hellgrünen Krokoband von Cornelius Kaufmann, das habe ich mal billig vor Jahrzehnten von einem Händler bekommen. Bei dem Preis, den ich damals für eine Handvoll Bänder der Premium Kollektion (Swiss Made) bezahlt habe, vermute ich immer noch, dass die von einem Lastwagen gefallen waren. Ich bin dem Marcel dankbar, dass ich diese Uhr gekriegt habe, die es außerhalb Japans kaum geben wird. Er ist schon ein klein wenig traurig, dass er die Uhr verkauft hat, aber es tröstet ihn, dass sie jetzt wirklich in guten Händen ist. 

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