Sonntag, 28. Oktober 2018

KI


Wenn man eine unbegrenze Zahl von Affen an eine unbegrenzte Zahl von Schreibmaschinen setzt und ihnen unbegrenzte Zeit gibt, werden sie alle Werke der Weltliteratur produzieren. Wenn Ihnen das jetzt total bescheuert vorkommt, es ist ein Theorem, das den Namen infinite monkey theory trägt. Am besten wird das durch den amerikanischen Comedian Bob Newhart (dem wir auch die wunderbare Nummer Bringing Tobacco to Cilization verdanken) verdeutlicht. Er demonstriert die Sache mit den Affen hier sehr schön.

Ich bekam die Tage eine Mail von meinem Freund Peter in Hamburg: was war noch mal die frage? die frage ist doch wohl: wie werden wir die KI wieder los ( der zauberlehrling laesst gruessen ), bevor wir unsere muendigkeit vollstaendig verloren haben: verantwortung delegiert an jenes pack aus dem valley in ihren hoodies, t-shirts und ihren luegen: die brauchen wir nicht, nichts davon- kein navi, niemand ist entsetzt ueber die ahnungslosigkeit der smartphonewischer. Die Sache mit dem Pack der hoodies in Silicon Valley gefällt mir besonders gut. Wir zitiern mal eben aus gegebenem Anlass Rilkes Alles Erworbne bedroht die Maschine, solange sie sich erdreistet, im Geist, statt im Gehorchen, zu sein.

Nun ist gerade ein Gemälde bei Christie’s versteigert worden. Hat den Namen Edmond de Belamy und wurde aus einem Datensatz aus 15.000 Porträts, die zwischen dem 15. und 20. Jahrhundert gemalt wurden, von der Pariser Künstlergruppe Obvious computermäßig hergestellt. Der Schöpfer ist ein neuronales Netzwerk, das min G max D Ex[log(D(x))]+Ez[log(1-D(G(z)))] heißt. Den Namen wird man sich merken müssen. Das Bild brachte bei Christie’s in New York 432.500 US-Dollar. Wer kann so bescheuert sei, soviel Geld für dieses klägliche Machwerk zu bezahlen? Oder wäscht hier jemand Schwarzgeld?

Was mit Duchamps Pissoir (lesen Sie doch mal eben Marcel Duchamp), Andy Warhols Campbell Suppendosen, Jackson Pollock und Yves Klein begann und mit Beuys' Fettecke fortgesetzt wurde, findet in dem Portrait des fiktiven Edmond de Belamy ein vorläufiges Ende.

Freitag, 26. Oktober 2018

der heilige Doktor


Als ich vor Jahren über die Lebenserinnerungen der Fürstin Wolkonskaja schrieb, stieß ich auch auf einen Deutschen, der ähnlich wie die Fürstin nach Sibirien gegangen war. Der heilige Doktor von Moskau hat man ihn genannt. Die katholische Kirche ist nach hundertfünfzig Jahren dabei, den tiefgläubigen Arzt selig zu sprechen. Lew Kopelew hat seine Biographie geschrieben. Im Vorwort zu Kopelews Buch sagt Heinrich Böll: An Haass könnte man den Unterschied zwischen Gutmütigkeit (die in den meisten Fällen eine Komponente Faulheit hat) und Güte (die ruhelos ist und Tiefe voraussetzt) studieren. Die Rede ist von dem deutschen Arzt Friedrich Joseph Haass, der in Moskau als Arzt der Prominenz und als Armenarzt wirkt. Der Bundespräsident Johannes Rau (der bereits 1954 über Haass einen Aufsatz verfaßte) schrieb zu dessen 150. Todestag: Damals hatte sein hundertster Todestag im Jahre 1953 in Deutschland wenig Beachtung gefunden. Wir hatten diesen großartigen Arzt und Gefängnisreformator vergessen – zu Unrecht vergessen.

Dr Haass (hier mit dem roten Wladimirorden) kam im Gefolge russischer Adliger nach Moskau und wurde als Fjodor Petrowitsch Gaas von der russischen Zarin 1807 zum Chefarzt der renommierten Pawlowskaja Klinik ernannt. 1812 arbeitet er als Chirurg in der russischen Armee, die Napoleon über die Beresina treibt. Tolstoi, dessen Gattin Haass gekannt, hätte ihn in Krieg und Frieden hineinschreiben können. Dostojewski hat den Mann, für den auch Gefangene Gottes Geschöpfe sind, in Der Idiot verewigt: Alle Verbrecher standen bei ihm auf der gleichen Stufe, einen Unterschied gab es für ihn nicht. Er sprach mit ihnen wie mit Brüdern, sie aber betrachteten ihn schließlich als ihren Vater. Ab 1814 wird er eine Privatpraxis für die Moskauer Aristokratie unterhalten (wird aber auch die Armen versorgen). Wenn er 1828 zum Mitglied des Moskauer Gefängnisschutzkomitees ernannt wird, wird er seine Stelle als Stadtphysikus aufgeben und sich die nächsten 25 Jahre lang der Fürsorge um die Gefangenen widmen, vor allem der, die nach Sibirien verbannt worden waren.

Von den 121 Dekabristen in Sibirien werden nur 50 am Leben bleiben. Sie werden nach 25 bis 30 Jahren amnestiert oder auf ihre Güter verbannt werden. Dr Haass wird sich um viele von ihnen kümmern, wird mit ständigen Eingaben an Nikokaus I eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse zu erreichen versuchen. Man wird die Dekabristen nicht vergessen, sie dürfen eine Korrespondenz mit ihren Familien unterhalten. Und russische Dichter werden sie besingen. So der Dichter Nikolaj Alexejewitsch Nekrasow, der die Fürstin Trubezkaja in seinem berühmten Gedicht Russische Frauen besingt.

Die Fürstin Wolkonskaja war nicht die einzige Ehefrau eines der verurteilten Dekabristen, die ihrem Gatten nach Sibirien folgt, elf Frauen werden das auch tun. Die erste war die Fürstin Trubezkaja (deren Mann einer der Anführer des Austand war), die mit der Wolkonskaja in dieser Hütte wohnen wird. Trotz der bescheidenen Verhältnisse wird das hier zu einem Zentrum des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens von Irkutsk werden.

Am Ende seines Lebens wird der gute Doktor sein ganzes Vermögen geopfert haben. Der Staat bezahlt seine Beerdigung, zu der 20.000 Menschen kommen werden. Sein Grab in Moskau wird immer noch geschmückt. Ich hätte heute zum Schluss noch ein kleines Schmankerl, das Drehbuch zu einem Film oder einem TV Zweiteiler von Paul Mommertz. Der Autor war von der Bayerischen Filmförderung gefördert worden, das Skript fand allerdings aus Kostengründen keinen Produzenten. Sie können es hier lesen.

Samstag, 20. Oktober 2018

Tous les garçons et les filles de mon âge


Ach, da bin ich arte richtig dankbar, dass sie gestern das Portrait von Françoise Hardy sendeten (hier bis zum 25. Oktober noch zu sehen, sonst noch hier). Pure Sixties Nostagie. Ihr Ehemann Jacques Dutronc, die Mode Ikone der Zeit, war auch zu sehen. Françoise hat sich einwandfrei besser gehalten als Jacques Dutronc. Ich habe immer noch meine alten Françoise Hardy Platten, man sollte zu seiner Vergangenheit stehen. Und sie ist in diesem Blog schon mehrfach erwähnt worden. Klicken Sie doch einfach einmal die Posts Élysée Vertrag, Dahlia Lavy und Chanson an. So ein wenig Nostalgie an einem trüben Tag wie diesem richtig guttun. Fangen Sie doch mit Tous les garçons et les filles de mon âge an.


Freitag, 19. Oktober 2018

Erbsensuppe


Die kennen wir alle. Ob Mutti sie zu Hause gemacht hat, ob sie in der Kantine oder der Mensa serviert wird, oder ob man einem in einem Bundeswehrmanöver eine Kelle davon in den Henkelmann knallt. Oder die preiswerte Erbsensuppe bei Aschinger, wo man so viele Schrippen dazu essen konnte, wie man wollte. Die seltsamste Erbsensuppe, die ich je aß, wurde nach der Vernissage der Bilder eines jungen Künstlers serviert. Mein Professor, bei dem ich damals arbeitete, war, vom Johannistrieb übermannt, zu einer Society Dame gezogen. Hatte Frau und Kinder und das Haus verlassen und lebte jetzt in der Schickeria Welt. Da, wo man ein Schwimmbad im Keller hat und einen Porsche und einen Jaguar vor der Tür. Die Dame förderte auch junge Künstler, und heute war ein Maler mit seinen Bildern zu Gast, der einmal ein Schüler von Harald Duwe gewesen war. Dem gefiel die ganze Gesellschaft nicht. Ich kann dieses Pack nicht ausstehen, flüsterte er mir zu, ich verpiss mich.

Dazu kam es allerdings nicht, da gerade das Highlight des Abends serviert werden sollte: eine von einem Spitzenkoch zubereitete Erbensuppe. Die erwies sich als eine klare Brühe, in der vereinzelte Erbsen schwammen. Ich zählte siebzehn auf meinem Teller. Erstaunlich, was sogenannte Spitzenköche aus der guten alten Erbsensuppe machen können. Und da hat offensichtlich jeder sein eigenes Rezept. Tim Mälzer kippt da noch Weißwein und Pernod hinein. Da wäre man mit der Erbswurst, die sich seit dem Krieg 1870/71 als eiserne Ration der preußischen Armee hält, besser dran gewesen. Mit Erascos Erbenseintopf auch.

Ich bin auf das Thema Erbsensuppe gekommen, weil ich letztens in einem Roman auf das Thema stieß. Es war Nicolas Freelings Krimi Double-Barrel. Ich hatte den aus dem Regal genommen, als ich den Post Peepshow schrieb und aus irgendeinem Grund nicht zurückgestellt. Jetzt las ich ihn noch einmal. Freelings Romane kann man immer ein zweites und ein drittes Mal lesen. In dem Roman kocht van der Valks französische Gattin Arlette ihre berühmte Erbsensuppe. Zum Entsetzen des Gemüsehändlers tut sie Karotten hinein, Französinnen wissen eben nicht, wie man eine holländische Erbsensuppe kocht. Denn die holländische Erwtensoep muss lange kochen, bis dass der Löffel darin steht. Arlettes Erbsensuppe ist nach zwei Tagen fertig und schmeckt Piet van der Valk köstlich.

Wenn jemand wie Nicolas Freeling (der hier einen ausführlichen Post hat) Küche und Kochen in seinen Romanen erwähnt, dann kann das nicht verwundern, schließlich war er Koch, bevor er zu schreiben begann. Seine Autobiograpie hat den Titel The Kitchen and the cook, und ein Kochbuch hat er auch geschrieben. Ähnlich ist es bei Len Deighton, dessen Mutter Köchin war und der jahrelang der Restaurantkritiker des Observer war. Und Kochbücher schrieb und illustrierte. Während der Dreharbeiten zu Ipcress hat er Michael Caine beigebracht, wie man ein Omelett zubereitet.

Diese beiden Autoren sind sicherlich Ausnahmen, allerdings finden wir die Erbsensuppe an den erstaunlichsten Stellen. Seit Aristophanes sie in Die Vögel hineinschrieb, gehört sie zur Literatur. Insbesonders zu einer neuen Romanform, die sich Gourmet Krimis nennt. Und da finden wir eine uns bekannte Autorin Maj Sjöwall, die wir aus den Zeiten kennen, als sie mit Per Wahlöö diese wunderbaren Romane schrieb. Mit denen die Verfilmungen so gar nichts zu tun haben. Sjöwall hat einen kleinen 70-seitigen Krimi geschrieben, der Erbsensuppe flambiert heißt. Guten Appetit.

Mittwoch, 17. Oktober 2018

Put the Blame on Mame


Heute wäre sie hundert Jahre alt geworden, aber sie ist schon seit dreißig Jahren tot. Natürlich war die Hollywood Göttin schon in diesem Blog. Lesen Sie dazu doch Gilda, Rita Hayworth und Zweiter Klasse. Dieses Photo hält den Rekord, das meistverbreite Pin-Up Photo des Zweiten Weltkriegs zu sein. Ich suchte für den heutigen Tag ein schönes Rita Hayworth Gedicht, wurde aber nicht so recht fündig. Da nahm ich Put the Blame on Mame Rita Hayworth in Gilda (1946) von Myra Litton. Und zu diesem Gedicht habe ich natürlich auch die passende Filmszene parat.

There was never quite a dame as hot as Rita in Put the Blame on Mame
Gilda with luscious red locks
And strapless slit dress
We can imagine her while dancing in a state of undress -but I digress
Hair wanton and free expressing sexuality
In ample quantity
Gilda/Rita undulating to jazzy accompaniment in sultry climes
A time capsule of those forties’ times
Gilda grinds to the beat
In real life she liked the bottle and often drank neat
She adorned wartime fighter planes, married Orson Welles
Lived a life insane
Throwing her hair back, quite a gal
Gilda/Rita you were the ultimate femme fatale

Sonntag, 14. Oktober 2018

Pfauen


Heute ist die Frankfurter Buchmesse für jedermann geöffnet, dann ist wieder alles vorbei. Die Leute kaufen weniger Bücher, das kennen wir schon. Es können auch immer weniger lesen, wissen wir auch schon. Vielleicht ist es an der Zeit, einmal ein Buch zu empfehlen, dass jedermann lesen kann. Jede Frau auch. Ist keine Weltliteratur, ist aber sehr vergnüglich. Die Hauptrolle in dem Roman spielt ein Pfau, der auch den Titel für den Debütroman der Übersetzerin Isabel Bogdan liefert:

In einem Anfall von Übermut hatte Lord McIntosh eines Tages fünf Pfauen erworben, drei Weibchen und zwei Männchen; er stellte es sich hübsch vor, wenn die Männchen auf der riesigen Rasenfläche vor dem Wohnhaus umherstolzierten und Räder schlugen. Die weniger hübschen Weibchen sollten sich dezent im Hintergrund halten und den Männchen unauffällig überhaupt erst einen Grund liefern, miteinander zu wetteifern und Räder zu schlagen. 

Die Realität wird jetzt etwas anders aussehen, als sich Lord McKintosh das vorgestellt hat: Einer der Pfauen war verrückt geworden. Vielleicht sah er auch nur schlecht, jedenfalls hielt er mit einem Mal alles, was blau war und glänzte, für Konkurrenz auf dem Heiratsmarkt. Nun gab es oben in dem kleinen Tal am Fuße der Highlands glücklicherweise kaum Dinge, die blau waren und glänzten. Es gab Wiesen und Weiden und Bäume und überhaupt viel Grün, und es gab die Heide. Und jede Menge Schafe. Das einzige blau Glänzende, was sich gelegentlich hierher verirrte, waren die Autos von Feriengästen. Lord und Lady McIntosh hatten die ehemaligen Wirtschaftsgebäude, Scheunen und alles, was sonst zu ihrem Anwesen gehörte und sich dafür eignete, zu Feriencottages umbauen lassen, damit der alte Kasten das Geld, das er verschlang, wenigstens halbwegs wieder hereinholte.

Ein schottisches Landhaus liefert die Theaterbühne, jetzt brauchen wir nur noch die Akteure: Lord und Lady McIntosh und die Gäste. Und natürlich die Pfauen. Was nun kommt ist ein wenig Fawlty Towers, ein wenig Evelyn Waugh und ein wenig P.G. Wodehouse. Wie gesagt, keine Weltliteratur. Aber immer amüsant. Und stilistisch gut geschrieben, mit feiner Ironie gewürzt. Ist etwas für Rekonvaleszenten, die im Bett liegen, für Leute, die am Strand liegen und einfach für zwischendurch. Auch diese Literatur gibt es. Glücklicherweise. Wenn Sie gerade Krieg und Frieden lesen und ein schlechtes Gewissen haben, trösten Sie sich mit Shaw, der gesagt hat: All normal people need both classics and trash.

Samstag, 13. Oktober 2018

Alice Neel


Es hat länger gedauert, die amerikanische Malerin, die am 13 Oktober 1984 starb, richtig zu entdecken. Aber im letzten Jahr war sie schon in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen. Alice Neel hat lange gebraucht, bis sie wirklich berühmt wurde und ihre Bilder auf dem Kunstmarkt honoriert wurden. Portraits von ihr bringen heute auf dem Markt zwischen dreistelligen und sechsstelligen Ergebnissen. Den Film der BBC kann ich Ihnen leider nicht anbieten.

Dafür habe ich aber einen lange interessanten Vortrag von Phoebe Hoban, der Autorin der Biographie Alice Neel: The Art of Not Sitting Pretty. Neel, die immer für die Rechte der Malerinnen eingetreten ist, hat lange gebraucht, bis sie künstlerisch ernstgenommen wurde. Dann hagelt es Einladungen, Interviews, Dokumentarfilme. Ihren in Kuba geformten Stil, der ein wenig nach José Clemente Orozco, Diego Rivera und Frida Kahlo schmeckt, hat sie nie aufgegeben.

In ihren letzten Jahren, die ihre größte Schaffensperiode sind, wird sie auch die Malerkollegen malen, die mit der modernen Kunst in den sechziger Jahren reich und berühmt geworden sind. Andy Warhol inklusive. Barry Walker hat sie one of the greatest portrait artists of the 20th century genannt. Bei Google Bilder finden Sie einen reichen Querschnitt aus ihrem Werk. Sie hat auch Gedichte (hier eine Auswahl) geschrieben. Dies hier handelt von Harlem, einem Stadtteil, dessen puertorikanische Einwohner sie immer wieder gemalt hat:

I love you Harlem
Your life your frequent
Women, your relief lines
Outside the bank, full
Of women who no dress
In Saks 5th Ave would
Fit, teeth missing, weary,
Out of shape, little black
Arms around their necks
Cling to their skirts
All the wear and worry
Of struggles on their faces
What a treasure of goodness
And life shambles
Thru the streets
Abandoned, despised,
Charged the most, given
The worst
I love you for electing
Marcaronio, and him for being what he is
And for the rich deep vein
Of human feeling buried
Under your fire engines
Your poverty and your loves