Donnerstag, 22. April 2010

Paris


Monsieur Haussmann, der sich manchmal Baron Haussmann nennt, ist von 1853 bis 1870 Präfekt von Paris, das damals noch das Département de la Seine ist, wie man unschwer auf der blauen Tafel da oben sehen kann. Monsieur Haussmann baut ganz Paris um. Monsieur Haussmann ist kein echter Baron, aber er ist Mitglied im Senat, und die dürfen sich so nennen. Hat Napoleon III verfügt, als er gerade Kaiser geworden war.

Vorher war er nur Präsident und hieß Louis Napoleon. Ja, das ist der, auf den Wilhelm Busch seine unsterblichen Verse Eins, zwei, drei, ich erzähl herum, der Louis ist Napolium gedichtet hat. Als das kleine Gedicht an Monsieur Haussmann von Charles Cros geschrieben wird, ist Haussmann nicht mehr Präfekt und Napoleon nicht mehr Kaiser. Der sitzt jetzt auf der Wilhelmshöhe in Kassel fest, weil die Deutschen den Krieg gewonnen haben, der siebzig-einundsiebzig heißt.

Ab nach Kassel, heißt es noch heute im Volksmund, das hat man ihm auf der Bahnfahrt zugerufen. In Kassel war vorher schon ein anderer Napoleon, sein Onkel Jérôme. Der war der König von Westphalen, und man nannte ihn König Lustik. Wenn der Louis klug gewesen wäre, dann wäre er in dem kleinen Schlösschen Arenenberg in der Schweiz geblieben, bei seiner liebenden Gattin Eugenie und hätte nicht immer Affären gehabt und Staatsstreiche versucht. In der Schweiz haben sie ihn immer geliebt, da braucht man nur die rührende Schrift Die Familie Bonaparte auf Arenenberg von dem Schlossverwalter Jakob Hugentobler zu lesen. Ich habe einmal in einem anderen Museum den halben Hausrat und viele Gemälde aus Arenenberg gesehen (wahrscheinlich wurde in der Schweiz neu gestrichen), das war sehr hübsch. Der Antoine-Jean Gros mit dem heroischen Napoleon auf der Brücke von Arcole war auch da, wenn auch nur in einer zeitgenössischen Kopie. Sah aber auch heroisch aus.

Wenn Napoleon und Haussmann nicht mehr an der Macht sind, bleibt aber noch das neugebaute Paris. Und die Erinnerungen an das alte Paris. Ein Photograph namens Charles Marville hat noch Teile vom alten Paris auf die photographische Glasplatte gebannt. Mit Photographie hat unser Dichter auch zu tun, er ist ein Erfinder und Tüftler. Er erfindet sozusagen die Farbphotographie und den Phonographen. Allerdings möchte er auch gerne einen riesigen Spiegel bauen, um den Marsmenschen mit reflektiertem Sonnenlicht Botschaften zukommen zu lassen. Unser Dichter Charles Cros ist nicht so bekannt geworden wie seine Freunde Rimbaud und Verlaine. Vielleicht nimmt er das Dichten nicht so ernst. Er hat auch sehr Witziges geschrieben und Nonsense Verse gedichtet. Aber mit seinem Gedicht, das À M. Haussmann heißt, da ist es ihm schon ernst:

La maison est démolie,
le petit nid est en l'air
Où j'eus ton cœur et ta chair,
Ma maitresse si jolie!...

Je vois toujours dans l'ouest clair
Cette comète abolie.
Tombez pierre, ciment, fer!
L'amour jamais ne s'oublie.

Démolissez les maisons,
Changez le cours des saisons,
Plongez-moi dans l'opulence.

Vous ne pourrez effacer
La trace de son baiser.
Le vrai c'est ce que je pense.

Die Wirklichkeit ist nicht das neue Paris von Haussmann, die Wirklichkeit ist das, was der Dichter denkt. Und wenn er an seine schöne Geliebte und ihre Küsse denkt, dann ist das die Wirklichkeit. Haussmann kann die Häuser demolieren, nicht die Erinnerung. Der Sternschnuppenstrom der Leoniden im November 1870 erscheint wie eine himmlische Illustration zu der Vernichtung des alten Paris. Charles Cros ist nicht sehr alt geworden, vielleicht war der Absinth daran schuld, das Modegetränk der französischen Künstler. Aber er hat uns noch einen Klassiker der Nonsense Dichtung hinterlassen, der Le hareng saur heißt. Edward Gorey, dem wir so schöne Titel wie Schorschi schrumpft und The recently deflowered girl verdanken, hat das Gedicht als The Salt Herring übersetzt und illustriert. Bei YouTube gibt es eine sehr komische Animation von Le hareng saur, die sollte man sich unbedingt ansehen.

Das Paris, das wir einmal erlebt haben (mit oder ohne Geliebte) ist immer Erinnerung, die man uns nicht nehmen kann, le vrai c'est ce que je pense. Wenn Sie jetzt ein klein wenig eines älteren Paris sehen wollen, dann schauen Sie sich auf www.dailymotion.com das Video von Snow Patrol Open Your Eyes an. Das ist der Kurzfilm C'ètait une rendez-vous, den Claude Lelouch 1976 morgens um halb sechs in Paris aus dem Auto heraus gedreht hat, zehn Minuten lang, ohne an einer roten Ampel anzuhalten. Eine Kamerafahrt ohne Schnitte. Atemberaubend. Er war allerdings hinterher seinen Führerschein los. Wenn Ihnen die Musik von Snow Patrol nicht gefällt, können Sie auch eine CD von Juliette Gréco oder Yves Montand dazu hören. Der Baron Haussmann sitzt jetzt bestimmt mit seinem Laptop auf einer Wolke und guckt sich das auch an. Der Boulevard, der nach ihm heißt, kommt aber im Film nicht vor.

Lesen Sie doch auch: Paris, Sommer 1959.

3 Kommentare:

  1. Wenn der Louis klug gewesen wäre, dann wäre er in dem kleinen Schlösschen Arenenberg in der Schweiz geblieben, ...

    Nur eine kleine Anmerkung: Louis Napoléon musste nach dem Tod seiner Mutter Hortense das Anwesen verkaufen an einen Herrn Keller aus Sachsen. Erst 1950 gelang der Rückkauf, zwischenzeitlich war er Kaiser. Ab 1855 wurde erst einmal renoviert und renoviert und ... so dass der scheinbar erste Besuch von Louis Napoléon erst im Jahre 1865 möglich war. Weitere Besuche von ihm sind nicht dokumentiert. Eugenie kam allerdings später regelmäßig mit ihrem Sohn vorbei.

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  2. Sie haben Recht, Arenenberg ist am 1. Juli 1843 an Carl Keller aus Glösa bei Chemnitz für 73.000 Reichsgulden verkauft worden. Schon vorher hatte Louis große Teile des Waldbesitzes verkauft, um seine gewagten Abenteuer, um an die Macht zu kommen, zu finanzieren. Wenn er seine Putschversuche nicht unternommen hätte, hätte er den Ort seiner Jugend nicht zu verkaufen brauchen. Sie haben auch darin Recht, dass er nach dem Rückkauf von Arenenberg 1855 (für 125.000) Franken erst 1865 dort wieder gewesen ist. Inkognito unter dem Namen Graf von Pierrefonds.

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  3. Ich bin beeindruckt, Jay. Diese Details von Kauf/Verkauf kannte ich bislang noch nicht. Danke.
    Und Danke auch für diesen großartigen Blog.

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