Mittwoch, 9. November 2011

Klavierkonzert


Heute vor 130 Jahren wurde das 2. Klavierkonzert von Johannes Brahms zum ersten Mal aufgeführt. Brahms hatte es bei der Uraufführung in Budapest selbst gespielt. Es ist sehr lang, beinahe fünfzig Minuten lang, es war eines der längsten Klavierkonzerte, die es damals gab. Es wurde ein großer Erfolg. Zweiundzwanzig Jahre zuvor hatte er sein erstes Klavierkonzert geschrieben, das nicht so erfolgreich war. Man kann eher von einem Misserfolg sprechen, der Brahms für lange Zeit davon abhielt, Orchesterwerke zu schreiben. Natürlich gibt es auch von dem d-Moll Konzert hervorragende Aufnahmen. Ich denke da an die spektakuläre vom 6. April 1962.

Da hatte es sich ➱Glenn Gould in den Kopf gesetzt, den ersten Satz, der Maestoso benannt ist, langsamer zu spielen, als man ihn gewöhnlich hört. Fünf Minuten langsamer. Was zu einem Streit zwischen ihm und dem Dirigenten führte. Der war kein Geringerer als Leonard Bernstein. Nachdem der zähneknirschend der Tempoveränderung zugestimmt hatte, konnte er es aber nicht lassen, sich mit einer Vorrede an das Publikum zu wenden. Sie begann mit dem Satz Don't be frightened. Mr. Gould is here. An dieser Stelle gab es das erste Gelächter im Publikum. Bernstein spielte darauf an, dass die Pianodiva Glenn Gould schon Konzerte hatte ausfallen lassen. Nicht so viele wie man glaubt, eigentlich war so etwas eher das Markenzeichen von ➱Arturo Benedetti Michelangeli. Bernstein fuhr dann fort (und ich gebe das Ganze doch einmal hier wörtlich wieder, weil es etwas so Außergewöhnliches war):

He will appear in a moment. I'm not, um, as you know, in the habit of speaking on any concert except the Thursday night previews, but a curious situation has arisen, which merits, I think, a word or two. You are about to hear a rather, shall we say, unorthodox performance of the Brahms D Minor Concerto, a performance distinctly different from any I've ever heard, or even dreamt of for that matter, in its remarkably broad tempi and its frequent departures from Brahms' dynamic indications. I cannot say I am in total agreement with Mr. Gould's conception and this raises the interesting question: "What am I doing conducting it?" I'm conducting it because Mr. Gould is so valid and serious an artist that I must take seriously anything he conceives in good faith and his conception is interesting enough so that I feel you should hear it, too.

But the age old question still remains: "In a concerto, who is the boss; the soloist or the conductor?" The answer is, of course, sometimes one, sometimes the other, depending on the people involved. But almost always, the two manage to get together by persuasion or charm or even threats to achieve a unified performance. I have only once before in my life had to submit to a soloist's wholly new and incompatible concept and that was the last time I accompanied Mr. Gould. But, but this time the discrepancies between our views are so great that I feel I must make this small disclaimer. Then why, to repeat the question, am I conducting it? Why do I not make a minor scandal — get a substitute soloist, or let an assistant conduct? Because I am fascinated, glad to have the chance for a new look at this much-played work; Because, what's more, there are moments in Mr. Gould's performance that emerge with astonishing freshness and conviction. Thirdly, because we can all learn something from this extraordinary artist, who is a thinking performer, and finally because there is in music what Dimitri Mitropoulos used to call "the sportive element", that factor of curiosity, adventure, experiment, and I can assure you that it has been an adventure this week collaborating with Mr. Gould on this Brahms concerto and it's in this spirit of adventure that we now present it to you.

Das war damals in New York eine Sensation, ein kleiner Skandal. Gould hatte sich natürlich etwas dabei gedacht. Er suchte durch das langsamere Tempo eine architectural clarity, weil er jetzt bestimmte Themen- und Musikblöcke besser strukturieren konnte. Was damals als controversial galt, lockt heute keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor. Krystian Zimerman spielt den ersten Satz genau so langsam wie Gould. Und Gerhard Oppitz (der bei Brahms immer eine gute Wahl ist, nicht nur weil er 2009 den Brahms Preis bekommen hat) ist bei seiner Münchener Aufnahme von 1993 nur unwesentlich schneller. Es gibt die Aufnahme mit Glenn Gould von 1962 heute bei  Sony, die Vorrede ist von Bernstein ist da auch mit drauf. Diese Aufnahme war lange nicht im Programm, weil sie nicht bei CBS erschienen war, deren Rechte Sony irgendwann übernommen hatte. Sie tauchte zuerst 1985 und 1986 auf seltsamen Labels auf, ich habe sie auf einer Nota Blue CD, die Leonard Bernstein in Concert heißt (die ich eigentlich wegen der Aufnahme von Coplands Billy the Kid Suite gekauft hatte). Abgesehen von der etwas mickrigen Aufnahmequalität (die auch bei Sony nicht besser ist) bleibt es immer noch eine hervorragenden Aufnahme des Klavierkonzerts No. 1.

Und wenn ich schon bei Kaufempfehlungen für die Klavierkonzerte von Brahms bin, ➱Claudio Arrau kann man natürlich immer empfehlen, Emil Gilels auf jeden Fall auch (und natürlich Gerhard Oppitz). Für das zweite Klavierkonzert gibt es für mich nur eine Aufnahme, und das ist die alte Decca Aufnahme mit Wilhelm Backhaus. Sie ist in der Reihe der Legendary Performances neu herausgebracht worden und kostet bei Amazon 6,97 (und ein Klavierkonzert von Mozart ist da auch noch mit drauf). Ich warte ja noch darauf, dass Ragna Schirmer sich auf die Klavierkonzerte stürzt, nachdem sie im letzten Jahre ja schon eine Brahms CD herausgebracht hat.


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