Sonntag, 15. Juli 2018

Seven Seas


Das hier ist die Seven Seas, 1940 als C-3 Frachter gebaut, aber dann gleich von der US Navy vereinnahmt, diente sie den verschiedensten Zwecken. Hier liegt sie in Rotterdam, und da will ich mit Ihnen hin. Es ist ein schöner Sommertag im Jahre 1962. Wir sind morgens in Egmond aufgebrochen, um meinen Freund Ekke Dahle zu begrüßen, der mit der Seven Seas in Rotterdam, dem größten Hafen der Welt, ankommen soll. Mein Klassenkamerad Claus Jäger war auch an Bord gewesen. Der ist später noch Bürgermeister von Bremen geworden, weil er mit seiner FDP einmal 10,2 Prozent der Wählerstimmen erreichte. Davon träumt die FDP noch heute.

Die Seven Seas hat nicht immer so ausgesehen wie im ersten Absatz, so sah sie 1941 aus, als sie zum Flugzeugträger umgebaut worden war (Sie können alles über die wirklich interessante Geschichte des Schiffes hier lesen). Die Seven Seas ist ein Beispiel dafür, dass der Satz Schwerter zu Pflugscharen wahr werden kann. Einst war sie bei der Schlacht von Guadalcanal dabei, dann war sie das beliebteste Auswandererschiff auf der Route Bremerhaven New York oder Montreal. Jetzt fährt sie für den AFS oder macht preiswerte Weltreisen für Studenten.

Zehn Tage war die Seven Seas unterwegs gewesen, von Montreal den St Lorenzstrom hinunter und dann über den Atlantik. Nun kommt sie pünktlich um elf in den Hafen, aber es dauert lange, bis all die Schüler, die mit dem American Field Service ein Jahr in Amerika waren, von Bord kommen. Der im Ersten Weltkrieg gegründete American Field Service organisiert jetzt den international Jugendaustausch. Der AFS, der die Seven Seas in dieser Zeit gerne chartert, ist nicht die einzige Organisation in den 50er und 60er Jahren, die den Austausch zwischen den einst verfeindeten Nationen fördert. Dank des Fulbright Programms hatten wir im Gymnasium die ersten drei Jahre einen amerikanischen Englischlehrer, Mr Manally aus Ripon, Wisconsin. Man könnte hier die Beispiele beliebig fortsetzen, auch das Versöhnung über Gräbern hat etwas mit dem Jugendaustausch der 50er Jahre zu tun.

Rotterdam besteht fünfzehn Jahre nach dem Krieg nur aus Neubauten, die Deutschen haben es im Zweiten Weltkrieg in Grund und Boden gebombt. Das hat uns im Geschichtsunterricht zuhause niemand erzählt, hier wird es jedem Besucher vor Augen geführt. In dem Roman Vryheit do ik ju openbar: Roman aus dem alten Bremen von Trude Wehe, der bei meiner Mutter auf dem Nachttisch liegt, steht neben dem Namen meiner Mutter der Zusatz Zum Andenken an Hans Bünte gefallen 1940 vor Rotterdam. Ich weiß nicht, was Hans Bünte meiner damals zwanzigjährigen Mutter bedeutet hat, er war knapp 25 Jahre alt, als er starb. Ob meine Mutter jetzt, während wir durch Rotterdam fahren,  an den Unteroffizier Hans Bünte vom Infanterieregiment 65 denkt, der hier 1940 starb?

Unser Hotel hat uns am Morgen Lunchpakete mitgegeben. Über die sich jetzt am Mittag die Eltern von Claus Jäger und Ekkes Vater hermachen, meine Mutter wird Albert Dahle das noch jahrzehntelang vorhalten: Albert, Du hast uns die ganzen Lunchpakete weggefressen. Dabei hatten Jägers das meiste verputzt. Die Mutter von Claus packt riesige Mengen Fisch aus, aber das ist nichts für mich, da streune ich lieber auf dem Kai der Holland Amerika Linie umher. Ich suche den Konny, der auch an Bord war, aber ich kann ihn nirgends finden (er steht links neben Ekke Dahle oben in der Bildmitte). Mein Vater würde ja gerne bei dem Fisch zugreifen, weil er ein leidenschaftlicher Fischesser ist. Aber er wird von meiner Mutter davon abgehalten. Sie wahrt zu den Jägers kühle Distanz.

Claus Vater ist Kapitän gewesen, bevor er in den dreißiger Jahren mit dem ambulanten Fischhandel angefangen hat, dann kam das Ladengeschäft. Ein renommiertes Geschäft. Aber das interessiert meine Mutter nicht. Ich weiß nicht, woher sie das hat, dass sie sich immer wie etwas Besseres vorkommt. Selbst wenn Claus Jäger (Bild) eines Tages Bremer Bürgermeister wird, für sie sind das immer noch die Leute mit dem Fischgeschäft. Die Bornierheit der Bremer Kleinstadtgesellschaft zeigt sich immer wieder in solchen Kleinigkeiten, meine Mutter ist da kein Ausnahmefall. Die sind alle so. Auch wenn sie nicht in der Weserstraße wohnen, wo jeder glaubt, dass er was Besseres ist.

Ich habe noch ein Photo von der Wiedersehensfeier, Ekkes Vater hat es mit einer seiner Leicas gemacht. Erstaunlich, wie bürgerlich ordentlich man damals im Urlaub ist. Ekke trägt einen braun-beigen Sommeranzug, ich einen blau-grau gestreiften Flanellblazer, Krawatte und ein Hemd mit rundem Kragen. Sowas hat nicht jeder. Mein Vater hat seinen hellgrauen Sommerzweireiher an, zu dem ihn sein Schneider überredet hat. Die Damen tragen Sommerkleider und elegante Handtaschen. Mein Bruder und Jörgi, die noch zu jung für Anzüge sind, tragen Pullover, aber sie haben saubere weiße Hemden darunter.

Ein Jahr, bevor Ekke, Claus und Konny nach Amerika gingen, hatte ich mich beim AFS beworben. Wurde interviewt und getestet und kam bei einem Auswahlgespräch unter die letzten zehn. Man nahm zwei, mich nicht. Es ist mir schon klar, dass ich für die Amerikaner, die in dem kleinen Glaskubus in der Contrescarpe von einem baumlangen Gunnery Sergeant bewacht wurden, zu frech war. Vielleicht lag es auch an meinem eleganten Westenanzug. Den muss ich erwähnen, weil er etwas mit dem Krieg zu tun hat. Alles heute hat in diesem Post mit dem Krieg zu tun: die Seven Seas, der AFS, die Stadt Rotterdam. Den Stoff zu dem Anzug hatte mein Vater am Strand von Dünkirchen im Gepäck eines englischen Offiziers gefunden, dem es wohl wichtiger war, auf ein Schiff nach England zu kommen, als diesen Stoff mitzunehmen. Mein Vater hat sich nach dem Krieg aus dem Pepitastoff einen Anzug machen lassen, zehn Jahre später erbte ich den, und Schneidermeister Anton Schiwal änderte ihn nach meinen Wünschen. Zur Tanzstunde war er fertig, Rückenschlitze und enge Hosenbeine. Habent sua fata libelli, Kleidung auch.

Ich war nicht traurig, dass das mit Amerika nicht geklappt hatte, amerikanische Kultur hatten wir hier im amerikanisch besetzten Bremen genug. Im nächsten Jahr hatte Mr Galatti vom AFS den Austausch mit Deutschland besser im Griff, da gab es nicht nur zwei Plätze für ganz Bremen, da gab es eine Handvoll Plätze allein für unsere Schule. Da hätte ich leicht einen Platz haben können. Aber ich wollte nicht mehr. Snobismus? Ich weiß nicht. Die entscheidenden Fragen waren eher: gibt es in Amerika irgendwo auf dem platten Land auch alle französischen Filme zu sehen? Und: wird die Frau mit den roten Haaren und den grünen Augen auch auf mich warten?

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