Montag, 6. April 2020

Petraca (ancora una volta)


Laura erschien meinen Augen zum ersten Mal in meiner ersten Jünglingszeit, im Jahre des Herrn 1327, am sechsten Tag des Monats April, in der Kirche der heiligen Klara zu Avignon ... Und in derselben Stadt, im gleichen Monat April, auch am sechsten Tag, zur gleichen Stunde, jedoch im Jahr 1348, ist dem Licht dieser Welt jenes Licht entzogen worden, schreibt Petrarca. Diese Begegnung hat etwas angerichtet. Für sein Leben und für die europäische Lyrik. Er fasst sein Erlebnis in Worte und schreibt Sonette:

Gepriesen sei der Tag, der Mond, das Jahr,
die Jahr- und Tageszeit, der Augenblick,
das schöne Land, der Ort, da mein Geschick
sich unterwarf ein schönes Augenpaar.


Gepriesen sei die erste süße Qual
der Strahlen ihres Blicks, die mich bezwangen,
die Pfeile Amors, die mein Herz durchdrangen,
die Herzenswunden tief und ohne Zahl.

Gepriesen sei’n die Stimmen, die im Leeren
verhallten, nach ihr rufend, dort und hier,
das Seufzen, Weinen, Bitten und Begehren,

gepriesen seien Feder und Papier,
die ihren Ruhm verkünden und die schweren
Gedanken, die ihr nah sind, einzig ihr.


Es bleibt nicht bei diesem Sonett, er schreibt viele andere. Sehr viele. Die von anderen Dichtern übersetzt, paraphrasiert und nachgeahmt werden. Die Blüte der englischen Lyrik zur Zeit von Elizabeth I, was wäre sie ohne Petrarca? Und das hört nie auf mit dem Imitieren von Petrarca. Von einer Pest des Petrarkismus spricht der berühmte Ernst Robert Curtius in seinem Buch Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Es ist ein Satz, der mir immer gefallen hat. Der Dichter war schon häufig in meinem Blog, ich nenne nur einmal die Posts Petrarca, ZähmungLaura und Mont Ventoux; und wenn Sie heute etwas Zeit haben sollten, weil Sie wegen der Coronakrise zuhause bleiben müssen, dann hätte ich noch etwas für Sie. Nämlich eine Seite, die man die ultimative Seite zu Petrarca, dem Petrarkismus und dem Anti-Petrakismus nennen könnte.

Das erste seiner Gedichte soll hier heute nicht fehlen:

Voi ch’ascoltate in rime sparse il suono
di quei sospiri ond’io nudriva ’l core
in su ’l mio primo giovenile errore,
quand’era in parte altr’uom da quel ch’i’ sono;

del vario stile, in ch’io piango et ragiono
fra le vane speranze e ’l van dolore,
ove sia chi per prova intenda amore,
spero trovar pietà, non che perdono.

Ma ben veggio or sì come al popol tutto
favola fui gran tempo, onde sovente
di me medesmo meco mi vergogno;

e del mio vaneggiar vergogna è ’l frutto,
e ’l pentersi, e ’l conoscer chiaramente
che quanto piace al mondo è breve sogno.

Ich habe dazu eine Übersetzung von Wilhelm Krigar aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.

Dies sind die Klagelieder meiner Liebe,
Mit denen mir gefiel mein Herz zu nähren,
Als ich den Jugendirrthum ließ gewähren,
Und die, jetzt andern Sinnes, nicht schriebe.

Wer selbst die Liebe kennt aus eignem Triebe,
Wird Widersprüche sich in mir erklären:
Daß eitler Hoffung voll und eitler Zähren, 
Nicht Nachsicht blos, auch Mitleid mir verbliebe.

Jetzt erst erwach' ich aus dem Wahne wieder, 
In dem das Volk mich angestaunt so lange, 
Daß ich noch fühle Scham in mir sich regen;

Und Scham und Reue sind die Frucht der Lieder, 
Aus denen zu der Einsicht ich gelange,
Wie sehr der Welt an kurzem Traum gelegen.

Sie können auf dieser Seite eine Vielzahl von Petrarca Gedichten mit den Übersetzungen vergleichem. Und dann hat Hartmut Schönherr, der im Internet diese Seite Gedichte-Werkstatt betreibt, auch noch Gedichte in einer freien Nachdichtung präsentiert. Und da sieht das erste Sonett dann so aus:

Kein Stein, auf dem ich sitze, keine Pforte
Zur Unterwelt. Nur dies: die Tastatur, das Rauschen
Des Speichers, keine Seufzer, nur das Tauschen
Von Silben mit Vergangenheit an andrem Orte;

Wie sich die Zeiten wenden, wandeln Worte
Sich um und uns, die Feder kann berauschen
Auch digital, und einem Lied zu lauschen
Weckt noch Gefühle analoger Sorte.

Xing, Facebook, Twitter schaffen viele Freunde
Gefolge, das mit Jubel will besehen
Die Herzoge der neuen Lorbeerdamen;

Und wer erfolgreich sich im Studio bräunte
Kann auch ein Date in Real Life Drei bestehen
Doch wird sich unser auch Real One erbarmen?


Diese Übertragungen ins Deutsche sind keine Übersetzungen im klassischen Sinne, sondern eigenständige Sonette mit den Texten Petrarcas als kritischer Referenz, sagt der Übersetzer. Das kann sehr witzig sein, verlangt aber manchmal schon ein wenig literarische Bildung. Denn dieses Kein Stein, auf dem ich sitze in der ersten Zeile ist natürlich eine Anspielung auf Walther von der Vogelweides Zeile Ich saz ûf eime steine. Ich wünsche Ihnen viel Spaß, einen ganz anderen Petrarca zu entdecken.

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