Samstag, 18. April 2020

Hopper is saying, I am Vermeer


John Updike ist als Romanautor berühmt geworden, genauer als er hat niemand das Leben der amerikanischen middle class in Neuengland beschrieben, höchstens vielleicht Richard Yates. Aber Updike ist nicht nur der Autor von dreißig Romanen und einem dutzend Bänden von Kurzgeschichten, er hat auch viel über Kunst geschrieben. Wenn Sie den Post Dänische Kunst lesen, werden Sie feststellen, dass der mit einem langen Updike Zitat beginnt. 1995 hat Updike im New York Review of Books die Ausstellung Edward Hopper and the American Imagination im Whitney Museum besprochen, und diese Besprechung ist in ein langes Hopper Kapitel seines Buches Still Looking: Essays on American Art (das es auch auf deutsch gibt) hineingewandert.

John Updike hat auch Gedichte geschrieben, eins habe ich in dem Post Nationalstolz interpretiert. Da steht eine witzige kleine Geschichte am Ende, die ich heute noch einmal hier hinstelle: Updike ist lieber unauffällig. Eine Studentin hat mir einmal erzählt, dass sie in den Semesterferien in einem kleinen Hotel an der Nordseeküste gejobbt hat. An ihrem ersten Arbeitstag sagte die Wirtin zu ihr: Und jetzt bringst du Herrn Uppdieke seinen Tee auf die Veranda. Sie hat den Tee beinahe verschüttet, als sie auf der Veranda erkannte, wer der Herr Uppdieke wirklich war. Er fällt eben nicht auf.

Das Bild Girl at a Sewing Machine aus dem Jahre 1921, das in der Sammlung Museo Thyssen-Bornemisza hängt, ist eins der frühen Ölbilder Hoppers. 1920 hatte er im Whitney Studio Club eine erste Ausstellung seiner Gemälde gehabt. In der Zeit davor war er hauptsächlich Werbegraphiker und Plakatkünstler gewesen (wir lassen einmal die Bilder aus seiner Pariser Zeit weg). Sein Freund Martin Lewis hatte ihm 1915 die Technik der Radierung beigebracht, die für Hopper der Grundstein für seine Gemälde wurde, das muss man hervorheben.

Er hat es auch selbst zugegeben: After I took up my etching, my painting seemed to crystallize. Diese Radierung hier könnte man für ein Werk von Hopper halten, es gibt ähnliche Bilder von ihm, aber sie ist von Martin Lewis. Man kann an dem Bild sehen, wie groß der Einfluß von Lewis auf Hopper ist. Ich habe auf dieser Seite noch eine Vielzahl von Radierungen von dem zu Unrecht vergessenen Lehrmeister von Edward Hopper, bei denen man immer das Gefühl hat, dass hier Hoppers Nachtwelt eingefangen ist.

John Updike, der über Hoppers Bilder gesagt hat, sie seien calm, silent, stoic, luminous, and classic, hat das Bild von dem Mädchen an der Nähmaschine und das Bild Hotel Room in sein Gedicht Two Hoppers hineingeschrieben. Er hatte beide Bilder in der Sammlung Thyssen-Bornemisza in Madrid gesehen. Die Bildersammlung von Heinrich Thyssen hatte der spanische Staat 1993 nach Thyssens Tod für 350 Millionen Dollar erworben. Sie ist heute eins der größten Kunstmuseen von Madrid.

Es lenkte jetzt sicher etwas von der Interpretation des Gedichtes von Updike ab, aber ich muss mal eben erzählen, dass mir Thyssen, der auf der Vulkan Werft in Vegesack nur Baron Heini hieß, mal die Hand geschüttelt hatte. Die Werft gehörte ihm, er besuchte sie regelmäßig. Der Werftdirektor war unsere Nachbar, und als wir uns vorm Haus trafen, hat er mich Herrn Thyssen vorgestellt. Immer, wenn ich den Namen Museo Thyssen-Bornemisza lesen, muss ich an Baron Heini in seinem eleganten weißen Burberry Regenmantel denken. Aber nun zu Updikes Gedicht:

Two Hoppers

The smaller, older Girl at a Sewing Machine
shows her, pale profile obscured by her hair,
at work beneath an orange wall while

sky in pure blue pillars stands in a window bay. 
She is alone and silent. The heroine 
of Hotel Room, down to her slip, gazes

at a letter unfolded upon her naked knees.
Her eyes and face are in shadow. The day 
rumbles with invisible traffic outside 

this room where a wall is yellow, where a
bureau blocks our way with brown and luggage 
stands in wait of its unpacking near 

a green armchair: sun-wearied Thirties plush. 
We have been here before. The slanting light,
the woman alone and held amid the planes 

of paint by some mysterious witness we're 
invited to breathe beside. The sewing girl,
the letter: Hopper is saying, I am Vermeer

Zuerst haben wir nur eine Beschreibung, sparsam, beinahe oberflächlich. Nicht zu vergleichen mit dem Gedicht, in dem Horace Walpole ein Gemälde von George Stubbs beschreibt. Ungereimte Strophen mit je drei Versen, ein unregelmäßiges Vermaß. Es gibt in dem Gedicht Dinge, die wir nicht sehen und nur ahnen können, wie The day rumbles with invisible traffic outside this room. Denn Hoppers Bilder sind ja nicht ein Beispiel für den Realismus, sie haben immer ein Geheimnis. Der Bildhauer George Segal hat einmal gesagt: What I like about Hopper is how far poetically he went, away from the real world.  Die Realität bei der Entstehung des Bildes hat nichts Geheimnisvolles. Hoppers Frau Jo schreibt in ihrem Tagebuch: I posing in a pink shimmy shirt far from the fire place (in a bitter cold room) because E. needed the light on the surface of the bed & top of my head, or whatever — & I must endure.

Hoppers Bilder laden dazu ein, Geschichten zu erfinden. Was liest die kaum bekleidete junge Frau in dem Brief, den sie in den Händen hält? 'Hotel Room' presents a concise and intense drama in the night. The tall, slender, pensive woman sits on a bed, head downward, pondering the letter she has just read. Whatever she has learned in the letter confuses and upsets her, as Hopper conveys by the clothing strewn about the room. Schreibt Gail Levin 1980 in Edward Hopper: The Art and the Artist.

Und das ist nun vollständiger Unsinn. Gail Levin hätte mal etwas genauer auf das Bild schauen sollen. Es ist ja ziemlich groß, 152 mal 165 Zentimeter. Updike schreibt The heroine of Hotel Room, down to her slip, gazes at a letter unfolded upon her naked knees. Die junge Frau hält einen Brief in der Hand? Das ist kein Brief, das ist ein Fahrplan der Eisenbahn. Das hat Hoppers Frau Josephine, die ja das Modell des Bildes war, notiert. Und auf ihre lebenslang geführten Notizen ist Verlaß, sonst hätte Gail Levin ihre Biographie Hooper: An Intimate Biography nicht schreiben können. Wir lassen Updike die Sache mit dem Brief mal durchgehen. Und sehen darüber hinweg, dass down to her slip auch nicht stimmt, ein pink shimmy shirt ist mehr als ein Slip. Aber diese letzte Zeile des Gedichts, Hopper is saying, I am Vermeer, die haut dichterisch alles raus.

Lesen Sie auch: John Updike. Ein anderes Gedicht zu dem Bild Hotel Room finden Sie in dem Post Jo Hopper (und Eddie).

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